Tobias Kratzer dampft Subtiles zum Klamauk ein

 

CD-Blu-ray-Besprechung:

Der Regisseur ist der derzeit wohl prominenteste Vertreter einer Zunft, die sich die ausschließliche Deutungshoheit über das Opernrepertoire anmaßt, fest jene Zielgruppe im Blick, die aufgrund mangelnder Bildung oder Intellekts, diese „Modernisierungen“ beklatscht.

Richard Strauss
Intermezzo

Inszenierung  Tobias Kratzer

Orchester der Deutschen Oper Berlin
Dirigent  Sir Donald Runnicles

Naxos NBDO 188V

von Peter Sommeregger

Der Komponist Richard Strauss machte in der Oper „Intermezzo“ sich selbst und seine stürmische Ehe mit der Sängerin Pauline de Ahna zum Thema, konsequenterweise verfasste er auch selbst das Libretto zu dieser ungewöhnlichen Selbstbespiegelung.

Was Tobias Kratzer, den derzeitigen Liebling der Opernintendanten, bewogen hat, ausgerechnet diese Oper von Strauss zu inszenieren, ist nur bedingt nachvollziehbar. Reflexartig beschreitet er den Irrweg, die Lebenswelt einer großbürgerlichen Berühmtheit der 1920er Jahre im Stil der 2020er Jahre erzählen zu wollen. Wurde für die Dresdner Uraufführung noch das Innere der Villa Strauss nachgebaut, lässt Kratzer bewusst auf fast leerer Bühne spielen und reduziert so das Werk auf seinen Kern. Leider hat ihm Rainer Sellmaier nur ein paar wenige, hässliche Möbel auf die Bühne gestellt, die von der Opulenz der Strauss’schen Einrichtung Lichtjahre entfernt sind. Also beginnt die Aufführung in einer betont nüchternen und banalen Atmosphäre.

Zunächst geht es auf der Bühne recht konventionell zu, bis die permanent plappernde Gattin des Kapellmeisters beim Flirt mit dem Nichtsnutz Baron Lummer plötzlich beginnt, Kostüme für verschiede Strauss-Opern von einem Kleiderständer zu nehmen, und sich und Lummer erst in Octavian und Marschallin, danach in Salome und Jochanaan zu verkleiden. Das geschieht ohne Bezug auf den Text, ist aber ein blendender Einfall und ein ausgesprochen poetischer Moment. Dass Kratzer zuvor Christine und Lummer eine Bettszene verordnet, ist aber allzu plump und auch gegen den Stil des Stückes.

Als Christine später als Elektra verkleidet mit einem Beil in das Büro des Notars stürmt, markiert dies leider den Punkt, wo Kratzer vom subtilen Humor in den Schenkelklopf-Modus umkippt. Der Regisseur ist der derzeit wohl prominenteste Vertreter einer Zunft, die sich die ausschließliche Deutungshoheit über das Opernrepertoire anmaßt, fest jene Zielgruppe im Blick, die aufgrund mangelnder Bildung oder Intellekts, diese „Modernisierungen“ beklatscht.

Der Glücksfall der Aufführung ist das spielfreudige Ensemble, allen voran die wunderbare Maria Bengtsson, die nicht nur das Geplapper ihrer Partie glaubwürdig umsetzt, sondern auch die in der Partitur versteckten kleinen Kantilenen mit blühendem Strauss-Timbre erklingen lässt. Kreiert hat die Rolle in Dresden seinerzeit übrigens Lotte Lehmann. Ihr ebenbürtig der ganz auf Nonchalance setzende Philipp Jekal als zu Unrecht verdächtigter Ehemann. Thomas Blondelle bleibt als Baron Lummer ein wenig blass, aber die mediokre Figur gibt vielleicht auch nicht mehr her. Eine unerwartete Begegnung hat man mit Nadine Secunde als Gattin des Notars. Die einstige Hochdramatische kann wohl von der Bühnenluft nicht lassen.

Der offenbar gut gelaunte Donald Runnicles führt mit dem ebenfalls gut disponierten Orchester dieses selten gespielte Werk zum Erfolg. Weniger befriedigend fällt die Regiearbeit Tobias Kratzers aus, der nach „Arabella“ bereits die zweite Strauss-Oper nach seinen Vorstellungen verbiegt.

Peter Sommeregger, 13. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Strauss, Intermezzo (1924) Deutsche Oper Berlin, 13. März 2025

Richard Strauss (1864 – 1949), Intermezzo, Libretto vom Komponisten Deutsche Oper Berlin, 1. Mai 2024

CD-Besprechung: Richard Strauss, Elektra op. 58 klassik-begeistert.de, 11. April 2025

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