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Rudi Stephan (1887-1915) / Musik für Orchester
Max Bruch (1838-1920) / «Kol Nidrei» für Violoncello und Orchester op. 47
Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) / Symphonie Nr. 11 g-Moll op. 103 «Das Jahr 1905»
Felix Bender / Dirigent
Julia Wasmund / Violoncello
Das Philharmonische Orchester der Stadt Ulm
Congress Centrum Ulm, 1. April 2025
von Julian Führer
Ein in seiner Vielfalt, aber auch in seinem Anspruch beeindruckendes Programm war in Ulm zu hören. Gleich zu Beginn eine der wenigen vollendeten Kompositionen von Rudi Stephan – er starb mit nur 28 Jahren als Soldat im Ersten Weltkrieg. Rudi Stephan fordert einen großen Orchesterapparat. Der Beginn des Stückes ist mysteriös gehalten. In der „Musik für Orchester“ werden musikalische Motive verarbeitet, zueinander in Beziehung gesetzt, es gibt aber weder einen leitenden Titel oder ein Programm wie bei einer symphonischen Dichtung – was nichts daran ändert, dass das Ende mit Unterstützung der Harfe fast rauschhaft ist.
Das Philharmonische Orchester der Stadt Ulm wurde von seinem Generalmusikdirektor Felix Bender dirigiert, der mit plastischen Gesten die komplexe Partitur als Abfolge musikalischer Situationen transparent machte. Die zeittypisch dichte Struktur der Musik erfordert ein zu Abstufungen fähiges Orchester, die ordnende Hand des Dirigenten und auch einen Saal, der die Klangberge nicht zu Klangbrei werden lässt. In dieser Hinsicht ist das CCU Ulm bemerkenswert: Die Holztäfelungen an den Wänden des Orchesterpodiums sorgen für starke Vibrationen, der recht hohe Raum und die akustische Einrichtung aber für einen kontrollierbaren Nachhall.
Fast ein Ruhepol war «Kol Nidrei» von Max Bruch, ein Adagio für Violoncello und Orchester von etwa 1880, das Motive der jüdischen Musik in einem etwa zehnminütigen Stück verarbeitet, das alles in einem Dialog mit Julia Wasmund am Cello mit recht viel Vibrato. Viele innige und im klassischen Sinne «schöne» Momente ließen aufhorchen. Das Orchester unter Felix Bender begleitete die Solistin, die selbst Mitglied des Philharmonischen Orchesters ist, mit sehr guter Balance, wofür es zur Pause einen verdienten großen Applaus gab, gefolgt von einer Zugabe, die Julia Wasmund mit ihrer Orchesterkollegin Anne Schumacher aus der Cellogruppe zu Gehör brachte.
Das ambitionierte Ulmer Programm wurde nach Seltenem und fast Abseitigem mit Sperrigem fortgesetzt – wie soll man sich der 11. Symphonie g-Moll op. 103 von Dmitri Schostakowitsch nähern? Mehrmals in den letzten Jahren haben vor der Aufführung Dirigenten noch ein paar Worte ans Publikum gerichtet und sozusagen einen Warnhinweis mitgeliefert. Im Ulm ließ Bender die Musik sprechen. Der erste Satz dauert nicht weniger als 20 Minuten und scheint zunächst Stillstand zu transportieren. Es „passiert“ tatsächlich nicht viel, dennoch wäre es wünschenswert gewesen, dass nicht mehrere Besucher aus den vorderen Reihen während der laufenden Aufführung aufstehen und den Saal verlassen… Sie haben einiges verpasst.
Dmitri Schostakowitsch verwendet in der elften Symphonie Liedgut, das zur Zeit der Uraufführung 1957 gerade Älteren noch sehr geläufig war: Lieder auf den Zaren, zunächst in der Flöte, dann etwas drängender in den (an diesem Tag leider nicht gut aufgelegten) gestopften Trompeten und den Hörnern, aber diese kurzen Aufwallungen werden immer wieder zurückgenommen. Die scharf hervorgehobenen Dissonanzen ließen in Ulm keinen Zweifel daran, dass die ‚Sache‘ nicht gut ausgehen würde. Und in der Tat – im zweiten Satz brodelt es in der immer mehr anwachsenden Menschenmenge, bis die Garde des Zaren in die Menge schießt.
Wie auch einige Wochen zuvor unter Michael Sanderling in Düsseldorf wurde die große Trommel immer dominanter bis zu dem Moment, wo sich die Musik im Kreis zu drehen scheint und mitten im Satz scheinbar abrupt aufhört. Die stark beanspruchten Ohren des Publikums sehen zuerst und hören erst dann, dass die Violinen dieselben Quinten wie zu Beginn spielen, allerdings mit einem wie zitternden Triller.
Am geschlossensten gelang der dritte Satz, der Trauergesänge aus der frühen Sowjetzeit verwendet – „eine freie Seele kann nicht gefesselt werden. Tod euch Tyrannen!“ Dieses Lied „Unsterbliche Opfer“ (Вы жертвою пали) ertönt in den Bratschen, wird komplett wiederholt, beim dritten Mal unter der Leitung von Felix Bender auf einmal noch langsamer und wie sich verlierend und dann in einen großen Trauerchoral des Bleches mündend, aus dem ein Aufschrei des ganzen Orchesters wird.
Packende Aufführungen merkt man sehr schnell daran, dass das Husten aufhört. – Der sich kämpferisch gebende Schlusssatz kam gerade in dieser Aufführung immer vergnügter daher; wer Schostakowitsch etwas kennt, kennt diese Clownsfratze, die immer vordergründig bleibt. Der fast hüpfende Rhythmus mündet in eine Explosion des Schlagwerks, dann in ein langes Englischhornsolo, seit Wagners Tristan mit viel Gefühl, aber auch Trauer konnotiert. Die letzten Minuten gehören dann dem Sturmgeläut mit einer mächtigen Steigerung der großen Trommel und einer zum Schluss plötzlich abreißenden Musik. „Wahnsinn“, entfuhr es der Dame in der sechsten Reihe spontan.
Der große Saal des CCU war sehr gut gefüllt, das Publikum applaudierte begeistert und feierte einzelne Musiker (zum Beispiel an der Pauke) wie Popstars. Ulm kann stolz sein, einen so flexiblen Klangkörper zu besitzen und mit Felix Bender einen Dirigenten zu haben, der vor großen Werken und anspruchsvollen Stücken nicht zurückschreckt.
In Ulm gibt es am 8. Mai die posthume Uraufführung einer Oper von Charles Tournemire von 1939, und am 27. Mai folgt Mahlers Siebte unter Felix Bender. Man sollte es sich nicht entgehen lassen.
Julian Führer, 7. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at