CD-Besprechung:
Streichquartette von Debussy und Szymanowski
Belcea Quartet
Alpha Classics, ALPHA1074
von Dirk Schauß
Zwei Komponisten, zwei Sprachen, ein inneres Leuchten. Claude Debussy und Karol Szymanowski begegnen sich in dieser Aufnahme, erschienen bei Alpha Classics, nicht als Vertreter verschiedener Epochen, sondern als Verwandte im Geist. Beide suchten nach Farben, nach einem Klang jenseits akademischer Schablonen. Das Belcea Quartet bringt diese Suche mit einer Unmittelbarkeit zum Klingen, die irritiert und beglückt zugleich.
Debussys einziges Streichquartett, 1893 vollendet, war eine Herausforderung an das Pariser Publikum seiner Zeit. Kein hübsches Salonstück, kein gefälliges Lehrbeispiel der Form, sondern ein Stück voller Widersprüche. Der Beginn (Animé et très décidé) wirkt wie ein Aufbruch: entschlossen, motorisch, glühend. Der typische impressionistische Dunst ist hier kein Thema – das Belcea Quartet spielt mit klarer Linie und kontrollierter Spannung. Jede Stimme hat Gewicht, jede Phrase einen inneren Atem. Debussy experimentiert mit zyklischer Form, verbindet alle Sätze durch ein thematisches Band, das unruhig weiterwandert.
Im zweiten Satz (Assez vif et bien rythmé) schleicht sich ein mediterranes Temperament ein. Es tanzt, es zündet, es erinnert eher an südliche Hitze als an Pariser Nebel. Das Belcea Quartet kostet diese rhythmische Keckheit aus, ohne sie zu glätten. Es klingt nach Bewegung, nach flirrender Luft. Dann das Andantino: ein Moment, in dem die Zeit ihre Richtung verliert. Die Streicher lassen die Phrasen schweben, die Violine singt mit einer Intensität, die sich schwer beschreiben lässt – süß und rätselhaft zugleich. Das Finale beginnt in Unruhe, wie ein tastender Gedanke, der plötzlich Fahrt aufnimmt. Was hier geschieht, ist keine bloße Reprise, sondern eine Neugeburt des Themas – entschlossener, freier, mit jener Mischung aus Anmut und Trotz, die Debussy so eigen war.
Szymanowskis erstes Quartett in C-Dur, Opus 37, stammt aus dem Jahr 1917 – eine Zeit, in der die Welt zu zerbrechen schien. Der Komponist suchte in dieser Zerrissenheit nach Ordnung, und er fand sie nicht im System, sondern im Klang. Der Beginn, ein Lento assai, öffnet sich wie ein Vorhang: hochliegende Geigentöne über einem geheimnisvollen Grund. Dann setzt Bewegung ein, das Allegro moderato entfaltet sich mit einer Spannung, die keinen Stillstand kennt. Die Musik scheint auf der Suche nach einem Ziel, das sie nicht erreichen darf.
Im Andantino semplice verwandelt sich diese Unruhe in Zartheit. Es ist wie ein schlichtes Lied, aber das Unschuldige kippt schnell ins Nachdenkliche. Das Belcea Quartet spielt diesen Satz mit feinem Gespür für innere Bewegungen – nicht süßlich, sondern ehrlich, beinahe scheu. Der Schlusssatz dagegen ist ein Schlag ins Gesicht: Scherzando alla burlesca – hier tobt ein groteskes Spiel. Szymanowski lacht, aber nicht herzlich. Es ist ein Lachen mit geschlossenen Zähnen, ein Ausdruck von Überdruss und Ironie. Die Musiker werfen sich die Phrasen zu wie Funken, manchmal rau, manchmal flackernd leise. Und plötzlich, zwischen den Ausbrüchen, blitzt Zärtlichkeit auf – ein kurzer Moment, dann wieder Stille.
Das zweite Quartett, Opus 56, geschrieben 1927, zeigt einen reiferen, verschlosseneren Szymanowski. Hier hat der Komponist seine Klangsprache gefunden, in der sich polnische Volksmelodik, arabische Ornamentik und persönliche Visionen überlagern. Der erste Satz (Moderato) beginnt mit einer Art Atmen – wellenartig, spannungsvoll, als würde jemand nach innen lauschen. Das Belcea Quartet gestaltet diese Musik mit Geduld, lässt sie sich entfalten, ohne zu erklären. Es gibt keine Geste zu viel.
Dann der Mittelsatz (Vivace scherzando): unruhig, aufbegehrend, ja widerspenstig, aber mit klarem Willen. Szymanowski benutzt hier das Wort „Scherzando“, als wolle er die Tradition auf die Probe stellen. Humor klingt an, doch er ist scharfkantig, nicht verspielt. Die Musiker halten das aufrecht, geben der Musik Ecken und Widerstand. Kein glattpolierter Ton, kein Zufluchtspunkt – alles bleibt in Bewegung. Das abschließende Lento ist der Ruhepunkt, wenn man das so nennen darf. Aber es ist keine Versöhnung. Es ist eine stille Klage, getragen, resigniert, unendlich weit. Das Belcea Quartet lässt den Klang nach innen sinken, nicht nach außen strahlen.
Was dieses Ensemble auszeichnet, ist seine Fähigkeit, Komplexität durchsichtig zu machen. Man hört vier Persönlichkeiten, die sich gegenseitig belauern und stützen. Die Artikulation bleibt präzise, die Dynamik organisch. Sie übertreiben nicht – sie erzählen. Die technische Perfektion steht im Dienst der Substanz, nie umgekehrt.
Die Aufnahmequalität von Alpha Classics ist ein Glücksfall. Der Klang ist warm und körpernah, mit Raumtiefe und jener unaufdringlichen Präsenz, die gute Aufnahmetechnik selten bietet. Man hört das Atmen der Musiker, das leichte Knarzen der Bögen – alles bleibt Teil der Musik, nichts wird wegretuschiert.
In dieser Zusammenstellung steckt eine kleine Dramaturgie: Debussy als der, der die Tür öffnet, Szymanowski als der, der hindurchgeht und die Welt dahinter erkundet. Beide sind Suchende, beide misstrauen klaren Antworten. Das Belcea Quartet nimmt diese Haltung an, spielt mit einem Ohr im Jetzt, mit dem anderen im Vergangenen.
Wer diese CD hört, erlebt keine akademische Kopplung, sondern eine Begegnung. Debussy, der Träumer mit den genauen Ohren. Szymanowski, der Mystiker, der aus Schmerz Schönheit formt. Und vier Musiker, die diese beiden in ein Gespräch bringen, das weit über Noten hinausreicht. Am Ende bleibt ein Gefühl von Helligkeit – nicht beruhigend, eher flirrend. Musik, die nicht stillstehen will, die etwas aufrührt, das man nicht benennen kann.
Dirk Schauß, 15. Oktober 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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