Russisches Feuerwerk: Hecker & Helmchen lassen ihr Duo brennen

CD-Besprechung: From Eastern Europe Sonaten für Cello und Klavier  klassik-begeistert.de, 21. Okotber 2025

CD-Besprechung:

From Eastern Europe
Sonaten für Cello und Klavier

Marie-Elisabeth Hecker, Cello
Martin Helmchen, Klavier

Alpha Classics, ALPHA827

von Dirk Schauß

Es gibt Einspielungen, die einen nicht einfach überzeugen, sondern fesseln. Das neue Doppelalbum von Marie-Elisabeth Hecker und Martin Helmchen gehört in diese Kategorie. Zwei CDs, fünf Komponisten, eine gemeinsame Sprache – und die klingt so vertraut, als würde sie seit Jahren geübt, geformt, gelebt. Kein Wunder: Das Duo spielt seit anderthalb Jahrzehnten zusammen, und vieles aus ihrem Repertoire ist, wie sie selbst sagen, „mit ihnen gewachsen“.

Die Idee für dieses Projekt kam beiden offenbar gleichzeitig – so, als hätte sie in der Luft gelegen. Schon lange fühlen sich Hecker und Helmchen besonders zur osteuropäischen Musik hingezogen, geprägt durch Lehrerinnen und Mentoren wie Boris Pergamenschikow, Galina Iwanzowa oder Mstislaw Rostropowitsch. Sie wollten eine Sammlung schaffen, die diese künstlerische Herkunft spürbar macht. Ursprünglich trug das Projekt den Arbeitstitel „Cellosonaten aus Russland“, doch schnell wurde klar: Das greift zu kurz. Weinberg ist Pole, Strawinsky längst Weltbürger, Prokofjew ein Sohn der Ukraine, Schnittke halb Deutscher – also wurde daraus „From Eastern Europe“.

Der Auftakt mit Schostakowitschs Sonate in d-Moll, Opus 40, ist ein Manifest ihres gemeinsamen Stils: kein heroischer Donner, kein betontes Drama, sondern kontrollierte Intensität. Hecker phrasiert warm und geschmeidig, Helmchen hält das Klavier in präziser Spannung – und das alles klingt, als entstünde es in diesem Moment. Es ist kein Musizieren über die Musik, sondern in ihr.

Schnittkes erste Sonate führt die beiden dann in ein Terrain zwischen Ironie und Verzweiflung. Sie verstehen diese Musik nicht als akademisches Rätsel, sondern als Seelenzustand. Wo andere den grotesken Witz betonen, suchen Hecker und Helmchen nach den Rissen dahinter – nach dem Punkt, an dem das Emotionale kippt. Sie spielen die Brüche, nicht die Glätte. Dabei bleibt die Aufnahme trotz aller emotionalen Dichte erstaunlich klar – warm im Klang, durchsichtig in der Struktur.

Mit Strawinskys „Suite italienne“ kippt die Stimmung ins Helle. Nach den existenziellen Tiefen kommt plötzlich eine Brise Leichtigkeit herein. Helmchen scheint am Klavier zu tanzen, Hecker kontert mit verschmitztem Charme – eine ironische, sanft tänzelnde Miniaturensammlung, die zeigt, dass beide Musiker auch Humor können.

Auf der zweiten CD wird der Ton wieder ernster. Weinbergs zweite Cellosonate ist ein Werk voller stiller Spannungen, das hier wie ein leises Kammerspiel zwischen Nähe und Distanz erscheint. Das Duo nimmt sich Zeit, lässt Pausen zu, ohne dass der Bogen reißt. Ihre Interpretation zeigt, dass die Musik Weinbergs nicht nur Tragik, sondern auch Wärme in sich trägt.

Dann Prokofjew: eine Sonate, die mit jeder Phrase zwischen Aggression und Poesie pendelt. Hecker gestaltet das Andante grave mit einer Ernsthaftigkeit, die nichts Theatralisches hat – eher eine stille Entschlossenheit. Helmchen reagiert auf sie, ohne zu folgen oder zu führen. Dieses Gleichgewicht, dieses nonverbale Einverständnis, ist das Fundament ihrer Partnerschaft. Beide wissen, wann sie loslassen müssen – und wann nicht.

Dass diese Balance kein Zufall ist, versteht man, wenn man mehr über ihre Arbeitsweise weiß. Hecker und Helmchen betonen, dass sie sich zunächst auf professioneller Ebene begegneten, bevor sie ein Paar wurden. Das habe, so sagen sie, ihre Zusammenarbeit geprägt: Die Disziplin blieb, das Vertrauen kam dazu. Heute proben und spielen sie mit einer Selbstverständlichkeit, die auf tiefem gegenseitigem Verständnis beruht. Viele Dinge müssen gar nicht mehr ausgesprochen werden – sie ahnen einfach, was der andere tun wird. Diese blindwache Intuition hört man in jedem Takt.

Rachmaninows g-Moll-Sonate schließlich ist der Gipfel – technisch, emotional, atmosphärisch. Helmchen hat sie als eines der schwierigsten Werke seines Lebens bezeichnet, komplexer als manches Klavierkonzert. Doch was hier am Ende steht, klingt nicht nach Mühe, sondern nach Freiheit. Kein überbordender Rachmaninow mit Zuckerguss, sondern einer von innen heraus leuchtender. Hecker singt förmlich durch ihr Cello, Helmchen antwortet mit einem Klang, der eher glüht als glänzt.

Was dieses Album so stark macht, ist die Verbindung aus Konzentration und Leichtigkeit. Man spürt das Vertrauen, das aus jahrelangem Zusammenspiel gewachsen ist, aber auch den Willen, immer wieder neu anzufangen. Diese Mischung aus Präzision und Spontanität verleiht der Musik eine Lebendigkeit, die jenseits von Studioästhetik liegt.

Auch der Klang verdient Erwähnung: warm, detailreich, nah. Man hört die Atmung, die feinen Bogengeräusche, den Raum selbst. Das lässt die Aufnahmen intim wirken, gerade so, als säße man mit den Musikern in einem kleinen Saal, in dem jedes Wort zählt.

Diese Doppel-CD ist weniger eine Sammlung von Sonaten als eine Erzählung über Beziehung – über Dialog, Resonanz, gegenseitige Wachheit.

Wenn die letzte Note von Rachmaninow verklingt, bleibt eine Stille, die man nicht stören möchte. Vielleicht ist das das größte Kompliment, das man einer Aufnahme machen kann: dass sie einen für einen Moment sprachlos zurücklässt.

Hecker & Helmchen haben kein weiteres „Repertoire-Album“ aufgenommen, sondern ein Herzensprojekt. Ein Album, das sich anhört, als hätte es einfach geschehen müssen. Und man ahnt: Es wird nicht ihr letztes bleiben.

Dirk Schauß, 20. Oktober 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Martin Helmchen Klavier, Anja Bihlmaier Dirigentin, Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen Konzerthaus Die Glocke Bremen, 24. Februar 2024

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