Macerata inszeniert „La Bohème“ als knallbunte Pop-Revue im Stil der 60er Jahre

Prova generale Bohème, Sferisterio © PhSimoncini

Bei den großen Klassikern der Opernbühne empfiehlt es sich, innovative Inszenierungen zu erfinden – das gelingt bisweilen hervorragend, öfter noch scheitert dieses Unterfangen kläglich. Transponierungen des allgemein bekannten Stoffs sollten konsequent, stimmig, klug und möglichst auch noch witzig sein.

„La Bohème“ im berühmt-berüchtigten Pariser Mai 1968 des letzten Jahrhunderts statt dem Paris des 19. Jahrhunderts – das sind ausgeflippte, langhaarige Bohémiens beziehungsweise Möchtegern-Künstler mit langen Haaren, inmitten eines Ateliers voll psychedelischen Werken. Im zweiten Akt eine hippe Bar und statt der Militärkapelle eine karnevalesk aufgetakelte Band. Im dritten Akt stehen die jungen 68er Revolutionäre im Rampenlicht, eine Fabrik vor der unter den bekannten Parolen der 68er eine Demonstration samt Pflastersteinen und brutaler Bereitschafts-Polizei mit Original-Helmen und Plastic-Schutzschildern stattfindet.

Giacomo Puccini: „La Bohème“

Dirigent Valerio Galli

Inszenierung: Leo Muscato
Kostüme: Silvia Aymonino
Licht: Alessandro Verazzi

Coro Lirico Marchigiano „V. Bellini“
Chorleiter: Martino Faggiani

FORM-Orchestra Filarmonica Marchigiana

Macerata Opera Festival, 11. August 2024

von Dr. Charles E. Ritterband

Wie auch immer – diese Inszenierung ist erfrischend anders und sehr, sehr bunt.

Das alles funktioniert und ist eine erfrischende Abwechslung von der immergleichen Bohème-Kulisse mit Weihnachtsmarkt, Restaurant und Zollstation. Etwas irritierend der Schluss, bei dem in die inzwischen trostlos leergeräumte Mansarde ein perfektes Spitalsbett samt ärztlichem und Pflegepersonal hereingerollt wird – das erscheint dann doch als Bruch, zumal das eher luxuriöse Spitalzimmer so ganz und gar nicht zur Armut der Bohémiens passen will. „Giacomo Puccini, La Bohème
Macerata Opera Festival, 11. August 2024“
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Macerata begeistert mit einer perfekten „Turandot“ der Weltklasse

Prova generale Turandot, Sferisterio © PhSimoncini

Bei dieser „Turandot“ im spektakulären „Sferisterio“ von Macerata (in der italienischen Provinz Marken), einer aus dem Jahr 1829 stammenden halbrunden von 56 klassizistischen Säulen umgebenen Arena, stimmte einfach alles – wie letztes Jahr bei der großartigen „Lucia“: Bühnenbild, Inszenierung, Sängerinnen und Sänger, Chor und Orchester eine perfekte „Turandot“ der Weltklasse.

Giacomo Puccini: „Turandot“

Dirigent: Francesco Ivan Ciampa

Regie und Bühnenbild: Paco Azorín
Kostüme: Ulises Mérida
Video und Licht: Pedro Chamizo

Orchestra Filarmonica Marchigiana
Coro Lirico Marchigiano „V. Bellini“
Chorleiter: Martino Faggiani


Macerata Opera Festival,
10. August 2024

Von Dr. Charles E. Ritterband

Grandios der Auftritt des sizilianischen Tenors Angelo Villari als Calaf, mit glattem elegantem Schmelz die Stimme als er das weltberühmte „Nessun dorma“ anstimmte – das Tenor-Gegenstück zur ebenso berühmten Sopran-Arie „Casta Diva“ aus „Norma“, die wir nur 24 Stunden zuvor im Sferisterio genießen durften. Villari tritt als todesmütiger „unbekannter Prinz“ souverän und selbstbewusst auf – der glaubwürdigste Widerpart zur „Prinzessin aus Eis“, dieser ebenfalls großartigen Turandot der russischen Sopranistin Olga Maslova. „Giacomo Puccini, Turandot
Macerata Opera Festival, 10. August 2024“
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Macerata Opera Festival 2024 präsentiert „Norma“ mit schönen Stimmen

Prova generale Norma © Sferisterio / PhSimoncini

Kein Zweifel – „Norma“ ist eine stimmlich überaus anspruchsvolle Oper: Maria Callas setzte in ihrer Aufnahme der legendären „Casta Diva“ aus dem Jahr 1954 mit Tullio Serafin am Dirigentenpult den zeitlosen Standard, oft von Weltklasse-Sopranistinnen angestrebt, variiert und mit musikalischen Verzierungen angereichert (jüngst: Cecilia Bartoli mit dem exzellenten Giovanni Antonini am Pult), aber nie ganz erreicht.

