Das Brahms-Requiem erklingt wie am Tag der Bremer Uraufführung

CD-Besprechung: Johannes Brahms, Ein deutsches Requiem op. 45  klassik-begeistert.de, 21. März 2025

 

Kent Naganos spannendes Projekt mit verschiedenen Hamburger Chören und dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg lässt aufhorchen. In Programm und Besetzung soll es der Bremer Uraufführung möglichst nahekommen.

Johannes Brahms (1833-1897) – Ein deutsches Requiem op. 45 [Rekonstruktion der Bremer Uraufführung von 1868]

Kate Lindsey, Mezzosopran
Jóhann Kristinsson, Bariton
Veronika Eberle, Violine

Thomas Cornelius, Orgel

Chor der KlangVerwaltung

Cappella Vocale Blankenese
Chor der Kantorei St. Nikolai
Compagnia Vocale Hamburg

Franz-Schubert-Chor Hamburg
Hamburger Bachchor St. Petri
Jugendkantorei Volksdorf
Kammerchor Cantico

Vokalensemble conSonanz

Jörn Hinnerk Andresen, Leitung der Chöre

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Kent Nagano, Dirigent

BIS-2720

 von Brian Cooper, Bonn

Unerwartet, da unbestellt, flatterte mir neulich eine CD des schwedischen Edellabels BIS ins Haus, und die ist sehr willkommen. Genauer – also für alle, die es mit Erbsen und Korinthen halten – sind es zwei SACDs. Darauf zu hören: Das Brahms-Requiem in ziemlich genau jener Form, wie es am 10. April 1868, Karfreitag, im Bremer Dom zum ersten Mal erklang.

Es war ein Großereignis, vom Komponisten selbst dirigiert. Der fünfte Satz, die tröstliche Sopranarie „Ihr habt nun Traurigkeit“, wurde erst später hinzugefügt. Stattdessen spielte man nach den ersten drei Sätzen Bach, Tartini (!) und Schumann. Es folgten weitere drei Sätze des Requiems, anschließend noch die Arie „Erbarme Dich“ aus Bachs Matthäus-Passion sowie drei Teile aus Händels Messias, darunter zum Schluss das weltbekannte „Halleluja“.

Was zunächst auffällt in diesem Livemitschnitt vom August 2022 aus der Elbphilharmonie sind die von Kent Nagano perfekt gewählten Tempi. Das Ganze hat die gebührende Ruhe. Und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg beeindruckt ebenso wie die Fülle an Chören, die vom Chor der Klangverwaltung – 2000 von Enoch zu Guttenberg gegründet – angeführt und von acht Chören der Hansestadt (Hamburg diesmal) ergänzt wird. Auch das entspricht in etwa den Bedingungen der Uraufführung: Etwa 400 Sängerinnen und Sänger aus Kirchen- und Gemeindechören nahmen im Sommer 2022 teil.

Der erste Satz beginnt mit einer so himmlischen Ruhe, dass man sofort aufmerksam lauscht. Klanglich ist das wundervoll, wie immer bei BIS (hier heißt der Toningenieur Carl Talbot, der angesichts so vieler Mitwirkender sicher keine leichte Aufgabe hatte). Nur die Harfentöne wünschte ich mir ein wenig präsenter, aber das sind die oben erwähnten… Korinthen. Ein paar winzige Phrasierungen klingen unter Nagano anders, als man es gewohnt ist, und auch das sorgt für aufmerksames Hören.

„Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“ pulsiert dahin, es ist ein sehr warmer Klang, und die Crescendi, die für mich stets zu den vielen Höhepunkten zählen, sind fein austariert. Insbesondere bei „Die Erlöseten des Herrn“ zeigen sich die Chöre bestens vorbereitet und mit einer Innigkeit und Dramatik singend, dass man einfach gern zuhört.

„Herr, lehre doch mich“ wird von Jóhann Kristinsson sanglich und mit schönem Timbre intoniert, ohne das Deklamatorische anderer Baritone, an das man sich fast gewöhnt hatte. Auch dies macht diese Veröffentlichung zu einer interessanten Ergänzung für jene, die zuhause vielleicht schon eine Fülle an einschlägigen Aufnahmen haben. (Geheimtip hier für Neugierige: Robert Shaw mit dem Atlanta Symphony Orchestra and Chorus.) Die Chöre singen leidenschaftlich auf das triumphale D-Dur-Finale des Satzes hin („Der gerechten Seelen sind in Gottes Hand, und keine Qual rühret sie an“).

Es folgen drei Arrangements von Thomas Cornelius für Violine und Orgel, die hier von Cornelius persönlich gespielt wird. Veronika Eberle spielt wie stets mit klarem, innigem Geigenton den langsamen Satz aus Bachs a-Moll-Violinkonzert BWV 1041, ein kurzes Andante aus Tartinis B-Dur-Violinkonzert D 120 sowie Robert Schumanns Abendlied op. 85, Nr. 12, in einer Version von Cornelius und keinem Geringeren als Joseph Joachim.

Die folgenden drei Sätze des Brahms-Requiems, „Wie lieblich sind Deine Wohnungen“, „Denn wir haben hier keine bleibende Statt“ und „Selig sind die Toten“, knüpfen an das hohe Niveau der ersten drei an, auch wenn mancher bei den Worten „Tod, wo ist Dein Stachel?“ etwas mehr Gänsehaut erwarten mag.

Kate Lindsey singt die Arie „Erbarme Dich“ mit zartem Schmelz, Veronika Eberle bewältigt den mehr als begleitenden Violinpart mit unwiderstehlicher Innigkeit und sparsamem Vibrato. Die Händel-Chorstücke überzeugen. Deutsch gesungen und, was mich verblüffte, arrangiert von Mozart! Hier ist der schlanke Klang des groß besetzten Philharmonischen Staatsorchesters hervorzuheben. Wie wandelbar zwischen Romantik und Barock, das ist eine Wucht.

Musikwissenschaftlich begleitet wurde das Projekt von Wolfgang Sandberger, dem Leiter des Brahms-Instituts an der Musikhochschule Lübeck, der auch den erhellenden Booklet-Text geschrieben hat.

Ich ertappte mich dabei, wie gut ich noch die Bass-Stimme kenne und innerlich mitsang. Schöne Erinnerung an unseren ambitionierten Schulchor…

Was ich bei BIS feststelle: Die (SA)CDs laufen noch lange weiter, nachdem der letzte Ton erklungen ist. Was hat es wohl damit auf sich? Ein Statement pro Entdeckung der Stille? Und eine weitere Frage, mit Augenzwinkern: Ob Robert von Bahr, der Gründer des Labels, schon seinen Tesla verkauft hat?

„Wer wäre an diesem Tag nicht gerne im Bremer Dom dabei gewesen?“, fragt Professor Sandberger im Booklet-Text. In der Tat! Ende August 2022 wäre zumindest für den Schreiber dieser Zeilen auch schön gewesen. Ihr habt wirklich eine reiche Musiklandschaft in Hamburg, angefangen mit den vielen Chören!

Dr. Brian Cooper, 21. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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