Mehr als ein Best of Mozart verbinden

Der neue Schauspieldirektor, neu zusammengestellte Musik von W.A. Mozart  Puppentheater Halle, Oper Halle, 1. Oktober 2022 (Premiere)

Sebastian Fortak (Puppenspieler), Vanessa Waldhart, Luise Friederike Hennig (Puppenspielerin)© Anna Kolata

Puppentheater Halle , Oper Halle, 1. Oktober 2022 (Premiere)
Saal im Puschkinhaus

Staatskapelle und Ballett Halle,
Michael Wendeberg, Dirigent


Der neue Schauspieldirektor

Komisches Singspiel mit neu zusammengestellter Musik  von Wolfgang Amadeus Mozart. Libretto von Ralf Meyer nach Mozarts „Der Schauspieldirektor“ (1786) von Johann Gottlieb Stephanie dem Jüngeren.

von Dr. Guido Müller

Was entsteht, wenn sich Sängerinnen wünschen, was sie immer schon mal oder wieder von Mozart singen wollen und daraus ein neues Werk entsteht, das wie der ursprüngliche „Schauspieldirektor“ von Mozart auch noch in aktuelle soziale und politische Kontexte als Auftragswerk des Kulturstaatssekretärs (Ähnlichkeiten mit lebenden Personen in Sachsen-Anhalt wären rein zufällig – gespielt von Sebastian Fortak) gestellt wird? Und wenn das Ganze auch noch auf die Bühne des international renommierten Puppentheaters Halle gestellt wird, deren Intendant Christoph Werner außer der Oper Halle und der Staatskapelle auch noch gleich das Ballett dazu einlädt. Auch als Sprecherin in ihrer Muttersprache sehr schön die Tänzerin Margherita Sabbadini und Choreografie Michal Sedláček.

Margherita Sabbadini © Anna Kolata

Es kommt an den Bühnen Halle eine Ko-Produktion vom Allerfeinsten zustande, die sehr viel mehr ist als ein nur „Best of Mozart“. Das Publikum kann fast alle Melodien mitsummen von den beiden Arien der Konstanze „Ach ich liebte“ und „Martern aller Arten “ (in Perfektion der perlenden Koloraturen gesungen und anrührend gespielt von Vanessa Waldhart, die die schwere Rolle im Sommer in Rheinsberg mit großem Erfolg kreiert hat) über das Adagio aus dem Klavierkonzert A-Dur KV 488 (das war neben einem Stück von Anton Webern op. 7 wohl das Wunschstück von dem Pianisten Michael Wendeberg) bis zur Arie der Gräfin aus „Le Nozze di Figaro“ „Dove sono“ (sehr berührend interpretiert von KS Romelia Lichtenstein). Die Kammersängerin demonstriert damit nicht nur, wie gut sie noch den für die Stimme immer gesunden Mozart singen kann, sondern die gleich auch ihren Schauspieler-Ehemann und Mozarteum-Professor Jörg Lichtenstein als den „neuen Schauspieldirektor“ mit in die Produktion gebracht hat – wie es das Programm andeutet geht die Idee des Stücks sogar auf das Paar zurück, die als Stück im Stück köstlich auch Szenen ihrer Ehe darstellen.

Eine geradezu geniale Idee ist es, die berühmte Arie der Königin der Nacht „Der Hölle Rache“ im Duett von Romelia Lichtenstein („Die hohen Töne schaffe ich nicht mehr“, gesteht sie dem Publikum mit selbstironischem Augenzwinkern) und der Koloratursopranistin Vanessa Waldhart singen zu lassen. Sehr viele Ideen der Künstler sind dabei überhaupt in den Entstehungsprozeß eingeflossen. Und die Puppendarsteller improvisieren sogar – wie sie es gewohnt sind, wenn sie sich im Eifer des Einsatzes einen Finger abschlagen und dann meinen, bei ihnen sei das im Gegensatz zu einem Geiger nicht schlimm. Überhaupt kommen die Puppen mit ihrem eigenen Charme auch  im Zusammenspiel mit den anderen sehr häufig zum Einsatz (Lars Frank mit Herrn vom Holz, Sebastian Fortak als Albert und Luise Friederike Hennig als Clementine).