Vincenzo Bellini
Norma

Dirigent: Fabrizio Maria Carminati

Regie: Maria Mauti

FORM-Orchestra Filarmonica Marchigiana
Coro Lirico Marchigiano

Chorleiter: Martino Faggiani

Arena Sferisterio, Macerata Opera Festival, 9. August 2024

von Dr. Charles E. Ritterband

So ist es ein Wagnis, dieses eher selten aufgeführte und fast nie im Repertoire der großen Opernhäuser geführte Werk noch dazu in einem Open-Air-Festival auf die Bühne zu bringen und die etwas verquere Handlung einigermaßen plausibel zu präsentieren.

Das exquisite Macerata Opera Festival tat im 60. Jahr seines Bestehens eben dies und das Resultat ist stimmlich überzeugend – zumindest was die beiden Protagonistinnen, Rivalinnen und am Ende Verbündete Norma (die Sopranistin Marta Torbidoni) und Adalgisa (Mezzo Roberta Mantegna) betrifft. Weniger glanzvoll die männlichen Hauptrollen und wahrlich kein großer Wurf die Inszenierung von Maria Mauti. „Vincenzo Bellini, Norma
Arena Sferisterio, Macerata Opera Festival, 9. August 2024“
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Das Macerata Opera Festival glänzt mit einer phänomenalen „Lucia“

Foto © Macerata Opera Festival, Lucia di Lammermoor

Einsame Weltklasse – die Neuinszenierung von Donizettis Meisterwerk „Lucia di Lammermoor“ in der einzigartigen Arena Sferisterio der Stadt Macerata in den italienischen  Marken schlägt alles. Die auf die riesige, leere Bühne projizierten Videos des sturmgepeitschten Meeres, des gewaltigen Wasserfalls (der vom Blut eines aus Eifersucht ermordeten Mädchens blutgetränkte Brunnen beim Grab der Mutter), die Projektion einer von Krähenschwärmen gespenstisch umflatterten schottische Burgruine und des holzgetäfelten Interieurs des Schlosses der Lammermoors  ersetzen meisterhaft die Kulissen – abgesehen von vier Gestellen mit Lanzen, deren eine Lucia zum Mord an ihrem ungeliebten Ehegatten Arturo Bucklaw entwendet. Phänomenal ist nicht nur diese überaus beeindruckende Inszenierung (Regie: Jean-Luis Grinda, Bühne: Rudy Sabounghi), die als Freilichtaufführung erst ihre volle dramatische Wirkung entfaltet – Weltklasse ist diese Lucia (Ruth Iniesta), welche die berühmte Wahnsinnsarie hinreißend wie kaum eine zweite Sopranistin unserer Tage auf die Bühne bringt, Weltklasse ist der Edgardo des Tenors Dmitry Korchak und der sicherlich virtuoseste Glasharmonikaspieler (der Solist bei den Wiener und Berliner Philharmonikern, Instrumentenbauer und Musikpädagoge Sascha Reckert), der je in einer Inszenierung der „Lucia“ deren Wahnsinnsarie begleitet hat.

Gaetano Donizetti
Lucia di Lammermoor
nach “The Bride of Lammermoor” von Sir Walter Scott

Macerata Opera Festival, 14. August 2023

von Dr. Charles E. Ritterband

Dirigent: Jordi Bernàcer
Regie: Jean-Luis Grinda
Bühne: Rudy Sabounghi
Video design: Étienne Guiol
Kostüme: Jorge Jara
Glasharmonika: Sascha Reckert

Lucia: Ruth Iniesta
Sir Edgardo di Ravenswood (Lucias Geliebter): Dmitry Korchak
Lord Arturo Bucklaw (Lucias ungeliebter Gatte): Paolo Antognetti
Lord Enrico Ashton (Lucias Bruder): Davide Luciano

FORM-Orchestra Filarmonica Marchigiana

Coro Lirico Marchigiano “V. Bellini”
Chormeister: Martino Faggiani

Eine Spitzenbesetzung: Die junge Spanierin Ruth Iniesta bringt als Lucia eine Stimme voll Leucht- und Strahlkraft auf die Bühne, welche in dieser Partie (in der man ja alle legendären Sängerinnen, von Callas bis Gruberova, in Erinnerung hat) heute möglicherweise einzigartig ist. Schon ihr schieres Durchhaltevermögen durch die zerklüftete Gebirgslandschaft der Koloraturen in den beiden Teilen der berühmten Wahnsinnsarie – ganz abgesehen von der zarten Einfühlsamkeit in diese tragische Figur – nötigte dem Publikum der Arena von Macerata höchsten Respekt und minutenlangen  Applaus ab.  „Gaetano Donizetti, Lucia di Lammermoor
Macerata Opera Festival, 14. August 2023“
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Das Macerata Opera Festival begeistert mit legendärer „Traviata“-Inszenierung und einem erstklassigen Tenor

La Traviata, Macerata Opera Festival © Marilena Imbrescia

Das renommierte Macerata Opera Festival faszinierte mit der Wiederaufnahme seiner legendären „Spiegel“-Inszenierung der „Traviata“ aus dem Jahr 1992. Einem hervorragenden Tenor (Anthony Ciaramitaro) stand eine Violetta mit durchzogener Stimmleistung (Nino Machaidze) und ein eher schwacher Vater Germont (Roberto de Candia) gegenüber. Dennoch: ungeteilt begeisterter Applaus im Publikum  des säulenbestandenen Halbrunds der berühmten Arena Sferisterio (ursprünglich: Ballspielplatz).

