Gustav Mahler ist in Amsterdam Chefsache

CD-Besprechung: Gustav Mahler/Complete Symphonies  klassik-begeistert.de, 31. Mai 2025

CD-Besprechung:

Gustav Mahler

Complete Symphonies
The Chief Conductors Edition
Royal Concertgebouw Orchestra

RCO 25003

von Peter Sommeregger

Kein anderes bedeutendes Orchester hat eine so intensive Beziehung zum symphonischen Werk Gustav Mahlers wie das Amsterdamer Elite-Orchester. Dies geht schon auf seinen langjährigen Chefdirigenten Willem Mengelberg zurück, der ein freundschaftliches Verhältnis zum Komponisten pflegte. Mengelberg war es auch, der 1920 in Amsterdam ein Mahler-Fest veranstaltete, bei dem sämtliche Symphonien aufgeführt wurden. Das Fest findet in unregelmäßigen Abständen statt, 2025 ist es wieder soweit.

Es darf daher nicht verwundern, dass die Mahler-Tradition des Concertgebouw-Orchesters besonders gepflegt wird. Mit Ausnahme des Gründungsdirigenten Willem Kes haben sich alle sechs ihm nachfolgenden Chefdirigenten des traditionsreichen Klangkörpers intensiv mit Mahlers Werk auseinandergesetzt.

Es ist ein Glücksfall, dass von sämtlichen dieser Dirigenten Aufnahmen Mahlerscher Symphonien erhalten sind, die nun diese ganz besondere Edition der Chefdirigenten ermöglicht.

Mengelbergs Live-Aufnahme der 4. Symphonie vom November 1939 fällt in die ersten Monate nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges und damit in eine Zeit, in der Mahlers Musik in seiner Heimat nicht mehr aufgeführt werden durfte. Altersbedingt ist das Klangbild, aber die Aufnahme wurde sorgfältig restauriert und gibt einen authentischen Eindruck vom Dirigierstil des später sehr umstrittenen Musikers. Das Sopransolo war Jo Vincent anvertraut, die später in Otto Klemperers Aufnahme von Mahlers 2. Symphonie ebenfalls als Solistin zu hören ist.

Mengelbergs Nachfolger Eduard van Beinum ist mit der dritten Symphonie vertreten, die Live-Aufnahme entstand 1957, knapp zwei Jahre vor dem Herztod des Komponisten. Van Beinum hatte den autoritären Stil seines Vorgängers nicht übernommen, konnte aber den hohen Standard der Orchesterkultur halten. Er selbst hatte noch Bernard Haitink als seinen Wunschnachfolger bestimmt.

Von Bernard Haitink sind naturgemäß deutlich mehr Aufnahmen vorhanden. Die 6. Symphonie erklingt in einer Live-Aufnahme vom Dezember 2001, die 9. wurde knapp 10 Jahre später, im Mai 2011 mitgeschnitten. Zusätzlich wurde in die Edition auch das „Lied von der Erde“ unter Haitink aufgenommen. Das ist eine logische Ergänzung, da Mahler selbst das erst posthum uraufgeführte Werk als Symphonie mit Gesang verstanden wissen wollte. Anna Larsson und Robert Dean Smith erreichen als Solisten leider nicht die Qualität der Sänger einer früheren Plattenaufnahme des Werkes durch Haitink.

Ganze 27 Jahre behielt Haitink die Chefposition, die 1988 an Riccardo Chailly überging. Dieser ist mit der 1., der 5. und der durch Deryck Cooke rekonstruierten 10. Symphonie vertreten – von letzterer wird üblicherweise nur das von Mahler vollendete Adagio aufgeführt. Chailly blieb 16 Jahre an der Spitze des Orchesters. Ihm folgte 2004 Mariss Jansons nach, der mit den Symphonien 7 und 8 in der Edition vertreten ist. Die monumentale 8., auch Symphonie der Tausend genannt, erklingt mit einem multinationalen Ensemble und zusätzlichen Chören in einer Aufnahme vom März 2011.

Nur für kurze Zeit von 2016 bis 2018 war Daniele Gatti Chefdirigent des Orchesters. Wegen Vorwürfen aus der „Me too“-Bewegung trennte sich das Orchester schon nach zwei Jahren wieder von ihm. Eindrücklich ist seine im September 2016 aufgezeichnete Aufführung der 2., der „Auferstehungs-Symphonie“ mit den Solistinnen Chen Reiss und Karen Cargill.

Die Bedeutung dieser reizvollen Edition liegt neben der Würdigung der einzelnen Dirigenten in dem Nachweis der Kontinuität der Mahler-Pflege des Orchesters, und in der Herausarbeitung der spezifischen Eigenheiten des Klangkörpers, dessen Tradition über die wechselvolle Rezeptionsgeschichte des Komponisten Mahler nachgezeichnet wird.

Sie ist damit ein bedeutender Beitrag zur Mahler-Diskographie.

Peter Sommeregger, 31. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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