Orchester glänzt, Sänger stolpern: Joseph Swensen wagt Beethovens Neunte

CD-Besprechung: Ludwig van Beethoven Sinfonie Nr. 9 d-moll, op. 125  klassik-begeistert.de, 25. September 2025

CD-Besprechung:

Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr. 9 d-moll, op. 125

Joseph Swensen, musikalische Leitung
Orchestre National Bordeaux Aquitaine

Alpha-Classics, Alpha1163


von Dirk Schauß

Endlos viele Male wurde sie schon auf Tonträger gebannt, diese Sinfonie, die seit fast zweihundert Jahren wie ein Monument in der Landschaft der Musikgeschichte steht: Beethovens Neunte.

Und jedes Mal fragt man sich von Neuem, ob es wirklich noch etwas zu sagen gibt zu diesem Werk, ob nicht schon jede Phrasierung, jeder Akzent und jeder interpretatorische Winkelzug analysiert und abgehandelt wurde.
Nun legt Joseph Swensen mit dem Orchestre National Bordeaux Aquitaine, unterstützt vom Chœur de l’Opéra National de Bordeaux und dem Chœur d’Angers Nantes Opéra, eine Aufnahme bei Alpha-Classics vor – und siehe da: auch wenn keine Revolution zu erwarten ist, so bietet diese Einspielung doch einigen Gesprächsstoff. Besonders dort, wo man ihn vielleicht nicht haben möchte.

Beethoven beginnt seine Sinfonie im Dunkel des Ungeformten, fast aus dem Nichts heraus. Swensen nimmt diesen Anfang ernst: die Streicher flüstern, die Holzbläser malen vorsichtige Linien, und dann setzt das ganze Orchester ein wie ein Urknall. Der Klangkörper donnert nicht einfach los, sondern scharf artikuliert und nach vorn drängend. Hier hört man, dass der Dirigent selbst innerlich mitschnaubt, ja fast kämpft. Diese Spur von hörbarem Engagement mag manchem Puristen missfallen, doch sie passt zu einer Interpretation, die ganz auf das Explosive setzt. Zugleich gelingt es Swensen, die Nebenstimmen nicht zu verschmieren: die Bratschen treten plastisch hervor, die Kontrabässe wuchten, die Holzbläser bleiben klar verständlich. Ein Beethoven der großen Geste, aber mit sorgfältig ausgeleuchteter Architektur.

Überraschend bremst Swensen das Scherzo. Wer gewohnt ist, hier eine entfesselte Jagd zu erleben, staunt: plötzlich wirkt alles kontrollierter, die rhythmischen Zäsuren treten deutlicher hervor. Die Paukenschläge knallen nicht einfach durch den Raum, sondern markieren, fast mit didaktischem Nachdruck. Man könnte sagen: weniger Tanz, mehr Analyse. Das ist interessant, ja reizvoll, auch wenn die eine oder andere Spritzigkeit verloren geht. Dafür hört man Passagen in den Holzbläsern, kleine Dialoge zwischen Fagotten und Oboen, die sonst untergehen. Eine bewusste Aussage also, wenn auch eine, das nicht jedem Hörer gefallen dürfte.

Hier zeigt sich das Orchester von seiner schönsten Seite, im dritten Satz. Die Holzbläser legen feine Arabesken, die Streicher antworten mit warmem Schmelz, und gemeinsam entsteht ein wirklich kantables Gewebe. Swensen scheint hier innezuhalten, als gönne er allen eine Atempause nach den kantigen Gesten zuvor. Die Hörner schimmern weich, die Klarinetten fließen wie ein Bachlauf, und die Streicher singen in langen Bögen. Die Balance stimmt, und tatsächlich wirkt dieser Satz wie ein Blick in eine andere Welt – ein kleiner Traum, in dem Beethoven, für einen Moment, alle Kämpfe ruhen lässt. Dass das Orchester diese Phrasen mit so viel Delikatesse ausformt, spricht für die Qualität der Musiker und die geduldige Probenarbeit.

Der Beginn des Finales ist ein Aufschrei – und genau so klingt er hier auch. Ruppig, zupackend, beinahe roh: das Orchester findet einen Ton, der sehr gut zur aufgewühlten Atmosphäre passt. Doch sobald die Stimmen einsetzen, kippt das Bild. Ausgerechnet der Bass, Florian Boesch, der mit gewichtigen Worten die Richtung vorgeben sollte, überrascht mit einem Timbre, das eher an einen hochgedrückten Bariton erinnert. Ironie der Partitur: er singt „Oh Freunde, nicht diese Töne!“, und liefert selbst genau das Gegenteil. Forciert, geradezu brutal in der Tongebung, ohne Fundament – das wirkt unfreiwillig komisch und beraubt die berühmten Eingangsworte ihrer Autorität.

Mauro Peter, der Tenor, kämpft seinerseits mit den Höhen und ist in den exponierten Momenten kaum zu hören – selbst dann nicht, wenn die Tontechnik ihn nach vorn schiebt.

Angélique Boudeville und Anna Bonitatibus singen solide, aber ohne Glanz; kleine Unsauberkeiten schleichen sich ein. In der Summe ergibt das Quartett also ein schwaches Bild, das die Wucht des Orchesters nicht zu tragen vermag. Wie so oft bei der Neunten: das Vokalquartett ist das schwächste Glied der Kette.

Die Chöre – der Chœur de l’Opéra National de Bordeaux und der Chœur d’Angers Nantes Opéra – arbeiten zuverlässig, intonieren sauber, doch die Aufnahme rückt sie klanglich nach hinten. Anstelle eines raumgreifenden Jubels klingt vieles wie hinter einer Glasscheibe. Man wünschte sich mehr Präsenz, mehr Textausdruck, eine klarere Artikulation von Schillers „Freude“-Botschaft. So bleibt die Chorebene brav und kompakt – ein Kommentar am Rand, keine mitreißende Botschaft.

Und so ergibt sich ein zwiespältiges Bild: Orchestral ist dies eine gelungene Aufnahme, voller Energie, mit Sinn für Details, sorgfältig eingefangen von einer Tontechnik, die den satten Streicherklang und die präzisen Holzbläser veredelt. Doch dieselbe Tontechnik stellt die Chöre akustisch ins Abseits und vermag die vokalen Schwächen nicht zu kaschieren. Das Bass-Solo wirkt ironisch gebrochen, der Tenor steht an der Wand, und das Quartett als Ganzes enttäuscht – wie so oft bei dieser Sinfonie.

Ob man diese CD braucht?

Wer Swensens Handschrift hören möchte, ja. Denn das Orchester spielt unter seiner Leitung fabelhaft, und manche Eigenart – etwa das gebremste Scherzo – regt zum Nachdenken an.

Wer hingegen auf vokale Sternstunden und chorische Überwältigung hofft, sollte auf die vielen Alternativen ausweichen.

Beethoven bleibt unerschöpflich, gewiss. Aber manchmal zeigt sich seine Größe eben auch daran, wie schwer er den Interpreten fällt.

Dirk Schauß, 25. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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