Foto: Thomas Koy/BWG24_Gaja Napast
Eindrücke vom 53. Bundeswettbewerb Gesang
Berlin, Konzertsaal Hardenbergstraße, 24.-28.11.2024
Finalrunden
von Kirsten Liese
Die schönste Stimme gehörte der Slowenin Gaja Napast. Mit ihrem warmen, silbrigen Timbre und von großer Zärtlichkeit bestimmten Händel- und Mozart-Interpretationen überragte die 22-Jährige aus Ljubljana den 53. Bundeswettbewerb Gesang. Bis hin zur passenden Garderobe gelang ihr ein perfekter Auftritt.
Mehr als verdient gewann sie für ihre berührende Darbietung der Arie „Piangerò la sorte mia“ aus Händels Musikdrama Giulio Cesare in Egitto den Preis der Stiftung Rosenbaum für die besonders überzeugende Darbietung einer Barock-Arie. Und streng genommen hätte ihr der erste Preis des Regierenden Bürgermeisters in der Kategorie Oper gebührt. Die Jury konnte sich am Ende aber nur auf den zweiten Preis für sie einigen, was ein Licht darauf wirft, wie weit die Meinungen auseinander gingen. Bedenkenlos räumte Deborah Polaski, eine der fünf Juroren, die nicht ganz einfachen Verhandlungen ein.
Für die Sängerinnern und Sänger aber geht es durchaus um viel, um bedeutsame Weichen für ihren weiteren Werdegang. Schon zahlreiche Karrieren haben mit einem hohen Preis im Bundeswettbewerb Gesang gestartet. Schaut man in die Historie, tun sich Namen wie Thomas Quasthoff, Christine Schäfer, Bernd Weikl, Stella Doufexis, Doris Soffel oder Christoph Prégardien auf.
Insofern erscheint es durchaus schmerzlich, wenn gleich mehrere sehr große Talente auf der Strecke blieben und beim Preisträgerkonzert mit weit mehr Publikum nicht dabei sein werden.
Dagegen konnte sich Bassist Manuel Winckhler über den ersten Preis im Bereich Oper freuen, auch wenn sein Auftritt in der letzten Runde nicht perfekt geriet. Mit seiner mächtigen Stimme empfahl er sich gewiss als einer der Besten unter den wenigen männlichen Teilnehmern, sein Vortrag der Arie des Zaccaria aus Verdis Nabucco geriet aber stellenweise unsauber in der Intonation. Und was die Textausdeutung des letzten ernsten Gesanges von Johannes Brahms betrifft, blieb noch viel Luft nach oben.
Eine Woche lang waren die Juroren stark gefordert: Rund 75 Stimmen galt es nach einigen krankheitsbedingten Absagen in der ersten Finalrunde zu beurteilen, darunter vereinzelte noch sehr junge unter 20 Jahren und ein einziger Countertenor. Da fragte man sich schon, welche Qualitäten den Ausschlag für ein Weiterkommen gaben.
Deborah Polaski verwies auf die Bedeutsamkeit des Stimmsitzes vorne im Mund, aber das war gewiss nur eines der Kriterien.
Auch wenn ich die Preise überwiegend anders verteilt hätte, halte ich der Jury zugute, dass sie sich nicht allein von imposanter Gesangsartistik, Risikobereitschaft und großer Durchschlagskraft beeindrucken ließ, die einige Sopranistinnen an den Tag legten. Und sich wohl erhofften, mit Bravourarien von Verdi, Leoncavallo, Donizetti oder Bellini aus dem Heer der Konkurrentinnen abzuheben. Dass ein solch schwereres Repertoire eine junge Stimme eher noch gefährden kann, zeigte sich teils an dem sehr engen Vibrato einiger Sängerinnen.
Eher belohnt wurde eine so ausgezeichnete Textausdeutung wie sie Bariton Matthias Lika in seine Schumann-Interpretationen einbrachte, erster Preisträger im Bereich Konzert. Da waren in bester Verständlichkeit packende Geschichten zu erleben.
Die größten Entdeckungen ließen sich aber unter den lyrischen Sopranen ausmachen. Die erst 19-jährige Spanierin Victoria Herraiz Crone, die mit großer Natürlichkeit eine Arie aus Händels Oper Alcina meisterte, schaffte es leider nicht in die letzte Runde des Finales.
Die ein Jahr ältere Olga Surikova, der bei ihren Darbietungen aus Oper und Operette außer dem Liebreiz ihrer hellen, schlanken Stimme eine für ihr junges Alter bemerkenswerte Bühnenpräsenz einbrachte, gewann immerhin den ersten Förderpreis der Walter Kaminski Stiftung sowie den Sonderpreis des Bundesverbandes deutscher Gesangspädagogen.
Weitere treffliche Lyrische, die bei der Preisvergabe beschämend leer ausgingen, lernte ich in Neima Fischer, Daniela Zib, und Serafina Starke kennen. Katrīna Paula Felsberga mit ihrem schönen Janowitz-ähnlichen Timbre gewann zumindest den Preis der Walter Kaminski-Stiftung für den besten Vortrag einer zeitgenössischen Komposition.
Unter den Mezzosopranistinnen ist das ausladende Ziegenvibrato leider stärker verbreitet. Umso stärker steht zu bedauern, dass die vorzügliche Sophie Kidwell, die ihren Mezzo schlank in alle Register führt und vor allem mit ihren Vorträgen aus Bizets Carmen und einem Lied von Gustav Mahler die Aufmerksamkeit auf sich zog, ebenfalls von der Jury übersehen wurde. Mezzo Theresa Bertrand, die ebenfalls Mahler mit besonders runder schöner Tongebung meisterte, gewann immerhin im Bereich Konzert den zweiten Preis.
Eine Auszeichnung begründet jedoch keineswegs die einzige Motivation für die teilnehmenden Kandidatinnen und Kandidaten.
So bitter es mitunter für ein großes Talent ist, mit keinem Preis bedacht worden zu sein, so bedeute doch allein schon die Teilnahme am Finale eine große Chance, sagt Neima Fischer angesichts der Möglichkeit, von Agenten und Intendanten gehört zu werden. Bei aller Enttäuschung, für ihre herausragenden Leistungen nicht honoriert worden zu sein, ist sie selbstbewusst entschlossen, sich davon nicht entmutigen zu lassen.
Serafina Starke, die nicht zum ersten Mal am Bundeswettbewerb Gesang teilnahm, hat bereits erfahren, dass sich ein langer Atem auszahlt: Ungeachtet ausgebliebener Auszeichnungen in früheren Jahren sprach sich ihr Name bis zu Riccardo Muti herum, unter dessen Leitung die Sopranistin mir erstmals im vergangenen Jahr mit ihrer hellen, schönen Stimme in einer Schubert-Messe bei den Salzburger Festspielen auffiel. Mittlerweile ist sie im Opernstudio der Berliner Staatsoper angekommen, und beim diesjährigen 53. Bundeswettbewerb Gesang gewann sie immerhin einen geteilten Preis der Walter und Charlotte Hamel Stiftung.
Kirsten Liese, 3. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Termin für das Abschlusskonzert ist, 9. Dezember 2024 um 19:30 Uhr in der Staatsoper Unter den Linden Es spielt die Staatskapelle Berlin unter Giuseppe Mentuccia. Frederik Hanssen moderiert.