„Ein wunderbarer Mitschnitt eines wunderbaren Konzertes in einem wunderbaren Album! Tipp: Weihnachten steht bald schon wieder vor der Tür. Dieses Album ist ein sehr schönes Präsent zum Weihnachtsfest, zumal es ja auch Franz-Xaver Grubers „Silent Night“ in einer sehr anrührenden Bearbeitung des Brentano-Quartetts als Abschluss enthält.“
CD-Besprechung „Into the Fire“,
Joyce DiDonato & Brentano String Quartet, 2. Dezember 2020
von Dr. Holger Voigt
Diese Zusammenstellung ist ein Live-Mitschnitt eines Konzertes in der ehrwürdigen Wigmore Hall in London, ein feinakustisches Juwel Londons, hervorgegangen aus der 1901 eingeweihten Bechstein Hall, die nach dem deutschen Pianofabrikanten Carl Bechstein benannt wurde. Dieser Konzertsaal zeichnet sich durch eine exzellente Akustik aus, insbesondere für Kammermusik und Vokalwerke. Man kann es auf dieser CD deutlich hören.
Das Konzert ist nicht nur eine Reverenz an Claude Debussy zu dessem 100. Todestag. Sie geht vielmehr weit über diese Bezugsetzung hinaus. Wer Joyce DiDonato kennt, weiss, dass sie stets eine inhärente Programmatik verfolgt, was man heute als „Konzeptalbum“ bezeichnet. Auf dieser CD zentriert sich fast alles um die historische Geschichte der Bildhauerin und Malerin Camille Claudel, ihre zerstörerische Liebesbeziehung zu ihrem Mentor und Geliebten Auguste Rodin, dem sie künstlerisch praktisch ebenbürtig war, und das ihr zugestossene Schicksal von Demütigung und Entrechtung. Ihr Leben endete 1943 in einer Heil- und Pflegeanstalt – 26 Jahre, nachdem Rodin gestorben war (1917), der sie trotz seiner Zusage nie geehelicht und ein Leben an ihrer Seite wohl nie ernsthaft erwogen hatte.
Der zeitgenössische US-Amerikanische Komponist Jake Heggie (geboren 31. März 1961) hat unter dem Titel „Into The Fire“ gesprochene biografische Reflektionen, die Camille Claudel zugeschrieben werden (Gedichte) bzw. werden können (Mitteilungen Dritter), in Form einer Liedabfolge komponiert und arrangiert. Sie nehmen sich fast wie eine konzertante Mini-Oper für eine Frauenstimme (Mezzo-/Sopran) und Streichquartett aus. Unglaublich eindringlich singt Joyce DiDonato diese Liedtexte und dringt dabei tief in den Charakter der Protagonistin Camille Claudel ein, so dass man meinen könnte, sie erzähle von sich. Alle Facetten von Wahrnehmung und Emotionalität finden hier ihren Ausdruck. Das Brentano Streichquartett steht dem an Intensität in nichts nach.
Dieser zentrale Anteil des Konzertes verknüpft im Gesamtablauf gesehen spätromantische bzw. postromantische Kompositionen von Richard Strauss über Guillaume Lekeus und Claude Debussy (der Camille Claudel persönlich privat kannte). So kommt es hier auch zu einem programmatischen Durchschreiten musikhistorischer Zeitepochen.
Dabei ändert sich auf eindringliche Weise auch die emotionale Farbe der Werke, von hoffnungsfroher, fast naiver Gefühlsschilderung (Strauss) zu immer brüchiger werdendem musikalischen Ausdruck (Lekeus, Debussy) bis hin zur Moderne (Heggie). Das ist sicher gewollt, wobei Joyce DiDonato in Hinblick auf die Protagonistin Camille Claudel wohl auch die historische Wandlung existenzieller Bewusstwerdung in der Wahrnehmung eigener – weiblicher – Lebensentwürfe im Fokus hatte. Für Joyce DiDonato ist dieses auch eine zeithistorische Evolutionsgeschichte weiblicher Identitätsfindung. Camille Claudel steht somit tatsächlich für vieles. Die Musik umfasst dabei alle Aspekte.
