CD-Besprechung:
Mit Spannung wurde es erwartet: „Opus 109 – Beethoven · Bach · Schubert“, das neue Album von Víkingur Ólafsson. Bachs Goldberg-Variationen hatte er endlos rauf- und runtergespielt. Damit hat er sich einen Namen gemacht. Nun taucht er in andere Gefilde. Beethoven ist kein Bach – oder doch?
Op. 109, die erste der letzten drei großen Klaviersonaten von Beethoven, die enden auch in einem Satz aus Thema und Variationen. Somit lag es nahe: Wenn schon Beethoven, dann die Sonate in E-Dur. Das Ergebnis ist erstaunlich.
von Jürgen Pathy
Der erste Gedanke, beim Reinhören in die Demoversion, die von der Deutschen Grammophon vor der Veröffentlichung des Albums versendet wurde: Ha, das muss eine MIDI-Aufnahme sein, Computersound, mechanisch irgendwie. Spielt da überhaupt ein Mensch? Aber bereits nach einigen Takten entpuppt sich der vermeintliche Elektrosound als etwas, das einen tief hineinzieht.
Mehr Beethoven sollte Ólafsson spielen
Ein leichtgewichtiger Beethoven ist es, den Víkingur Ólafsson präsentiert, aber: mit viel Kraft. Durchsichtig und klar, wie immer bei Ólafsson – die linke Hand ist deutlich zu hören, genauso wie die Melodielinien der rechten. Durch den zweiten Satz, Prestissimo notiert, saust er gar nicht schneller als andere Kollegen. Eine Überraschung beinahe: Wer Ólafsson live kennt, weiß, dass er Tempi gerne enorm ausreizt. Langsam – grenzt schon mal an schleichend, schnell an Flucht. Aber Ólafsson spielt den Satz punktierter, klarer als viele andere.
Im Andante, molto cantabile hat es Beethoven notiert, singend also, spätestens ab da ist man nur mehr verblüfft, wie er diese Kurve gekratzt hat. Vom anfänglich vermeintlichen Elektrosound hin zu einem Beethoven, der komplett entrückt wirkt, jenseitig, mit viel Leichtigkeit jedoch.
Der Anschlag sanft. Jede einzelne Note mit enormer Sorgfalt gesetzt. Wie beim eröffnenden Thema und Variation Nr. 1 – als würde eine Fee über einen Teich schweben und ab und zu, ganz kurz nur, die Oberfläche mit einer Zehenspitze berühren. Um danach in der Unendlichkeit des Seins zu entschwinden. Mit solcher Vorsicht erforscht der kühle Blonde aus Island den letzten Satz aus Beethovens Spätwerk (1820), der bereits voll ertaubt war. Nur wenn notwendig, greift Ólafsson ordentlich in die Tasten seines Steinway-Flügels.
Vom Schwergewicht zum Leichtgewichtstitel
Dafür muss man diese Einspielung feiern. Weitaus mehr noch als seine Goldberg-Variationen. Die Distanziertheit und der Pragmatismus eines Beamten sind gewichen, mit denen Ólafsson zumindest live im Wiener Konzerthaus Bachs opus magnum angelegt hatte. Stattdessen formt er Beethoven wie einen Halbschwergewichtsboxer, der nun im Leichtgewicht antritt. Opus 109 abgespeckt, nur – und das ist das Faszinosum dieser Einspielung: mit demselben Punch in der Rechten, gepaart mit der Leichtfüßigkeit in der Beinarbeit.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 7. Dezember 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Víkingur Ólafsson, Klavier Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 2. Dezember 2025