CD-Besprechung:
Paavo Järvi
Schubert Symphonies Nr. 7 & 4
The Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Sony Music 19958 41055 2 (2025)
von Dr. Gerd Klingeberg
Nachdem sich die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen gemeinsam mit Paavo Järvi in den letzten Jahren schwerpunktmäßig und sehr erfolgreich mit den sinfonischen Kompositionen von Beethoven, Schumann, Brahms und Haydn beschäftigt hat, hat sie neuerdings Franz Schuberts Sinfonien in den Fokus genommen.
Eine erste, just erschienene CD-Einspielung liegt jetzt von den beiden Sinfonien Nr. 4 „Tragische“ und Nr. 7 „Unvollendete“ vor: zwei Werke, die wegen ihres eher düsteren Grundcharakters offenbar sich gut auf einer CD ergänzen. Allerdings würde es die Bedeutung der beiden Sinfonien ganz erheblich schmälern, wollte man sie auf lediglich tragisch-dramatische Inhalte reduzieren.
Und dies ist selbstredend auch bei Järvis Interpretation nicht der Fall.
Orchestrale Dramatik und melodiöse Ruhepole
Auf der CD findet sich am Anfang die „Unvollendete“ – die ungeachtet ihrer bloßen Zweisätzigkeit längst als vollendetes Kunstwerk betrachtet wird. Ihre tiefen Eingangstöne von Celli und Kontrabässen kommen sehr leise, fast wie aus dem Nichts. Das legato vorgestellte Thema wirkt aufgrund der pulsierenden Unterstimmen elastisch und elegant abgefedert. Die kurzen, markanten Ausbrüche geraten zwar durchaus donnernd heftig und scharf konturiert; man empfindet sie jedoch nicht als Weltuntergangsszenarien, sondern vor allem als markanten Kontrast zu den sehr klangschön formulierten Partien.
Doch genau diese Gegensätzlichkeit sorgt für intensive Spannung und hält den Zuhörer in Atem, bietet aber eben immer wieder auch melodiöse Ruhepole. Das Tempo bleibt durchgehend eher moderat, so wie als Satzbezeichnung vorgegeben. Gegen Ende des 1. Satzes verdichtet Järvi jedoch das Geschehen zu ausgeprägter orchestraler Dramatik, bei der dann auch deutlich resignative Anteile durchschimmern.
Die Balance der einzelnen Instrumentengruppen ist so perfekt, wie man es in einem Konzertsaal selten und nur platzabhängig erleben kann; die durchweg makellose Intonation ist bei der Kammerphilharmonie aber immer eine Selbstverständlichkeit.
Die Ambivalenz des musikalischen Ausdrucks, so wie man sie im Kopfsatz erlebt, belässt Järvi auch im ruhig-bedächtigen 2. Satz. Es sei dahingestellt, dies als interpretatorisches Nonplusultra zu betrachten; es ermöglicht jedoch dem Zuhörer, sich nach eigenem Bedürfnis, nach ganz eigener Gemütslage in die verschiedenartigen Stimmungen hineinzufühlen. Das Finale berührt zutiefst mit einem ruhevollen, gänzlich schlichten, nur für einen Moment lang dezent aufgehellten Pianissimo: Akzeptanz eines unabwendbaren Schicksals?
„Tragische“ mit Sehnsuchtsmelodik und optimistischen Ausblicken
Die große Palette musikalischer Gedanken in der „Unvollendeten“ bestimmt auch die „Tragische“. Und dies sogar mit deutlich mehr optimistischen Ausblicken – wie man es ohnehin von einem 19-Jährigen, der nicht allein von Trübsinn und Todessehnsucht umgetrieben wird, auch erwarten würde. Järvis gut durchdachte Interpretation lotet auch diesmal jedes einzelne Motiv tiefschürfend aus. Die schlichte, sehnsuchtsvolle Melodie des 2. Satzes Andante kommt einschmeichelnd sanft; das teils folkloristisch eingefärbte Menuetto (Satz 3) wirkt hingegen tänzerisch lebhaft, ja, fast schon ruppig rustikal. Der Finalsatz Allegro startet bei dezidiertem, präzise akzentuiertem Spiel eher unruhig, um schon bald voranzudrängen, mutet aber auch beim weit angelegten Accelerando nicht etwa gehetzt an, sondern eher freudig erregt und hoffnungsfroh; für die stringent verfolgte Schlussphase lässt das Orchester nochmals die dynamischen Muskeln spielen.
Es wäre wohl zu hoch gegriffen, wollte man von dieser Einspielung ein völlig neues Schubert-Erlebnis erwarten. Freunde des sinfonischen Werke dieses zu Lebzeiten wenig beachteten, leider viel zu früh gestorbenen Musikers dürften aber begeistert sein von dieser neuen Aufnahme, die unter vielen weiteren der Schubert-Sinfonien zweifellos an einem der ganz vorderen Plätze eingeordnet werden kann. Und zweifellos eröffnet sie so manchen neuen und interessanten Blick-, oder besser noch: Hörwinkel auf die wahrhaft facettenreiche kompositorische Substanz der als bekannt geglaubten Meisterwerke.
Dr. Gerd Klingeberg, 17. Dezember 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
DKPB Paavo Järvi/Janine Jansen Alte Oper Frankfurt, 16. Mai 2025
Auf den Punkt 57: Paavo Järvi /Janine Jansen Elbphilharmonie, 11. Mai 2025
Janine Jansen, Violine, DKB und Paavo Järvi, Elbphilharmonie Hamburg, 11. Mai 2025