V.l.n.r.: Daniel Froschauer, Katharina Wincor, Nuria Schönberg-Nono, Ulrike Anton. Foto: Lola Jodlbauer © Arnold Schönberg Center Wien
Arnold Schönberg (1874-1951)
Kammersymphonie op. 9 (1906)
Pelleas und Melisande op. 5 (1902/1903)
Bearbeitung für Kammerorchester von Levi Hammer
Kammerensemble mit Mitgliedern der Wiener Philharmoniker
Dirigentin: Katharina Wincor
Arnold Schönberg Center Wien, 26. März 2024
von Dr. Rudi Frühwirth
Das Arnold Schönberg Center Wien feiert den 150. Geburtstag von Arnold Schönberg mit einem reichhaltigen Konzertprogramm. Einer der bisherigen Höhepunkte war zweifellos das Festkonzert, das in Anwesenheit von Nuria Schönberg-Nono, weiteren Mitgliedern der Familie Schönberg sowie des österreichischen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen stattfand. Nach der Begrüßung durch die Direktorin des Schönberg-Centers Ulrike Anton, Schönbergs Tochter Nuria, den Bundespräsidenten und den Vorstand der Wiener Philharmoniker Daniel Froschauer erklang ein erlesenes Musikprogramm mit zwei Werken des Jubilars. Das Konzert war ein Geschenk der Wiener Philharmoniker, die seit der Gründung im Jahr 1998 dem Schönberg Center eng verbunden sind.
Den Beginn machte Schönbergs erste Kammersymphonie, komponiert im Jahr 1906. Schönberg bezeichnete das Werk als einen „wirklichen Wendepunkt“ in seiner Kompositionstechnik. Hier ist kaum mehr eine Spur des spätromantischen Orchesterklangs, der die „Gurrelieder“, „Pelleas und Melisande“ und die Orchesterlieder op. 8 zu einem so berauschenden Musikerlebnis macht. In vergleichsweise kleiner Besetzung entfalten fünfzehn Soloinstrumente ein faszinierendes Klanggewebe, das mich seit jeher durch seine Komplexität, seine ungewohnten Klangfarben, seinen thematischen Reichtum und vor allem durch die hier offenbarte „Emanzipation der Dissonanz“ begeistert.
Neben der traditionellen Dur/Moll-Tonalität treten Ganztonskalen und ungewohnte Quartenharmonik auf. Der zentrale, nur aus Quarten aufgebaute Akkord zeigt den Weg an, den Schönberg weiter beschreiten sollte: die vollkommene Überwindung der traditionellen Harmonik.
Die untadelige Interpretation durch das philharmonische Ensemble unter der Leitung der jungen Dirigentin Katharina Wincor wurde dem Werk in höchstem Maße gerecht. Im relativ kleinen Konzertsaal des Schönberg Centers war ich dem Orchester so nahe wie nur selten, und die unablässig vorantreibende Kraft des Werkes war in bestürzender Intensität zu spüren. Das Publikum war wie ich mitgerissen und hörbar begeistert.
Nach der Pause folgte die symphonische Dichtung „Pelleas und Melisande“ in einer Bearbeitung für Kammerorchester von Levi Hammer, dem amerikanischen Pianisten und Dirigenten. Wenn sein Ziel war, das schwierige und leider selten gespielte Werk leichter aufführbar zu machen, war er damit sehr erfolgreich. Allein in dieser Woche weist der Kalender der Universal Edition drei Aufführungen in aller Welt auf! Die Besetzung ist fast die selbe wie die der Kammersymphonie, leicht dominiert von den Holzbläsern und Hörnern, bereichert durch ein Klavier. Selbstverständlich kann und will die Bearbeitung den Orchesterklang der Originalfassung nicht nachahmen oder gar reproduzieren. Sie besticht vielmehr durch Transparenz und Ausgewogenheit.
Die charakteristischen Leitmotive oder besser Leit-Themen der Hauptfiguren Melisande, Golaud und Pelleas treten in der Bearbeitung noch klarer heraus als in der Orchesterfassung. Emotional und harmonisch ist die Komposition bis zum Äußersten gespannt, die Chromatik des „Tristan“ ausgereizt bis zu einem Extrempunkt, über den hinaus es kaum ein Weitergehen gibt. Überdies hat das Werk soviel innermusikalische Struktur und Überzeugungskraft, dass es auch ohne Kenntnis der literischen Vorlage als eine Symphonie in vier Sätzen ohne Pausen gehört, verstanden und geschätzt werden kann.
Inspiriert von der suggestiven Schlagtechnik der Dirigentin, gelang den Mitgliedern des Ensembles eine perfekte, lebendige Wiedergabe der anspruchsvollen Partitur. Besonders angetan war ich von der spielerischen Leichtigkeit der Szene am Brunnen, das in der symphonischen Struktur die Stelle des Scherzos einnimmt; von den glitzernden Klängen der Szene, in der Melisande ihr Haar zu Pelleas hinunterlässt; von der tief bewegenden Liebesszene mit dem herrlichen Adagio-Thema; und schließlich vom Tod der Melisande im düster verklinden Finale.
Herzlicher, langanhaltender Applaus dankte den Solisten und der Dirigentin. Ein würdiger Beitrag zum Schönberg-Jahr 2024!
Dr. Rudi Frühwirth, 28. März 2024, für
klassik-begeistsert.de und klassik-begeistert.at