Mit Nelsons fegt auch die Babi-Jar-Sinfonie durch Leipzig 

Gewandhausorchester, Andris Nelsons  Gewandhaus zu Leipzig, 28. Mai 2025

Andris Nelsons © Marco Borggreve

Mit einer fulminanten, weltmächtigen Babi-Jar-Sinfonie fegten Andris Nelsons und das Gewandhausorchester das Leipziger Gewandhaus auch am 9. Sinfoniekonzert des Schostakowitsch-Festivals völlig vom Hocker. Baiba Skride spielte das zweite Violinkonzert nicht weniger souverän, einzig Günther Groissböcks Gesangssolo hielt den Erwartungen nicht stand.  

Gewandhausorchester
Andris Nelsons, Dirigent

Michael Schönheit, Orgel
Baiba Skride, Violine
Günther Groissböck, Bass

Herren des MDR-Rundfunkchores, Chores der Oper Leipzig und GewandhausChores

Werke von Dmitri Schostakowitsch/Дмитрий Шостакович

Gewandhaus zu Leipzig, 28. Mai 2025

von Johannes Karl Fischer

Auch nach zwei Wochen nonstop-Schostakowitsch in Leipzig fegt dessen Musik das Gewandhaus-Publikum völlig vom Hocker. Wie eine weltmächtige Mahnmache gegen das Vergessen schallten die donnernden Pauken und tönenden Glocken in den Anfangstakten der Babi-Jar-Sinfonie durch das Gewandhaus. Unweit des kurz außerhalb Kiews gelegenen Babi Jars fallen im echten Leben leider wieder Bomben, nicht nur vor diesem Hintergrund dringt kaum eine Musik so tief unter die musikalische Haut wie die packenden Melodien dieses einstündigen Werks.

Maßgeblich verantwortlich für diesen krönenden Erfolg war auch das bewegende wie passionierte Dirigat von Andris Nelsons. Der Schostakowitsch-Experte begeisterte Orchester und Publikum für die völlig einzigartige Welt dieser Sinfonie und ließ die ganze Wirkung dieser kraftvollen Klänge im Saal emporsteigen. Unter seiner Leitung stürzten sich die Musiker mit Inbrunst in alle Ecken der fünf Sätze und hauten einen mit der ganzen Orchesterwucht dieses Klangkörpers regelrecht um. Die Es-Klarinetten-Soli sausten mit keckem Klang in den Saal, die beiden langsamen, tief atmenden Sätze hielten einem regelrecht den Atem an.

Zurecht gab es für diese musikalische Paradeleistung stehende Ovationen!    

Auch Baiba Skride spielte das zweite Violinkonzert des gleichen Komponisten nicht weniger souverän. In dem schon von der Tonart cis-Moll her technisch sehr fordernden Werk ließ sie ihre ganze Liebe zu dieser Musik von den Saiten strahlen. Die sehr zahlreichen Akkorde fügte sie völlig mühelos in die Melodien hinein, man spürte die klagende Zerrissenheit tief in der musikalischen Seele. Mit brennendem Ausdruck sanken die tiefen musikalischen Emotionen ins Publikum ein. Zwar sparte das Orchester vor der Pause scheinbar ein wenig die Kräfte für die schier umhauende zweite Hälfte, doch begleiteten sie die Violinistin unterm Strich mindestens solide und feierten auch dieses manchmal etwas schwer rezipierte Werk im gewohnten glanzvollen Ruhm dieses Klangkörpers!

Baiba Skride © Marco Borggreve

Einzig der sinfonische Gesangssolist des Abends, Günther Groissböck, schien mir nicht gänzlich bei Sache. Zwar sang er alle Töne sauber an und artikulierte seinen Text klar und deutlich, doch fehlte es ihm in seiner Partie an musikalischem Ausdruck und melodischer Tiefe. Stellenweise blickte er starr fixiert in seine Noten, ein wenig wirkte es gar, als würde er zumindest teilweise vom Blatt singen. Im Laufe des Werks konnte sich seine an sich sehr präsente Stimme immer weniger gegenüber dem Orchester behaupten. Der morgige Landgraf im neuen Wiener Tannhäuser hatte sicherlich schon bessere Abende.

Für einen besonders spannenden Start in den Abend sorgte Michael Schönheit mit der äußerst raren Orgelpassacaglia aus Lady Macbeth von Mzensk. Die mächtigen Klänge dieses majestätischen Instruments kosteten schon zu Beginn die prächtige Akustik dieses Saals aus, die wunderbar kurze, doch wirkungsvolle Einleitung wärmte die Ohren für die beiden auch hörtechnisch sehr fordernden Hauptwerke des Abends auf!

© Eric Kemnitz

Insgesamt feierte das Gewandhaus, Publikum inklusive, auch beim
9. Orchesterkonzert dieses Festivals fulminant Schostakowitschs äußerst wirkungsstarke Musik!

Leider waren quer durch alle Platzgruppen noch einige Plätze frei… zu DDR-Zeiten brauchte meine Mutter noch die Uni-Kontakte meines Großonkels, um im sonst hoffnungslos ausabonnierten Haus überhaupt an eine einzige Karte zu kommen. Gerade bei den viel zu selten gespielten späten Schostakowitsch-Sinfonie – welche zu den eindrucksvollsten Werken der klassischen Musik gehören – müsste doch mindestens die ganze Stadt sich um Karten buhlen…

Johannes Karl Fischer, 29. Mai 2025 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schostakowitsch-Festival VI Gewandhaus zu Leipzig, 18. Mai 2025

Schostakowitsch-Festival VII Gewandhaus zu Leipzig, Mendelssohn-Saal, 18. Mai 2025

Schostakowitsch-Festival VIII Gewandhaus zu Leipzig, 18. Mai 2025

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