Foto: Michael Hofstetter. © wildundleise.de
„Ich hätte nicht damit gerechnet, nach über 30 Jahren Berufserfahrung noch einmal eine solche Entdeckung zu machen“, erzählt der Dirigent und frisch gekürte Intendant der Nürnberger Gluck-Festspiele Michael Hofstetter. „Die Beschäftigung mit Gluck und seiner Musik erlebe ich als seelische Bereicherung“.
Michael Hofstetter wurde 1961 in München geboren. Er war Generalmusikdirektor des Stadttheaters Gießen und der Ludwigsburger Schlossfestspiele sowie Chefdirigent des Genfer und des Stuttgarter Kammerorchesters und des von ihm mitgegründeten styriarte-Festspielorchesters Graz. Er gastierte bei zahlreichen renommierten Orchestern und Häusern, u.a. an der Bayerischen, der Hamburgischen und der Stuttgarter Staatsoper, der Royal Opera Copenhagen, der English National Opera sowie bei den Händelfestspielen Karlsruhe und Halle und bei den Salzburger Festspielen.
von Leon Battran
Die Musik Christoph Willibald Glucks ist viel mehr als einfach nur schön anzuhören, findet Michael Hofstetter: „Es ist ein Feuer darin!“, sagt der Dirigent und bekennende Gluck-Enthusiast, der in diesem Jahr die Intendanz der Nürnberger Gluck-Festspiele übernommen hat. Diese sollen im Frühjahr nächsten Jahres komprimiert an einem verlängerten Wochenende vom 29. April bis 2. Mai stattfinden. „Es ist uns wichtig, in diesen Zeiten ein positives Signal zu setzen“, sagt Hofstetter. „Gluck steht für das beste, was unsere Gesellschaft sein kann, für Humanismus, Wahrhaftigkeit, menschliche Größe. Ich glaube, wir brauchen Gluck in unserer Zeit.“
Dennoch scheint Gluck auf den heutigen Spielplänen weniger präsent als beispielsweise sein Zeitgenosse Händel oder erst recht Mozart. Dabei wäre die Oper, wie wir sie heute kennen ohne Gluck gar nicht möglich gewesen, davon ist Michael Hofstetter überzeugt. Der 59-Jährige möchte das eher brave Image des oberpfälzischen Opernkomponisten gründlich revidieren. Er weiß: „Die Wende vom Äußeren ins Innere der Figuren hat die Opernwelt Gluck zu verdanken.“
Der erste „Verismo“-Komponist?
Nachdem er zunächst die italienische Operntradition pflegt, entwickelt Gluck schließlich seine eigene Auffassung von der Oper als Kunst- und Ausdrucksform. Darin bricht er mit der bis dato typischen starren Abfolge von Rezitativ und Arie zugunsten einer fließenderen Dramaturgie. Der Darstellung bestimmter Affekte setzt er ein authentisches und subjektives Erleben entgegen. Das Publikum soll mit den Figuren mitfühlen können.
Michael Hofstetter geht noch weiter, er sieht in Gluck bereits eine große Nähe zu dem, was man später als Verismo bezeichnen wird. Wenn Orfeus in tiefster Trauer und Verzweiflung nach Eurydike ruft, schwebt Hofstetter eher das Bild einer leidenschaftlich glühenden Santuzza vor, die ihren Fluch hinausschreit, als die Gesangsakrobatik einer x-beliebigen Koloratursoubrette.
„Wir müssen die ungeheure emotional-dramatische Wucht dieser Musik wiederentdecken und neu verhandeln, wie man Gluck spielt“, lautet Michael Hofstetters Wahlspruch. Der 59-Jährige versteht sich dabei nicht nur als Dirigent, sondern mehr noch als Schatzsucher: „Ich hätte nicht damit gerechnet, nach über 30 Jahren Berufserfahrung noch einmal eine solche Entdeckung zu machen“, erzählt er. „Die Beschäftigung mit Gluck und seiner Musik erlebe ich als seelische Bereicherung“.
Sechs Konzerte an vier Tagen
Das reduzierte Festival 2021 bringt Musik aus der Zeit von Gluck in sechs Konzerten auf die Bühne. Für das Jahr 2022 ist dann eine Bespielung der gesamten Metropolregion Nürnberg über zwei Wochen geplant. Shootingstar des kleinen Festivals ist der Nachwuchssänger Samuel Mariño. Der 26-jährige Venezolaner singt Sopran. Anders als ein Countertenor, der sich das Alt- und Sopranregister durch Ausbildung des Falsetts erobert, singt Mariño von Natur aus in dieser hohen Stimmlage.
Mariño wird ein Rezital mit Arien von Gluck und Händel singen sowie die Partie des Orfeo in einer konzertanten Aufführung von Glucks „Orfeo ed Euridice“ in der weniger bekannten Parma-Fassung für einen Soprankastraten. Seine Euridice verkörpert die nicht minder jung und aufstrebende israelische Sopranistin Ayelet Kagan und Michael Hofstetter leitet das Händelfestspielorchester Halle.
Darüber hinaus widmet sich ein Konzert des spanischen Alte-Musik-Ensembles mit dem programmatischen Namen „L‘Estro d‘Orfeo“ der „Kunst der Diminution“, einem Aspekt, der insbesondere im Hinblick auf Gluck der Diskussion bedarf.
Vokalwerke von Gluck werden mit dem Calmus-Ensemble zu hören sein, während die Gambistin Hille Perl in Werken von Purcell, Dowland und Caccini dem „Schwinden der Sinne“ nachspürt. Michael Hofstetter und das Händelfestspielorchester Halle werden außerdem ein Streiflicht auf das Concerto-Schaffen Georg Friedrich Händels werfen.
Weitere Informationen zum Festivalprogramm gibt es auf der Webseite der Gluck-Festspiele.
Leon Battran, 22. Oktober 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ja ja, genauso geht es mir seit Jahrzehnten mit Gluck. Die Musik ist zutiefst berührend und Samuel Marinio hat eine absolut wunderbare Stimme, die dieser Musik noch eine besondere Tiefe und Färbung gibt.
Sabine Engel