Photo ©️ W. Hösl
Einige Zuschauer haben an diesem Abend in München wahrscheinlich sehnsüchtig an die Aida Aufführungen in der Arena von Verona gedacht und die Pyramiden, Obelisken und Elefanten vermisst. So erklären sich die vereinzelten Buhs, die es nach dem Triumphmarsch gab. Man kann eine naturalistische Vision mit allen Ägypten-Klischees bevorzugen. Allerdings lässt sich der Inszenierung von Damiano Michieletto nicht abstreiten, dass sie wohl durchdacht und schlussendlich sehr ergreifend ist.
Nationaltheater, München, 27. Juli 2023
Giuseppe Verdi (1813-1901)
AIDA
Oper in vier Akten
Musikalische Leitung: Daniele Rustioni
Inszenierung: Damiano Michieletto
Bühne: Paolo Fantin
Kostüme: Carla Teti
Aida Elena Stikhina
Amneris Judit Kutasi
Radamès Riccardo Massi
Amonasro George Petean
Ramfis Alexander Köpeczi
Der König Alexandros Stavrakakis
Bayerisches Staatsorchester
Bayerischer Staatsopernchor
von Jean-Nico Schambourg
Als ich zur Vorbereitung auf diesen Opernabend mir Fotos und Trailer von Aida auf der Internetseite der Bayerischen Staatsoper angeschaut habe, hatte ich große Bedenken. Beim Anhören des dazugehörenden Podcasts, der den Grundgedanken des Regisseurs zu dieser Aufführung präsentiert, wurde mein Interesse an dessen Auffassung allerdings schon sehr angeregt. Vielleicht war dies die nötige Voraussetzung um die Inszenierung gänzlich zu verstehen und zu genießen.
Die Geschichte spielt hier in der heutigen Zeit in einer Kriegsregion. Das Bühnenbild zeigt eine zerbombte Turnhalle, in der sich die Aktion den ganzen Abend abspielt. Hier denkt man automatisch an die aktuellen Bilder der Bunker von Kiew, in die sich die Menschen verschanzt haben, um sich vor den Bomben des russischen Aggressors zu schützen. Im zweiten Teil ist dieser Raum zum Teil mit Schutt und Asche schräg aufgefüllt, wie eine kleine Referenz an die ägyptischen Pyramiden.
Damiano Michieletto erzählt die Geschichte aus der Sicht von Aida. Er mischt immer wieder ihre Erinnerungen an eine unbeschwerte Kindheit, aber auch ihre Träume vom unerreichbarem Glück, mit den realen Schrecknissen des Krieges: persönliches Leid, Verstümmelung, Tod.
Hier gibt es keine heldenhafte Romantik. Beim Triumphmarsch kommen nicht strahlende Sieger nach Hause, sondern physisch und psychisch zerbrochene Menschen. In diesen Kriegswirren prallen mehrere persönliche Schicksale aufeinander: Aida, die fremde Gefangene, die dem gegnerischen Volk mit Anteilnahme zur Seite steht und deren militärischen Anführer liebt; Radamès, der diese Liebe erwidert, aber seinem Vaterland treu dienen möchte; Amneris, die ebenfalls in Radamès verliebt ist und als Königstochter erstmals erleben muss, dass die Träume einer verwöhnten Königstochter nicht alle realisierbar sind.
Schlussendlich zerbrechen aber alle Träume und Hoffnungen der Protagonisten an der bitteren Realität des Krieges. Das Schlussbild ist sehr ausdrucksvoll gestaltet mit dem Traum Aidas und Radamès von ihrer Hochzeit, eine letzte Vision vom unerreichbarem Glück, ehe der Tod sie erfasst.
Musikalisch erreicht die Aufführung gutes Niveau. Trotzdem könnte man von den Festspielen Besseres erwarten. Dies ist vielleicht auch den zum Teil kurzfristigen Umbesetzungen geschuldet. Allen voran singt Riccardo Massi als Einspringer einen verletzlichen Radamès. Sein Manko an vokalem Glanz passt zu der Darstellung des Kriegsführers, wie ihn die Regie zeigen will. Hier sind wir weit entfernt vom glanzvollen Helden à la Franco Corelli oder Mario Del Monaco. Der ist bei dieser Auffassung auch nicht erwünscht. Während des Triumphmarsches, der hier überhaupt nicht glamourös ausfällt, gehen Radamès die schrecklichen Bilder des Krieges durch den Kopf. Massi zieht sich dennoch mehr als achtungsvoll aus der Affäre.
