CD-Besprechung:
Ondine hebt die Klavierkonzerte des eigenwilligen André Tchaikowsky aus dem Schatten – und findet darin kompromisslose Schönheit.
André Tchaikowsky – Klavierkonzerte Nr. 1 & 2, Klaviersonate
Peter Jablonski, Klavier
Polish National Radio Symphony Orchestra
Łukasz Borowicz, musikalische Leitung
Label: Ondine, ODE1467-2
von Dirk Schauß
Es gibt Musik, die sich einem sofort öffnet – freundlich, einladend, bereit, gemocht zu werden. Und dann gibt es jene, die sich sperrt. Die einem ins Gesicht blickt, prüfend, vielleicht auch ein wenig verächtlich. André Tchaikowskys Klavierkonzerte gehören eindeutig zur zweiten Sorte. Man hört sie nicht einfach, man ringt mit ihnen.
Ondine hat nun den Mut bewiesen, diesen unbequemen Werken eine Bühne zu geben: Das 1. Klavierkonzert liegt hier erstmals überhaupt auf CD vor, das 2. in seiner ersten Studioaufnahme. Dazu die Klaviersonate – als Nachsatz, als Kommentar, vielleicht auch als Selbstgespräch des Komponisten. Das ist keine gefällige Veröffentlichung, sondern eine kulturhistorische Tat mit Schrammen.
Tchaikowsky, 1935 in Warschau geboren, 1982 in Oxford gestorben, war ein Pianist, dem das Publikum Beifall spendete, und ein Komponist, den es weitgehend ignorierte. Er war Schüler Rubinsteins, Freund von Radu Lupu, Bewunderer Bartóks – und doch blieb seine Musik eigen, manchmal sperrig, manchmal von schneidender Klarheit. Sie spricht eine Sprache, die sich nicht anbiedert.
Das 1. Klavierkonzert beginnt mit suchenden Holzbläsern, die kaum wagen, den Raum zu betreten. Das Klavier – Jablonski – antwortet nicht, es haucht nur. Allmählich entsteht Bewegung, eine Art fiebriger Dialog zwischen Instrument und Orchester. Im zweiten Satz kippt das Ganze in nervöse Energie: rhythmisch vertrackt, atemlos, eine regelrechte Tour de Force. Der Dirigent Łukasz Borowicz hält das Ensemble dabei mit spürbarer Strenge zusammen. Im Adagio wird die Musik dunkler, morbid: tiefe Streicher, die wie Schatten kriechen, und ein Klavier, das sich dagegenstemmt. Der Schluss – ein abruptes Verstummen des Solisten, vom Orchester regelrecht abgeschnitten – klingt wie ein unversöhnlicher Epilog. Kein Happy End, nirgends.
Das 2. Konzert ist reifer, aber nicht versöhnlicher. Gleich zu Beginn krachen dissonante Bläserakkorde ins Ohr, unruhig, scharfkantig. Dann zieht sich das Klavier in eine einsame Passacaglia zurück, deren Kargheit Jablonski mit asketischer Konzentration gestaltet. Die Töne stehen einzeln im Raum, ungerührt, aber bedeutungsschwer. Im anschließenden Capriccio entlädt sich die angestaute Spannung – das Klavier rast davon, das Orchester versucht, Schritt zu halten. Schließlich ein Finale, das eher ein Zusammenbruch ist: hochkomplex, dicht, fordernd. Man könnte sagen: Bartók schaut vorbei, Alban Berg nickt zustimmend, aber Tchaikowsky bleibt sich treu – zornig, analytisch, nie sentimental.
Und dann die Klaviersonate – im Klang trockener, kantiger, als wolle sie jeden Anflug von Wohlklang vermeiden. Sie schwankt zwischen Dringlichkeit und Erschöpfung. Herzstück ist ein bohrendes Largo, das nicht tröstet, sondern insistiert. Der Schluss steigert sich in eine expressionistische Drastik, als müsse sich der Komponist selbst noch überstimmen.
Technisch und klanglich ist diese Einspielung ein Volltreffer. Die Balance zwischen Orchester und Klavier ist ideal getroffen: nichts wird zugedeckt, keine Phrase verliert sich. Ondine hat einmal mehr gezeigt, dass Transparenz nicht gleich Kälte bedeuten muss. Die Sonate klingt bewusst trockener – ein mutiger, aber richtiger Produktionsentscheid.
Peter Jablonski, dieser Pianist mit nordischer Gelassenheit und polnischer Ader, scheint hier nicht nur ein Werk, sondern eine Biografie zu spielen. Er trifft das Ungeschönte dieser Musik, ohne sie zu verklären. Jeder Anschlag hat Gewicht, aber nie Pathos. In den leisen Momenten wirkt er nach innen gekehrt, im Ausbruch trotzig – als hätte er die Dämonen des Komponisten im Nacken.
Lukasz Borowicz, an der Spitze des Polnischen Nationalradiosinfonieorchesters, versteht diese Musik nicht als akademische Aufgabe, sondern als Kampfansage. Er lässt sie atmen, doch nie entgleiten. Sein Orchester folgt ihm hellhörig-präzise, mit der nötigen Härte in den Bläsern und jener subtilen Wärme in den Streichern, die Tchaikowskys Dunkel nicht auflöst, aber ihm Weite gibt.
Am Ende dieser Einspielung bleibt kein leichtes Gefühl zurück. Kein Summen einer Melodie, kein Reflex der Rührung. Stattdessen: Respekt. Und vielleicht ein leises Staunen darüber, dass Musik, die jahrzehntelang in Archiven schlummerte, so unmittelbar treffen kann.
Man kann Ondine und Jablonski für dieses Projekt nur danken – nicht, weil es Lücken schließt, sondern weil es Fragen stellt. Nach der Bedeutung von Authentizität. Nach dem Mut, Schweres hörbar zu machen. Nach der Bereitschaft, sich der Musik zu stellen, die sich nicht erklärt.
Wer Unterhaltung sucht, wird hier scheitern. Wer hören will, wird belohnt.
Dirk Schauß, 7. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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