CD-Besprechung:
Kurz gesagt: Diese CD ist ein Brahms zum Anfassen. Nicht monumental und fern, sondern menschlich, nah und mitunter frech. Eine Aufnahme, die nicht nur eingefleischte Brahms-Fans begeistert, sondern auch jene, die sich sonst lieber vor „schwerer Kost“ drücken. Und am Ende bleibt das Gefühl: So lebendig, so direkt und so augenzwinkernd darf große Musik gerne öfter klingen.
Johannes Brahms
Klavierkonzert Nr. 2, op. 83
Drei Intermezzo, op. 117
Francesco Piemontesi, Klavier
Gewandhausorchester Leipzig
Manfred Honeck, musikalische Leitung
Pentatone, PTC5187461
von Dirk Schauß
Es fängt an wie eine Szene aus einem Traum: Ein Horn bläst einen Ton so weich, dass man meinen könnte, es wolle die Nachbarn nicht wecken. Und dann setzt das Klavier ein, nicht mit einem Knall, sondern mit einem höflichen „Guten Morgen“, das gleichzeitig klarmacht: „Zieh dir lieber die Wanderschuhe an, hier geht’s gleich los.“ Von diesem Moment an ist klar: Dieses zweite Brahms-Konzert wird kein stures Kräftemessen zwischen Pianist und Orchester, sondern ein Duett auf Augenhöhe. Mal wie zwei Freunde beim Rotwein, mal wie ein handfester Disput beim Familientisch – aber immer mit Leidenschaft.
Francesco Piemontesi greift die langen, weit ausschwingenden Melodien nicht einfach ab, er modelliert sie, als baue er Skulpturen aus Klang. Mal zart wie Seide, mal so markant, dass man die Tasten fast knacken hört. Er spielt Brahms nicht als ehrwürdiges Denkmal, sondern als atmende Musik, die sich jederzeit in eine andere Richtung wenden kann.
Und Manfred Honeck ist der perfekte Komplize: Er lässt das Gewandhausorchester Leipzig nicht brav begleiten, sondern feuert es an, als ginge es um die Meisterschaft. Die Leipziger springen begeistert darauf an – mal fluten sie den Raum, mal flüstern sie nur, und immer hat man das Gefühl, dass da ein richtiges Gespräch stattfindet.
Im zweiten Satz – „Allegro appassionato“ – brennt die Hütte. Hier klingt es, als hätte Brahms beschlossen, seine Melancholie mal in die Ecke zu stellen und überschwenglich die Gefühle rauszulassen. Piemontesi hämmert nicht einfach drauflos, er schmeißt Funken wie ein Schmied, der im Rausch seine besten Schwerter schmiedet. Das Orchester stürmt los, als sei es gerade aus dem Käfig gelassen worden, und Honeck treibt sie energisch vorwärts. Man hat fast das Gefühl, einem musikalischen Streitgespräch beizuwohnen, bei dem keiner klein beigeben will – und genau deshalb ist es so elektrisierend.
Dann, Schnitt. Alles wird dunkel und plötzlich spricht ein einzelnes Cello. Kein Held, kein Trompeter, sondern ein tief melancholischer Erzähler, der sich aus der Tiefe meldet. Dieser Moment im dritten Satz ist so schlicht und so direkt, dass einem das Herz kurz schwer wird. Piemontesi antwortet, ganz leise, fast so, als wolle er nicht stören. Man spürt: Hier geht es nicht mehr um Virtuosität, sondern ums Menschliche.
Brahms zeigt sein Innerstes, und Piemontesi spielt das so, dass man glaubt, jemand denke gerade laut auf dem Klavier nach. Honeck hält die Spannung, das Orchester atmet mit – und für ein paar Minuten hat man das Gefühl, die Zeit bliebe stehen.
Doch Brahms wäre nicht Brahms, wenn er es dabei belassen würde. Also kommt das Finale, das Allegretto grazioso, daher wie ein freundliches „So, und jetzt noch ein Tänzchen zum Schluss.“ Piemontesi perlt über die Tasten, mal federnd, mal spöttisch, als zwinkere er dem Komponisten selbst zu. Das Orchester springt hinein, stolpert mit, richtet sich wieder auf, lacht beinahe hörbar über seine eigenen Kapriolen. Alles pulsiert, alles lebt, nichts wirkt schwerfällig oder monumental. Wer da nicht mindestens den Kopf mitwippt, sollte seinen Puls überprüfen.
Und weil ein Brahms-Konzert allein offenbar nicht reicht, gibt es zum Dessert noch die drei Intermezzi op. 117. Drei kleine Seelenfenster, die zeigen, wie intim dieser Komponist sein konnte. Das Erste, ein Andante moderato, wirkt so schlicht und ehrlich, als hätte Brahms einfach vergessen, dass ihm gerade jemand zuhört. Nichts als pure Musik, direkt und ungefiltert. Das Zweite fragt und zweifelt, zieht langsam vorbei wie ein Gedanke, der sich nicht fassen lassen will. Piemontesi spielt es, als lausche er selbst dem Klang hinterher. Und das abschließende Dritte schließlich wirkt wie ein Grübeln, das sich plötzlich in einen Entschluss verwandelt. Man hat den Eindruck, Brahms selbst trete zum Schluss noch einmal an den Flügel, seufze tief – und schließe mit einem halben Lächeln.
Pentatone setzt dem Ganzen die Krone auf: Die Klangqualität ist fabelhaft. Warm und dabei so transparent, dass man jedes Bläseratmen mitbekommt. Das Klavier sitzt optimal im Raum, nie vordergründig, nie verschwommen, sondern so, als säße Piemontesi wirklich im Wohnzimmer und hätte beschlossen, Brahms höchstpersönlich für seine Zuhörer zu spielen.
Was bleibt nach dieser Stunde Musik? Vor allem die Erkenntnis, dass hier niemand Brahms in ein Museum stellt. Piemontesi, Honeck und das Gewandhausorchester Leipzig spielen ihn nicht ehrfürchtig konserviert, sondern leidenschaftlich lebendig. Sie streiten mit ihm, sie tanzen mit ihm, sie lachen mit ihm. Die Welt wird hier nicht neu erfunden – aber sie wird durchglüht, befragt und mit einer Leidenschaft hingestellt, die ansteckt.
Kurz gesagt: Diese CD ist ein Brahms zum Anfassen. Nicht monumental und fern, sondern menschlich, nah und mitunter frech. Eine Aufnahme, die nicht nur eingefleischte Brahms-Fans begeistert, sondern auch jene, die sich sonst lieber vor „schwerer Kost“ drücken. Und am Ende bleibt das Gefühl: So lebendig, so direkt und so augenzwinkernd darf große Musik gerne öfter klingen.
Dirk Schauß, 23. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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