Noch besser gelingt dies der weiteren Umbesetzung im Vergleich zur Premiere: Judit Kutasi erzielt einen großen persönlichen Erfolg beim Publikum als Amneris. Mit ausgeglichenem Mezzosopran singt sie eine eifersüchtige, jedoch nie keifende Königstochter. In ihren Szenen mit Radamès oder Aida versucht sie diese zu verführen, bzw. zu überlisten. In ihrer dramatischen Szene mit Ramfis und den Priestern klang mir ihre Stimme aber zu kontrolliert. Da fehlte es dann doch an der vokalen Opulenz und Aggressivität, die man so gerne in dieser Szene hört.
Elena Stikhina als Aida ist der vokale Glanzpunkt dieses Abends. Sie spielt und singt eine nie pathetische Aida, sondern eine mit den Leiden ihrer Feinde mitfühlende Sklavin / Gefangene. Ihre Stimme drückt mit Wärme ihre Wehmut nach der Heimat, nach der Liebe zu Radamès, im Allgemeinen ihre Sehnsucht nach Frieden wunderbar aus. Auch in den höchsten Lagen der Nil-Arie klingt sie nie schrill und das schwere Schlussduett mit Radamès meistert sie perfekt, zwar nicht im totalen Pianissimo, aber dazu bräuchte es auch einen kongenialen Tenorpartner.
George Petean als ihr Vater Amonasro zeigt, dass er einer der führenden Verdi-Baritone dieser Jahre ist, auch wenn in anderen Rollen des Komponisten aus Busseto seine Stimme noch besser zum Tragen kommt. Er lässt seine Stimme frei strömen und unterliegt nicht der Versuchung zu forcieren.
Ramfis ist in dieser Inszenierung ein hoher Beamter der Regierung, der selbst Ansprüche an Macht stellt. Nach dem Verrat von Radamès sieht er seine Chance gekommen, durch eine Heirat mit Amneris, dies zu erreichen. Alexander Köpeczi besitzt für diese Interpretation genau die richtig kernige Bassstimme, um die Brutalität dieser Figur darzustellen. Er ist der eigentliche Befehlshaber, mehr noch als der König, der vom zweiten Bass der Oper, Alexandros Stavrakakis, dargestellt und gut gesungen wird.
Das Orchester unter der Leitung von Daniele Rustioni findet beim Publikum den meisten Anklang an diesem Abend, und das mit Recht. Schwirrend klingende Streichertremoli, triumphale Trompetenklänge, exotische Farben der Holzbläser, all das was man sich vom Orchesterklang bei Aida vorstellt, findet sich an diesem Abend im Orchestergraben wieder. Hier wurde Festspielcharakter und -niveau erreicht. Diesem schloss sich auch die hervorragende Leistung des Chores und Extrachores der Bayerischen Staatsoper an.
Fazit: eine sehr interessante, szenisch und musikalisch schlüssige Aufführung, die allerdings dem Geschmack der Freunde der klassischen, ägyptischen Operngeschichte nicht entspricht. Mich hat sie überzeugt!
Jean-Nico Schambourg, 28. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giuseppe Verdi, Aida Arena di Verona Opera Festival, 16. Juli 2023
Giuseppe Verdi, Aida Nationaltheater, München, 15. Mai 2023 Premiere
Giuseppe Verdi, AIDA Las Palmas de Gran Canaria, Teatro Pérez Galdós, 14. März 2023
Liebe Redaktion,
ich habe am 25. April die Aufführung der Aida in München gesehen.
Mich würde tatsächlich Ihre Einschätzung interessieren, da die wesentlichen Rollen doch anders besetzt waren als 2023.
Hinsichtlich der Inszenierung teile ich Ihre Ansicht.
Von Elena Guseva als Aida war ich sehr begeistert, Jonas Kaufmann ist natürlich ein Publikumsliebling. Ohne das werten zu wollen wird aber auch klar, warum der Tenor kontrovers beurteilt wird.
Ekaterina Semenchuk ist als Amneris eingesprungen. Für mich die herausragende Rolle an diesem insgesamt bestens gelungenen Opernabend!
Harald Geiger