Sir Charles Mackerras begeistert mit Mozart

CD-Besprechung: Sir Charles Mackerras conducts Mozart  klassik-begeistert.de, 22. Oktober 2025

CD-Besprechung:

Wer also glaubt, Mozart sei längst zu Tode gespielt, möge sich diese Box anhören. Sie beweist das Gegenteil. Das ist kein feierabendlicher Wohlfühl-Mozart, sondern einer, der zupackt – der einen aus dem Sessel hebt, bevor man’s merkt. Und wenn dann die letzten Takte des Requiems verklingen, bleibt für einen Moment diese Stille, in der man denkt: Ja, so hat er es wohl gemeint.

Sir Charles Mackerras
conducts Mozart

Scottish Chamber Orchestra

Linn, CKD786

von Dirk Schauß

Manchmal genügt schon ein Takt, um zu merken: Hier dirigiert kein Repertoireverwalter, sondern jemand, der die Musik wirklich kennt und liebt. So ein Fall ist Sir Charles Mackerras. Diese 5-CD-Box mit seinen Mozart-Aufnahmen für Linn ist kein Archivfund, sondern ein musikalisches Denkmal, das begeistert. Neun Sinfonien, dazu das Requiem – und alles mit jener Mischung aus Noblesse, Energie und trockenem Humor, die Mackerras zu einem der letzten echten Gentleman-Dirigenten machte.

Sir Charles war, streng genommen, kein typischer Mozartianer. Geboren 1925 in Schottland, aufgewachsen im sonnigen Sydney, hätte er eigentlich Surflehrer werden können. Stattdessen verschrieb er sich dem Orchesterklang – und zwar mit einer Hingabe, die immer auch ein bisschen Forschergeist war. Früh begeisterte er sich für tschechische Musik, Janáček wurde zu seiner künstlerischen Heimat. Diese Leidenschaft für das Präzise, Kantige, Sprachnahe prägte auch seinen Mozart: alles ist klar geformt, aber nichts klingt steif.

Seine Zusammenarbeit mit dem Scottish Chamber Orchestra war legendär. Dieses Ensemble spielte unter ihm, als wäre es ein einziger atmender Körper – und Mackerras ließ es auch so klingen. Zwischen 2001 und 2009 entstanden hier Aufnahmen, die heute schon Klassikerstatus haben. Die späten Sinfonien – 38 bis 41 – erhielten damals Preise en masse; man kann verstehen, warum. Sie klingen so selbstverständlich, so „richtig“, dass man sich fragt, ob Mozart sie vielleicht genau so im Kopf hatte.

Schon in der 29. Symphonie zeigt sich Mackerras’ Handschrift: federnd, transparent, nie süßlich. In der „Pariser“ (Nr. 31) schmettern die Bläser fröhlich ohne Vibrato, die Hörner haben Biss, das Ganze hat Witz und Eleganz zugleich. Er nimmt historische Spielweisen ernst, aber nicht dogmatisch. Bei Mackerras hört man kein Museum, sondern stets eine lebendige Bühne.

Und dann die „Haffner“- und „Linzer“-Symphonien – ein Meisterkurs in Balance. Kein Auftrumpfen, keine Effekthascherei. Er dirigiert, als würde er einen alten Freund zum Essen einladen: aufmerksam, charmant, mit leichtem Schalk. Seine Tempi sind nie zu schnell, nie zu bedächtig – einfach natürlich. Mackerras hatte ein untrügliches Gespür für das richtige Maß, dieses „Zwischen“ von Dramatik und Gelassenheit. Vielleicht ist das sein größtes Talent: Er ließ Mozart sein, ohne sich selbst zu verleugnen.

Wenn man sich durch die Box hört, bekommt man fast den Eindruck, man sei live dabei – irgendwo in Edinburgh oder Glasgow, in einem Saal, der gerade noch warm klingt vom letzten Applaus. Das Scottish Chamber Orchestra spielt mit einer Klarheit, die durchsichtig wirkt. Man hört jedes Detail – und trotzdem bleibt das Ganze voller Leben. Es ist diese Mischung aus Struktur und Spontaneität, die Mackerras auszeichnet.

Dann das Requiem: kein sakrales Monument, sondern ein aufrichtiges, menschliches Abschiedswerk. Mackerras wählte die Fassung von Robert Levin – eine Version, die dem Werk wieder Bewegung und Licht gibt. Hier wird nicht um Ewigkeit gebettelt, hier wird Abschied genommen mit Würde und, ja, auch Neugier. Die Solisten – Susan Gritton, Catherine Wyn-Rogers, Timothy Robinson und Peter Rose – singen ohne Pathos, kammermusikalisch, und das Orchester antwortet mit einer Ruhe, die mehr sagt als jede Geste.

Man merkt: Für Mackerras war Mozart kein Heiligtum, sondern ein Gesprächspartner. Einer, mit dem man sich manchmal auch streiten darf. Er liebte die Architektur dieser Musik, aber er wusste, dass sie nur dann funktioniert, wenn sie atmet. Das ist vielleicht der Grund, warum seine Aufnahmen heute so frisch klingen: Sie tragen keine Patina. Man kann sie zum Frühstück hören oder um Mitternacht – sie bleiben lebendig.

Seine Art zu dirigieren war uneitel. Kein großes Gehabe, keine theatralischen Gesten. Stattdessen feines Timing, trockener Witz, präzises Zuhören. Wenn man ihm zusah, hatte man eher den Eindruck, er führe eine Unterhaltung mit dem Orchester. Und das Orchester antwortete.

Technisch gesehen, hat Linn hier übrigens ganze Arbeit geleistet: der Klang ist warm, dreidimensional, nie überproduziert. Man hat das Gefühl, direkt neben den Holzbläsern zu sitzen – was, ehrlich gesagt, kein schlechter Platz ist.

Aber der eigentliche Glanz dieser Box liegt nicht in der Tontechnik. Er liegt in der Haltung, mit der Mackerras an Mozart heranging. Er suchte nicht das „Neue“, er suchte das Wahre. Und das fand er, paradox genug, gerade in der Einfachheit. Seine Mozart-Aufnahmen sind schlicht Musik, verstanden und weitergegeben.

Vielleicht ist das das schönste Vermächtnis dieses Dirigenten: die Fähigkeit, die Musik sich selbst überlassen zu können. Mackerras war nie der Typ für große Egos oder spirituelle Überhöhungen. Er war Pragmatiker, Forscher, Musiker. Und genau das spürt man in jeder Phrase.

Am Ende dieser fünf CDs bleibt ein Gefühl, das man in der Klassikwelt nicht so oft hat: Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, dass jemand wie Mackerras den Mut hatte, zwischen den Extremen zu bleiben – zwischen Kopf und Herz, Vergangenheit und Gegenwart, Analyse und Gefühl.

Wer also glaubt, Mozart sei längst zu Tode gespielt, möge sich diese Box anhören. Sie beweist das Gegenteil. Das ist kein feierabendlicher Wohlfühl-Mozart, sondern einer, der zupackt – der einen aus dem Sessel hebt, bevor man’s merkt. Und wenn dann die letzten Takte des Requiems verklingen, bleibt für einen Moment diese Stille, in der man denkt: Ja, so hat er es wohl gemeint.

Dirk Schauß, 22. Oktober 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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