Giuseppe Verdi, La Traviata
Macerata Opera Festival, 13. August 2023


von Dr. Charles E. Ritterband     

Die knapp über 30-jährige, preisgekrönte Inszenierung unter der Regie von Henning Brockhaus sowie das  Bühnenbild von Josef Svoboda wirken auch heute 2023 noch atemberaubend:

Während der vom Orchester (Dirigent: Domenico Longo) subtil intonierten Ouvertüre hebt sich über der anfänglich völlig leeren Bühne ganz langsam eine gigantische, aus zahlreichen Spiegeln zusammengesetzte Wand. Erst jetzt wird der kunstvoll bemalte Bühnenboden, bestehend aus einem riesigen Stofftuch sichtbar – nunmehr gespiegelt wird dieses Gemälde zum zweidimensionalen Bühnenbild, in dem sich jetzt auch die Akteure widerspiegeln. Ein grandioser Effekt, der in der ganzen Inszenierung, mit wechselnden Bühnenbildern, beibehalten wird. Ja, selbst der Wechsel vom  einen zum anderen gespiegelten Hintergrund wird zum Ereignis – die Bühnenarbeiter selbst werden bei ihrer Arbeit des Zusammenrollens des einen und Ausbreiten des neuen Bühnenbildes, der Szenenwechsel wird zum Ereignis. „Giuseppe Verdi, La Traviata
Macerata Opera Festival, 13. August 2023“
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Macerata Opera Festival begeistert mit einer phänomenalen Carmen – und verwirrt mit einer skurrilen Inszenierung

Foto © Marilena Imbrescia

Leider eine vergebene Chance: Hervorragende Solistinnen und Solisten, und vor allem eine stimmlich und darstellerisch phänomenale Carmen – aber eine mehr als merkwürdige Inszenierung (Regie: Daniele Menghini), welche die Handlung fast vollständig überlagerte und von der dramatischen Interaktion der Protagonisten und ihren schauspielerischen und sängerischen Glanzleistungen in wenig erfreulicher Weise ablenkte. Schade. Denn der Rahmen der großartigen „Arena Sferisterio“ im mittelalterlichen Städtchen Macerata, inmitten der landschaftlich wunderbaren italienischen „Marche“-Region wäre einzigartig; eine verschenkte Chance für eine wahrhaft einmalige „Carmen“.

Georges Bizet
Carmen

Libretto Henri Meilhac/Ludovic Halévy

In französischer Sprache

Macerata Festival, 6. August 2023

Regie: Daniele Menghini

Dirigent: Donato Renzetti
Lyrischer Chor Marchigiano „V. Bellini“
Leitung: Martino Faggiani
Chor „I Zamberletti“
Leitung: Gian Luca Paolucci

Bühne: Davide Signorini
Kostüme: Nika Campisi

Carmen: Ketevan Kemoklidze
Don José: Ragaa Eldin
Escamillo: Fabrizio Beggi
Michaëla: Roberta Mantegna
Harlekin/Schauspielerin: Valentina Picello

FORM Orchestra Filarmonica Marchigiana

von Dr. Charles E. Ritterband (Text und teilweise Fotos) 

Voll großer Erwartungen betritt man diesen einzigartigen Bau – die „Arena Sferisterio“ im mittelalterlichen Städtchen Macerata: Eingeweiht im Jahr 1829, erbaut nicht etwa für Theater- oder gar Opernaufführungen (Theater gab es hier erst ab 1843), sondern für Ballspiele („Gioco del Pallone“) – mit ihrer grandiosen, im Halbrund angeordneten Säulenhalle (56 dorische Steinsäulen mit 18 Meter Höhe) und 3000 Sitz- sowie 6000 Stehplätzen. An sich eine fantastische Antithese zur Arena von Verona, rund vier Autostunden von Macerata entfernt. Man betritt das gewaltige Bauwerk durch ein pompöses, fast schlossartiges Portal, das heute als Foyer dient, passiert dann die engen halbrunden Gänge, die entfernt an die römische Arena von Verona erinnern, und betritt dann das riesige Freilufttheater, das so gewaltig ist, dass einem für eine Sekunde der Atem zu stocken scheint. „Macerata Opera Festival 2023, Georges Bizet, Carmen,
Macerata Festival, 6. August 2023“
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