Traviata in Venedig: Diese Italianità spielt sich mindestens so stimmig wie Wagner in Bayreuth!

Giuseppe Verdi, La Traviata,  Teatro La Fenice, Venedig, 10. September 2023

Teatro La Fenice, Venedig, https://commons.wikimedia.org

Traviata in Venedig: Das habe ich massiv unterschätzt. Die warme Meeresluft, die ständige Stimmung nach gutem Essen. Rosa Feolas blühende Violetta, die punktgenau trefflich gestimmte Verdi-Chor-Feierstimmung. Es passt einfach alles zusammen. 

Teatro La Fenice, Venedig, 10. September 2023

La Traviata
Musik von Giuseppe Verdi

Libretto von Francesco Maria Piave


von Johannes Karl Fischer

Ganz ehrlich. Die zweitmeistgespielte Oper der Welt hat ihren Uraufführungsort einfach nie verlassen. Im Venedig wirkt sie heute wie wahrscheinlich schon 1853 einfach zur rechten Zeit am rechten Ort. In der Pause mal schnell auf einer kleinen Kanalbrücke Luft schnappen. Die Stimmung einer Violetta Valéry bläst mit der Brise.

Und dann erst diese Stimmen! In der derzeit hart umkämpften Violetta-Valéry-Szene ragt Rosa Feolas blühender Sopran wie ein Leuchtturm über Konkurrenz hinaus. Den Alfredo verzaubert sie wie auch das Publikum, ihre Melodien fließen in atemberaubender Weise wie seidene Fäden aus ihren Stimmlippen. Völlig mühelos segelt sie die Koloraturen auf und ab, als würde sie auf einer flott fahrenden Gondel über den Canal Grande gleiten!

La Traviata (c) Roberto Moro

Auch Gabriele Viviani kann als Giorgio Germont ein dickes Ausrufezeichen setzen. Seine Stimme ist ebenso präsent wie sein Charakter, er spielt hier den mächtigen Herrscher über die Handlung. Seinen Sohn und dessen Geliebte treibt er in die Verzweiflung, ohne Reue ruft er der erschütterten Violetta „Piangi, piangi“ („Weine ruhig“) zu. Dieser Vater kam zu schaffen, nicht zu schauen!

La Traviata (c) Roberto Moro

Doch will sich sein Sohn Alfredo keinesfalls seinem Schicksaal ergeben. Erst recht nicht, wenn ein so kämpferischer Tenor wie Piero Pretti diese wohl weltberühmteste Tenorrolle über die Bühne schmettert. Das war eine absolute Meisterleistung des sardinischen Sängers, so stellt man sich einen Verdi-Tenor par excellence vor! Mit leicht metallischer Stimme drückt er heldenhaft seine Emotionen aus, man spürt, dieser Mann hat ein Rückgrat. Er liebt Violetta über alles und wirft sich für sie ergebungslos in sein Leben. Fast schon ein Hauch von Calaf, so furchtlos schreitet sein Alfredo.

La Traviata (c) Roberto Moro

Auch die Nebenrollen glänzen mindestens genauso prächtig wie die al-fresco-Gemälde des traditionsreichen Theaters. Valeria Girardello singt aus den Tiefen ihres warmen Kontra-Alts eine feierliche Flora, mit dieser Stimme möchte man am liebsten selbst ihre Feste mitfeiern! Und in Armando Gabbas stimmenstarken Barone Douphol hat Alfredo endlich auch mal einen gesanglich ebenbürtigen Konkurrenten um Violetta! Einzig Cristiano Olivieri gerät die im ersten Akt recht prominente Rolle des Gastones etwas schrill, als hätte er sich bei Flora schon etwas zu doll amüsiert.

Doch kaum ein anderer Klangkörper feiert die weltberühmten Verdi-Feste so fröhlich wie dieser Chor. Selten habe ich einen so messerscharf präzisen, dermaßen kraftvoll klingenden Klangkörper singen hören wie hier in Venedig. Als stünden unzählige, doch in perfekter Harmonie singende SolistInnen auf der Bühne und würden die volle Reife dieser Verdi-Früchte ernten. Wie ein völlig frisches, verzauberndes Bühnenwerk! Auch das Orchester unter der Leitung von Stefano Ranzani bringt den vollen Schwung der Italianità in die Ohren. Ein musikalisch äußerst intimer Klang, mit dem der Chef am Pult die feierliche Stimmung auf der Bühne ins Publikum bringt.

Bleibt noch die Inszenierung von Robert Carsen. Die jenseits von pompösen Sälen und glamourösen Bällen leider wenig zu bieten hat. Die ersten zwei Akte fliegen Geldscheine wüst wie vom Wind getriebenes Herbstlaub durch die Gegend. Violetta will am Ende noch ein extravagantes, tiefblaues Kleid anziehen… vorher bricht sie natürlich zusammen. Naja. Eine tiefgründige Charakterisierung der Figuren bleibt aus, letztendlich lässt er die Oper einfach von selbst dahinlaufen. In diesem Haus funktioniert das auch. Aber an seine genial amüsierende Ariadne auf Naxos kommt die Traviata des Kanadiers nicht ran.

Aber keine Inszenierung kann dieser beispiellosen Italianità auch nur ein halbes Härchen krümmen. Traviata in Venedig. So feierlich und fröhlich gespielt ist das fast noch stimmiger als Wagner in Bayreuth…

Johannes Karl Fischer, 10. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Giuseppe Verdi, La Traviata (konzertant), Anna Netrebko, Yusif Eyvazov, Étienne Dupuis Wiener Konzerthaus, 6. September 2023

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Giuseppe Verdi, La Traviata Macerata Opera Festival, 13. August 2023

Neujahrskonzerte in Venedig und Parma, Teatro La Fenice di Venezia, Teatro Regio di Parma

 

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