Dokumentarfilm: Ai Weiweis TURANDOT – „Alles ist Kunst. Alles ist Politik"

Film: Ai Weiweis TURANDOT/Ein Dokumentarfilm von Maxim Derevianko  Kinostart am 16. Oktober 2025

 

Ai Weiweis TURANDOT
Ein Dokumentarfilm von Maxim Derevianko (Regie, Drehbuch, Kamera) und Michele Cogo (Drehbuch)

Ein Film von Maxim Derevianko
Land: Italien, USA 2025
Länge: 77 Min.
Kinostart: 16. Oktober 2025

Filmverleih: RISE AND SHINE CINEMA

Kinostart am 16. Oktober 2025

Previewtermine in 5 deutschen Städten vom 8. bis 12. Oktober 2025

von Ralf Krüger

Es hätte ein wundervoller Opernfilm werden können. Die Kamera gleitet schwelgerisch durch die Kulissen des Teatro dell’Opera di Roma. Wir sind im ersten Akt von „Turandot“ und der Mandarin verkündet dem Volk von Beijing jene Klausel, die besagt, dass nur heiraten darf die schöne Prinzessin, wer ihre drei Rätselnüsse knacken kann.
Es ist der Augenblick, da sich der Zuschauer nochmal in seinen ohnehin bequemen Kinosessel hineinkuschelt, dem schönen Gesang lauscht und die Übersetzung der Worte in Form eines wirklich beglückenden Text-Designs serviert bekommt. Doch Stopp! Dies ist kein Opernfilm! Dies ist ein Dokumentarfilm über eine Oper, ihre Inszenierung, ihren Regisseur. Und dies ist in erster Linie ein Film über den chinesischen Aktionskünstler, Bildhauer und Aktivisten Ai Weiwei.

Es ist die Zeit vor Corona, als die Direktion des römischen Opernhauses Herrn Ai Weiwei das Angebot unterbreitet, Giacomo Puccinis „Turandot“ zu inszenieren.

Der Zuschauer sieht den Künstler im Kreise der Theaterleute beim Vorstellungsgespräch. Er erzählt davon, dass er vor vielen Jahren als Statist bei einer „Turandot“-Aufführung in New York wirkte, nur um ein wenig Geld für Essen und Trinken zu verdienen. In diese Zeit falle auch seine Bekanntschaft mit der Choreografin Chiang Ching, die er für die Produktion in Rom gewinnen konnte. Dann beginnt das eigentlich Interessante an diesem Film:

Er begleitet die Geburt einer Oper am Theater, von den ersten Schritten bis hin zur Reife. Klavierproben, Szenenabläufe, Blicke ins Kostümatelier, Regieanweisungen. Man sieht den Grundriss des Bühnenbildes, man erlebt, wie sich ein Puzzle ins andere fügt. Laut dem Portal Operabase zeichnet Ai Weiwei hier für Regie, Bühnenbild, Kostüme und Videoeinspielungen verantwortlich. Der Film zeigt einen konzentriert arbeitenden Regisseur, der nie hektisch und aufbrausend agiert und dem die Freude an der Arbeit ins Gesicht geschrieben steht.

Was mich beim Betrachten des Filmes sichtlich störte, waren die vielen Statements der Beteiligten. Der Direktor des Hauses, natürlich Ai Weiwei selbst, die Choreografin, der Sänger des Prinzen Calàf und andere dürfen wieder und immer wieder ihre Meinung äußern. Da griff die Film-Produktion auf die übliche Einblendung der deutschen Untertitel zurück und das Mitlesen rief auf Dauer beim Betrachter eine gewisse Müdigkeit hervor.

Und bei einer Doku über Ai Weiwei wird es auch immer um Politik gehen. Schon das Filmplakat zitiert ihn mit der Aussage „Alles ist Kunst. Alles ist Politik.“ Damit ist vorgegeben, dass Details seiner Biografie, seines künstlerisch-politischen Wirkens in China und anderswo zur Sprache kommen.

140 Jahre lang hat das Teatro dell’Opera di Roma ohne Unterbrechung gespielt, sagt der Direktor des Hauses. Auch zwei Weltkriege konnten ihr Spiel nicht aufhalten. Doch Corona brachte alles zum Erliegen. Die Kamera fängt die Trauer aller Mitwirkenden der „Turandot“-Produktion sehr genau ein. Die Zeit, da das Virus unser öffentliches Leben lahmlegte ist schon ein paar Jahre her und ein wenig in Vergessenheit geraten. Doch dieser Film dokumentiert den Moment des Schreckens, als alles bekannt wurde, nochmal sehr genau.

Als die Arbeit am Theater wieder anläuft, lernen wir Oksana Lyniv kennen. Sie leitet und führt das Opern-Orchester bis zur Premiere. Wir nehmen an einer intensiven Orchester-Chor-Probe teil. Frau Lyniv lobt den Chor und findet, er sei ein wichtiger Bestandteil der Oper. Wir sehen das Titelblatt des sehr umfangreichen Partitur-Buches und erfahren etwas über die Schwierigkeiten Puccinis, (noch zu Lebzeiten) einen vernünftigen Schluss zu finden. Doch auch hier grätscht die Tagespolitik in die Arbeit am Opernhaus hinein. Einen Monat vor der Premiere überfällt Russland die Ukraine und der Krieg in Europa beginnt. Oksana Lyniv ist gebürtige Ukrainerin und ihren Gedanken lauscht man ergriffen.

Und dann fegt da jemand die Opernbühne. Als ob uns der Filmemacher Maxim Derevianko sagen will: Leute kommt runter, entspannt euch, lasst die Politik für einen Moment außen vor, genießt die Kunst! Ja, da fegt wirklich jemand die leere Bühne, im matten Licht der Scheinwerfer. Wahrscheinlich kurz vor dem großen Tag, auf den alle hingearbeitet haben. Am 22. März 2022 ist die Premiere von Puccinis „Turandot“ am Teatro dell’Opera di Roma in der Inszenierung von Ai Weiwei.

Zum Schluss sehen und hören die Zuschauer dieses Dokumentarfilmes noch Michael Fabiano. Der Herr Tenor gibt den geheimnisvollen Prinzen Calàf, der die drei Rätsel der Prinzessin Turandot lösen konnte. Er gab ihr wiederum auch ein Rätsel auf, das Rätsel um seinen Namen. Jetzt in der Nacht, da keiner schläft, und Jede und Jeder nach seinem Namen forscht, singt er Nessum dorma. Der Text ist in deutscher Sprache mitzulesen und für mich im Kinosessel war für drei Minuten diese Welt wieder in Ordnung.

Am 25. April 2026 jährt sich zum hundertsten Male der Tag der Uraufführung von „Turandot“. Vielleicht gibt es einen Operndirektor, der diesen Termin im Auge hat!

Ralf Krüger, 8. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert