Irlands Blackwater Festival glänzt mit Händels „Giulio Cesare“

Georg Friedrich Händel, Giulio Cesare  Blackwater Valley Opera Festival, 29. Mai 2024

FREE REPRO: Ingeborg Brocheler [contralto] and Sharon Carty [mezzo], John D Kelly Photography

Zum 14. Mal findet unter der künstlerischen Leitung des Schweizer Regisseurs Dieter Kaegi vor dem Schloss Lismore Castle in der südirischen Grafschaft Waterford das führende Opernfestival Irlands statt: Mit Händels sechster und vielleicht anspruchsvollster Oper „Giulio Cesare“, die vor genau drei Jahrhunderten, nämlich im Februar 1724, im King’s Theatre in London Haymarket mit enormem Publikumserfolg uraufgeführt wurde.

Dieses Timing ist ein Geniestreich des Festivals – und ebenso wie bei der Londoner Erstaufführung ist der Publikumserfolg gesichert. Ein perfektes Barockorchester unter der subtilen Stabführung von Nicholas McGegan, eine präzise, stimmige, witzige und lebendige Regieführung (Tom Creed) und ein durchwegs hervorragendes Ensemble von Sängerinnen und Sängern, welche ihre anspruchsvolle Aufgabe tadellos meisterten.

Georg Friedrich Händel, Giulio Cesare

Blackwater Valley Opera Festival, 29. Mai 2024

Dirigent: Nicholas McGegan

Regie: Tom Creed
Bühne und Licht: Aedín Cosgrove
Kostüme: Catherine Fay

The Irish Baroque Orchestra

von Dr. Charles E. Ritterband

Wenn sich Irlands führendes Opernfestival, das Black Water Valley Festival nahe der südirischen Stadt Cork, in seinem 14. Aufführungszyklus an Händels vielleicht anspruchsvollste Barockoper „Giulio Cesare in Egitto“ wagt, so sind die Erwartungen entsprechend hoch. Wie auch bei der letztjährigen Aufführung von Verdis „Macbeth“ wurden sie auch dieses Jahr nicht enttäuscht: Eine durchwegs gelungene Produktion, mit tadelloser Regie und ausnahmslos hervorragenden Sängerinnen und Sängern.

Prachtvolles Schloss – offen für Milliardäre mit dicker Brieftasche

Das Festival findet vor dem grandiosen Lismore Castle (County Waterford) statt, das auf das 12. Jahrhundert zurückgeht. Die Opernbesucher werden von freundlichen Herren mit diesem herrlichen südirischen Akzent empfangen, welche die Gäste in Parkplätze einweisen und im Golfwägelchen zum Eingang des Grundstücks chauffieren, wo bereits reizende Damen zum großartigen Picnic (auf Vorbestellung) eskortieren, dass man unter einem Zeltdach (manchmal fällt in Irland unerwartet der Regen) einnimmt. Anschließend ergeht man sich bei vielstimmigem Vogelgezwitscher im unübertrieben herrlichsten Park weltweit, der gerade jetzt in vollster, farbenprächtigster Blüte steht, vor der Kulisse jenes phänomenalen Schlosses.

Foto Dr. Charles Ritterband

Doch hier beginnt der Zwiespalt: zwar erlauben die Schlossherren, welche dieses prachtvolle historische Gebäude nach wie vor höchstpersönlich bewohnen – Fürst und Fürstin (Duke and Duchess) of Devonshire – dem geschätzten Publikum in ihrem wunderbaren Park zu lustwandeln, doch die Oper hat sich jeweils mit einem eher schäbigen Hinterhof vor einer krümeligen Stallfassade als Kulisse und einem eher dürftigen Zeltdach als Zuschauerraum zu begnügen: Der Zugang zum Schloss selbst bleibt der opernaffinen Plebs (die hiermit auf den ihr im sozialen Gefüge zustehenden Platz verwiesen wird) verwehrt und ist nicht einmal (im Gegensatz zu den englischen  Schlössern und Herrenhäusern) für ein stattliches Eintrittsgeld zu erwerben.

Kein Zutritt, „off limits“ for the plebs, and that’s it. Allenfalls kann man am Straßenrand den atemberaubenden Blick auf das mächtige Schloss von der historischen Brücke über den Blackwater-Fluss erhaschen, aber das ist dann auch alles.

