CD-Besprechung:
Jules Massenet
L’ADORABLE BEL-BOUL (Die bezaubernde Bel-Boul)
Operette in einem Akt (1873)
(Maguelone Triton TRIHORT 588)
von Jean-Nico Schambourg
Haben Sie schon einmal die bezaubernde Bel-Boul gesehen? Nein, keine Sorge, Sie haben nichts verpasst: Sie ist hässlich, sie hinkt, sie hat einen Buckel, sie schielt und sie hat dazu noch einen üblen Charakter.
Zum Glück sehen wir sie in dieser Geschichte nie persönlich. Selbst ihr Vater, der Kaufmann Ali-Bazar, kann das Geheimnis dieser abstoßenden Erscheinung nicht erklären, denn er selbst ist doch so ein schöner Mann! Er wird es nie schaffen, sie zu verheiraten um sie loszuwerden! Sein alter Freund Omar würde sie zur Frau nehmen, verlangt aber für dieses Opfer von Ali-Bazar eine Mitgift von 1.000 Zechinen. Unter keinen Umständen will dieser soviel Geld zahlen! Also bleibt sie ledig!
Schade auch für Zaï-Za, sein schönes Mündel, das nur heiraten darf, wenn Bel-Boul unter der Haube ist. Zaï-Za wurde gerade von einem jungen Mann, Hassan, aus einer heiklen Situation gerettet. Während einer Derwisch-Darbietung in der Moschee, wo der bekannte Sidi-Toupi getanzt hat, verlor sie ihren Schleier, was einen großen Skandal auslöste, aus dem sie nur durch das Eingreifen des jungen Mannes gerettet werden konnte. Nun erscheint dieser junge Mann und hält um ihre Hand an. Ja, aber dazu muß zuerst Bel-Boul verheiratet werden.
Die perfekte Gelegenheit bietet sich, als der Derwisch höchst persönlich kommt, um die schöne Frau, deren Gesicht er am Morgen gesehen hat, zur Frau zu nehmen. Fatime, Zaï-Zas Dienerin und Freundin, lässt ihn glauben, die schöne Frau, die er gesehen habe, heiße Bel-Boul. Ihr Vater verberge sie jedoch unter einem Schleier und nenne sie hässlich, um eventuelle Verehrer abzuschrecken.
Sidi-Toupi lässt sich von Ali-Bazars Warnungen nicht entmutigen und verspricht, Bel-Boul zu heiraten. Er ist sogar bereit, 1.000 Zechinen zu zahlen, sollte er, aus welchem Grund auch immer, auf die Heirat verzichten. Dazu kommt es natürlich als er die echte Bel-Boul kennen lernt. Er zahlt die 1.000 Zechinen an Ali-Bazar, der dann die Mitgift seinem Freund Omar geben kann. Sobald Bel-Boul vermählt ist, wird Zaï-Za Hassan heiraten. Um einen Skandal zu vermeiden, wird Sidi-Toupi bei seinen wirbelnden Derwisch-Tänzen bleiben, vorausgesetzt, dass auch die Damen im Publikum versprechen, die ihm unangenehme Geschichte geheim zu halten.
Dies ist die Geschichte von „L’adorable Bel-Boul“ (Die bezaubernde Bel-Boul), einer einaktigen Operette aus dem Jahr 1873 von Jules Massenet! Ja, bevor er zum Komponisten der großen Tragödien wurde, die wir von ihm kennen, hat er dieses entzückende kleine komische Werk komponiert. Er orchestrierte es jedoch nicht, sondern beließ es bei der Gesangspartitur mit Klavierbegleitung und fügte nur hier und da einzelne Instrumente hinzu: ein zweites Klavier für die Ouvertüre, eine Klarinette und Posaune für Sidi-Toupis Arie und den Schlusswalzer sowie eine Gitarre für Hassans Serenade.
Diese Serenade verwendete er später im zweiten Satz seiner Orchestersuite „Scènes pittoresques“ von 1874, sowie in einer Melodie unter dem Namen „Nuit d’Espagne“. Im Übrigen verliert sich Massenet nicht in Melodien orientalischen Charakters, sondern passt den Kompositionstil den verschiedenen Situationen und Figuren dieser Komödie an. Ali-Bazar und Sidi-Toupi zeichnen sich beide durch ihre albernen Allüren aus und ihr großartiges Duett erinnert an die großen Vorbilder auf diesem Gebiet, Rossini oder Donizetti.
Die Aufnahme wurde im April 2023 und Mai 2024 gemacht und ist eine Weltpremiere. Sie präsentiert ein Ensemble, das sich bestens mit dem Stil der französischen Buffa auskennt. Didier Henry, ein renommierter Interpret französischer Melodien, bringt die nötigen Parlando-Eigenschaften mit für die Rolle des Ali-Bazar mit, ebenso wie Christophe Crapez für die des Sidi-Toupi. Julien Henric verleiht Hassan sein charmantes lyrisches Tenor-Timbre. Die beiden Frauenstimmen von Héloïse Koempgen und Gaëlle Mallada harmonieren perfekt im Duett von Zaï-Za und Fatime sowie in den anderen Ensembles.
Am Klavier fordert Sylvie Leroy zum Tanz auf und bringt nicht nur den Derwisch, sondern auch diese ganze bezaubernde kleine Geschichte zum schwingen.
Einziger Wermutstropfen dieser Veröffentlichung: Das Begleitheft enthält nicht den Text der Operette. Der Hörer muss ihn von der Website „maguelone.fr“ herunterladen, wo es ihn allerdings nur in Französisch gibt.
Jean-Nico Schambourg, 28. Oktober 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Jules Massenet, Werther Konzertante Premiere an der Deutschen Oper Berlin, 23. Juli 2025
Jules Massenet, Werther Opéra Royal de Wallonie-Liège, 19. April 2025