CD-Besprechung:
Les Divas d’Offenbach
Véronique Gens, Sopran
Chœur et Orchestre National des Pays de la Loire
Hervé Niquet, musikalische Leitung
Alpha Classics, Alpha1168
von Dirk Schauß
Wer Véronique Gens kennt, kennt sie vor allem als versierte Sängerin des französischen Repertoires. Die Bandbreite ist groß: Rameau und Debussy, eine Tragödin mit aristokratischem Gestus und natürlich als Sängerin, die sich durch Berlioz’ Partituren bewegt wie durch einen Salon des 18. Jahrhunderts. Nun also: Offenbach. Operette. Leichte Muse. Man reibt sich die Ohren – und stellt fest, dass diese scheinbare Stilgrenze eine künstliche war. Denn was auf „Les Divas d’Offenbach“ zu hören ist, hat mit der Grand Dame durchaus zu tun, nur eben mit einer, die sich endlich erlaubt, auch mal die Maske fallen zu lassen.
Dreizehn verschiedene Werke sind auf dieser CD versammelt, von den großen Kassenschlagern wie „La Grande-Duchesse de Gérolstein“ bis zu heute nahezu unbekannten Titeln wie „Boule de Neige“ oder „Dragonette“. Offenbach zeigt sich hier in seiner ganzen Bandbreite: als Satiriker, als Melodiker, als Komponist, der zwischen Boulevard und Bühnenkunst mühelos die Balance hielt. Dass „La Boulangère a des écus“ im 19. Jahrhundert ein Riesenerfolg war und heute praktisch nie gespielt wird, ist eines jener Rätsel der Theatergeschichte, die sich nicht rational erklären lassen.
Véronique Gens geht dieses Repertoire mit bemerkenswerter Unbekümmertheit an. Sie spielt nicht die große Opernsängerin, die sich zur Operette herablässt – sie taucht ein in eine Welt, die ihr offenbar näher liegt, als man vermutet hätte. Ihre deklamatorische Kunst, die sie in der Mélodie perfektioniert hat, zahlt sich hier doppelt aus: Wenn Text und Subtext, Wort und Witz, Oberfläche und Abgrund so eng beieinander liegen wie bei Offenbach, braucht es eine, die beides auszuloten weiß. Und Gens weiß es.
Natürlich gibt es Momente, in denen die Stimme nicht mehr ganz das tut, was sie vor zwanzig Jahren tat. Manche Spitzentöne klingen angespannt, hier und da fehlt die mühelose Leichtigkeit. Aber ehrlich: Wen interessiert das? In einem Repertoire, das von Timing, von gesprochenem Witz, von der Kunst des richtigen Atemholens vor der Pointe lebt, sind solche vokalen Marginalien zu verschmerzen. Gens kompensiert das Wenige, was ihr an stimmlicher Jugendlichkeit fehlt, durch das Mehr an Erfahrung, an interpretatorischer Intelligenz, an schierem Können.
Hervé Niquet am Pult des Orchestre National des Pays de la Loire erweist sich als idealer Partner für dieses Abenteuer. Er kennt dieses Repertoire in- und auswendig, weiß genau, wo es schäumen darf und wo es Eleganz braucht. Das Orchester spielt mit Verve, ohne ins Grobe zu verfallen, und die beiden Instrumentalnummern – das „Ballet des Chimères“ aus „Le Voyage dans la lune“ und das symphonische Zwischenspiel aus „Robinson Crusoé“ – beweisen, dass Niquet auch ohne Gesangsstimme zu fesseln weiß. Hier zeigt sich Offenbach plötzlich als Symphoniker, der durchaus wusste, wie man ein Orchester zum Glänzen bringt.
Was macht den Reiz dieser Aufnahme aus? Es ist die Entdeckerfreude, die sich durch alle Titel zieht. Hier wird nicht ein x-tes Mal die „Barcarole“ aus den „Contes d’Hoffmann“ bemüht, sondern es werden Türen zu einer Theaterwelt geöffnet, die uns heute fremd geworden ist. Ein vergangenes Empire mit seinen Kokotten und Generälen, seinen Intrigen und Amouretten, seiner eleganten Dekadenz – all das lebt in diesen Arien und Couplets wieder auf.
Alpha Classics hat dem Projekt eine vorzügliche technische Ausstattung gegeben. Die Aufnahme besticht durch Transparenz und Wärme, der Chor sitzt bestens im Klangbild, und die Dramaturgie folgt einem inneren Spannungsbogen, der die knappe Stunde wie im Flug vergehen lässt.
„Les Divas d’Offenbach“ ist weit mehr als ein kurioser Ausflug einer Opernsängerin ins leichtere Fach. Es ist ein eine klare Aussage: dass die Grenzen zwischen E und U künstlicher sind, als die Musikgeschichtsschreibung uns weismachen will. Dass Offenbach ein Komponist von Format war, dessen Werke mehr Aufmerksamkeit verdienen. Und dass Véronique Gens eine Künstlerin ist, die sich nicht in Schubladen stecken lässt. Das Ergebnis: Ein Album, das glänzend unterhält und zugleich zum Nachdenken anregt. Besser kann man Offenbach nicht ehren.
Dirk Schauß, 25. Oktober 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Musikfest Bremen, Jacques Offenbach Bremer Konzerthaus Die Glocke, 16. August 2025
Sommereggers Klassikwelt 221: Bei der Sängerin Lisa della Casa verbinden sich Kunst und Schönheit