(c) privat

Es sei denn – und dies erfuhren wir zufällig vom Nebentisch beim Frühstück im nahen Guest House – man ist amerikanischer Millionär oder besser noch: Milliardär und bereit, eine fünfstellige Summe hinzublättern, um sich während der Blackwater-Opern-und Konzertsaison im vermutlich prachtvollen Schloss (dessen Interior wir leider nur von Fotos im Internet erraten können). Unsere amerikanischen Tischnachbarn, die offenbar solche Beträge ebenso problemlos locker machen können wie sich ihre Landsleute bisweilen einen Big Mac leisten, fanden ein paar zehntausend Dollar für ein paar Tage Schloss „a really good deal“ –  ein ausgezeichnetes Schnäppchen –, während wir proletarischen Operngäste uns mit dem leicht deprimierenden Innenhof als Opern-Schauplatz zu begnügen hatten. Tja, die Klassengesellschaft gedeiht weiterhin.

Katze und Nilpferd – Liebe und Chaos

Doch abgesehen von solch trüben Gedanken: Diese Aufführung war nahezu perfekt. Tom Creed, einer der führenden Theater- und Opernregisseure Irlands, führte die Darsteller mit Präzision, Liebe zum Detail und vor allem einem spannungsreichen Mix aus Dramatik und Humor. Er machte, was man beim Betreten des „Zuschauerraums“ mit der tristen Kulisse der steinernen Stallwand wirklich nicht für möglich gehalten hätte, das Beste aus den Gegebenheiten: das Agieren der Darsteller machte den dürftigen Raum vergessen – im Gegenteil: nichts lenkte ab von deren Darstellungs- und vor allem Stimmkunst.

Tom Creed beschränkte sich auf zwei Kulissen: Eine große Skulptur des altägyptischen Katzengottes Bastet (verkörpert sinnigerweise Liebe und Fruchtbarkeit), komplett mit goldenem Nasenring – und ein mächtiges, plumpes Nilpferd. Das Nilpferd galt insbesondere in der pharaonischen Frühzeit als Verkörperung des Chaos. Mit der Erlegung eines Nilpferds triumphierte der Pharao symbolisch über das Böse.

FREE REPRO, Carolyn Holt [mezzo], John D Kelly Photography

Falls vom Regisseur beabsichtigt – ein kluger Schachzug, denn in dieser Barockoper geht es tatsächlich um Liebe (insbesondere zwischen Caesar und Kleopatra) und um das dynastische Chaos, das sich in der erbitterten Zwietracht zwischen Kleopatra und ihrem Bruder Tolomeo, sowie in der Rivalität zwischen Caesar und Pompeo äußert. In guten Inszenierungen ist nichts zufällig – so auch hier.

Erstklassiges Ensemble

Unter den vielen Glanzleistungen war wohl die führende irische Sopranistin Anna Devin in der Rolle der Kleopatra der unbestrittene Star des Abends: stimmlich erklomm sie mühelos und in blütenreinem Ton die halsbrecherischen Koloraturen von Händels Meisterwerk. Der deutsche Kontratenor Nils Wanderer verlieh dem Tolomeo, dem hasserfüllten und intriganten Bruder der Kleopatra, nicht nur phänomenale stimmliche Kraft in schwindelerregenden Höhen sondern auch umwerfenden Humor.

FREE REPRO: Ingeborg Brocheler [contralto], Carolyn Holt [mezzo] and Sharon Carty [mezzo], John D Kelly Photography

Das Duett zwischen Mutter Cornelia (deren Gatte Pompeo von Tolomeos übereifrigem Heerführer Achilla ermordet wurde) und deren „Sohn“ Sesto – gesungen von den gefeierten irischen Mezzosopranistinnen Carolyn Holt und Sharon Carty – war hinreißend in seiner harmonischen Vollendung.

Der Caesar der deutschen Altistin Ingeborg Bröcheler hatte anfangs des ersten Aktes leichte Startschwierigkeiten, steigerte sich dann aber zum berührenden, harmonischen Liebesduett mit der hinreißenden Kleopatra der Anna Devin.

Das Irish Baroque Orchestra unter der souveränen, subtilen Stabführung ihres Dirigenten Nicholas McGegan, einem Experten für Barockmusik des 18. Jahrhunderts und seit 34 Jahren Musikdirektor des renommierten Philharmonia Baroque Orchestra and Chorale, vermittelte Händels traumhaft schöne Musik auf Originalinstrumenten.

Dr. Charles E. Ritterband, 29. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert. at

Besetzung:

Cleopatra: Anna Devin
Giulio Cesare: Ingeborg Bröcheler
Tolomeo: Nils Wanderer
Sesto: Sharon Carty
Cornelia: Carolyn Holt
Achilla: Dean Murphy
Curio: Fionn ó Halmhain
Nireno: Iestyn Morris

Georg-Friedrich Händel, Giulio Cesare in Egitto Oper Frankfurt, 14. April 2024

Georg Friedrich Händel: Giulio Cesare in Egitto Oper Leipzig, Premiere, 1. April 2023

Blackwater Valley Opera Festival, Giuseppe Verdi, Macbeth Lismore Castle, Südosten Irland, 31. Mai 2023

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