Vanessa Waldhart, Romelia Lichtenstein © Anna Kolata

Der schauspielerische Rahmen der anderthalb Stunden ohne Pause ist durch die Konkurrenzen sehr treibend, hochgeputscht und konfliktbeladen. So gibt es im Kontrast dazu viel innehaltende Musikstücke. Eigentlich ist die antreibende Idee ein Aufstand der Puppen, die sich gegenüber der auch finanziell viel besser ausgestatteten Oper und Staatskapelle, ja selbst dem Ballett, benachteiligt fühlen, gegen die anderen Abteilungen der Bühnen Halle. (Da das Puppentheater in Halle und international ein hohes Ansehen genießt, entspricht das aber nicht der Realität, so auch der Leiter des Puppentheaters Christoph  Werner – auch nur eine listige Lüge – zu dem Thema unten noch mehr).

Das rasante Stück (mit dem Tempo und Witz hätte es sicher auch Mozart Spaß gemacht) ist voller Anspielungen auf typische Konfliktsituationen und der Theatralik (auf dem Theater ebenso wie die speziellen an den Bühnen Halle). So amüsiert sich das Publikum köstlich und die Lacher kommen fast im Minutentakt. Außerdem erhält jede Musiknummer viel Beifall.

Vanessa Waldhart, Romelia Lichtenstein, Luise Friederike Hennig (Puppenspielerin), Margherita Sabbadini © Anna Kolata

Doch es geht nicht nur um Unterhaltung. So wie in dem neuen „Zauberflöten“-Duett der beiden Soprane ergibt sich am Ende aber die Botschaft, wie aus Streit und der bewusst dargestellten Diversität aber auch Kooperation und damit ein wunderschönes Neues entstehen kann. Das schöne Finale aus der „Entführung aus dem Serail“ am Ende erhält so auch einen neuen Text. Das ist auch die Botschaft der Künstler an das Publikum und an die Regierenden in einer Zeit immer stärker widerstreitender Partikularinteressen und gesellschaftlichen gegenseitigen Unverständnisses und Streits in den sozialen Medien und auf den Straßen.

Dabei gibt es noch eine weitere, für Manche vielleicht provozierende Botschaft der Künstler: „Nirgends wird so viel gelogen wie am Theater. […] Lügen sind der Kitt im gesellschaftlichen Umgang, Form von Höflichkeit und Ausdruck guter Sitten.“ (Librettist Ralf Meyer im Programm). Besonders viele sympathisierende Lacher erhält so auch die Sentenz des großen portugiesischen Dichters Fernando Pessoa aus dem Munde des neuen Schauspieldirektors (den Jörg Lichtenstein, früher mal der „Faust“ am Schauspiel Halle NT, sehr komisch gibt, nachdem er sich aus dem Korsett des Professors gelöst hat): „Der Künstler lügt, täuscht so geschickt, dass er selbst den Schmerz vortäuscht, der ihn wirklich plagt.“

Margherita Sabbadini, Romelia Lichtenstein, Sebastian Fortak (Puppenspieler), Vanessa Waldhart, © Anna Kolata

Und für welche Kunstgattung sollte das wohl mehr gelten als für die Oper. Und da geht es nicht ohne Musiker. So verdient die Staatskapelle Halle ein Sonderlob (mit vielen sehr gelungenen Soloeinlagen u.a. der ersten Geige, Klarinette und Bassethorn) unter dem Dirigenten Michael Wendeberg, der nicht nur sein großes musikalisches Talent sondern auch seine schauspielerische und komische Begabung sehr schön mit einbringen kann.

Das stark mit Prominenz aus dem Kulturleben durchsetzte Publikum dankt allen am Ende mit nicht endenwollendem Beifall. Ist es sonst schon schwierig Karten für das in kleinem Raum im Puschkin-Haus spielende Puppentheater zu bekommen, so wird diese Produktion sicher ein Renner. Man sollte sich also rasch um Karten bemühen.

Dr. Guido Müller, 4. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Ein Gedanke zu „Der neue Schauspieldirektor, neu zusammengestellte Musik von W.A. Mozart
Puppentheater Halle, Oper Halle, 1. Oktober 2022 (Premiere)“

  1. Dank des farben- und klängefrohen Artikels war ich mittendrin und fast dabei… Danke!!
    Wär doch auch eine wundervolle Idee für Salzburg …
    Wolfgang Amadeus und ich wären schon mal dafür und sicher dabei !!
    Herzliche Grüsse aus den Bergen und der Stadt der Mozartkugeln.
    Gabriele Fiorini

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