Die – ausgesprochen kurzen – selten gehörten Strauss-Lieder lassen die Mezzo-Sopranstimme so warm klingen, dass man der Sängerin zurufen möchte: Bitte noch mehr Strauss! Auch die nachfolgenden Lieder zeigen die hohe Virtuosität ihrer Gesangeskunst, wunderbar eindringlich und dem Text entsprechend emotional treffsicher ausbalanciert: Eine zutiefst glaubwürdige vokale Rollengestaltung.
Das Brentano-Quartett überzeugt durchgehend mit einer homogenen klanglichen Transparenz, die es zugleich bewerkstelligt, quasi symphonische Verdichtungen zu erzeugen, wann immer dieses aus musikdramatischen Gründen erforderlich wird.
Wie ein dringend benötigter Seelentrost kommen dann zum Abschluss des Konzertes die beiden Zugaben daher: Richard Strauss’ „Morgen!“ und Franz-Xaver Grubers „Silent Night“.
Fazit: Ein wunderbarer Mitschnitt eines wunderbaren Konzertes in einem wunderbaren Album! Tipp: Weihnachten steht bald schon wieder vor der Tür. Dieses Album ist ein sehr schönes Präsent zum Weihnachtsfest, zumal es ja auch Franz-Xaver Grubers „Silent Night“ in einer sehr anrührenden Bearbeitung des Brentano-Quartetts als Abschluss enthält.
Dr. Holger Voigt, 2. Dezember 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Joyce DiDonato
Brentano String Quartet
Mark Steinberg, Violine
Serena Canin, Violine
Misha Amory, Viola
Nina Lee, Violon Cello
Richard Strauss
Lieder op. 21 Nr. 1-5 (schlichte Weisen nach Gedichten von Felix Dahn) (bearbeitet von M. Amory und M. Steinberg – Auszug)
01 Nr. 2 Du meines Herzens Krönelein
02 Nr. 1 All mein‘ Gedanken
Lieder op. 10 Nr. 1-8 (nach Hermann von Gilm: Letzte Blätter, bearbeitet von M. Amory und M. Steinberg – Auszug)
03 Nr. 3 Die Nacht
Lieder op. 21 Nr. 1-5 (schlichte Weisen nach Gedichten von Felix Dahn, bearbeitet von M. Amory und M. Steinberg – Auszug)
04 Nr. 3 Ach Lieb, ich muss nun scheiden
Lieder op. 29 Nr. 1-3 (nach Otto Julius Bierbaum; bearbeitet von M. Amory und M. Steinberg – Auszug)
05 Nr. 1 Traum durch die Dämmerung
Guillaume Lekeu
06 Molto adagio
Claude Debussy
Trois Chansons de Bilitis I Nr. 1-3 (bearbeitet von Jake Heggie)
07 Nr. 1 La flûte de Pan
08 Nr. 2 La chevelure
09 Nr. 3 Le tombeau des naïades
Jake Heggie
Camille Claudel: Into the Fire (Lieder nach Gedichten von Camille Claudel)
10 Präludium: Awakening
11 Nr. 1 Rodin
12 Nr. 2 La valse
13 Nr. 3 Shakuntala
14 Nr. 4 La petite châtelaine
15 Nr. 5 The gossips
16 Nr. 6 L’âge mûr
17 Epilog: Jessie Lipscomb visits Camille Claudel, Montdevergues Asylum, 1929
Lieder op. 27 Nr. 1-4 (Auszug)
18 Richard Strauss: Nr. 4 Morgen! (bearbeitet von Mark Steinberg)
19 Franz-Xaver Gruber: Silent Night (Stille Nacht, heilige Nacht; bearbeitet vom Brentano String Quartet)