Utopia Orchestra, Teodor Currentzis © Nikolai Wolff
Ein Meinungsbeitrag von Herbert Hiess
Inspiriert durch den superben Artikel des großartigen Heinz Sichrovsky schreibe ich heute meinen Meinungs-Beitrag zu diesem Thema – Dinge, die mir schon lange am Herzen und vor allem im Magen liegen.
Link zum Artikel von Herrn Sichrovsky (https://www.news.at/menschen/spitzentoene-teodor-currentzis-ehrenzeichen).
Nun ist im lustigen Österreich wieder ein „Kataströphchen“ angesagt. Der Vizekanzler der Alpenrepublik, der auch für Kulturagenden zuständig ist, hat doch glatt die Frechheit besessen, den phantastischen und charismatischen russischen Maestro Teodor Currentzis für das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst, der höchsten Kulturauszeichnung des Landes, vorzuschlagen.
Das ist offenbar Anlass genug für die „Kultur-Schickeria“ in blankes Entsetzen zu verfallen – wahrscheinlich sind bei diesen die Kruzifixe (so vorhanden) von den Wohnzimmerwänden gefallen.
Um die Geschichte zu konkretisieren: Currentzis wird (so wie übrigens Valery Gergiev auch) eine besondere Nähe zu Wladimir Putin nachgesagt und das ist Grund genug, die mit Russlandbezug tätigen Maestri in die kulturelle Verbannung zu schicken.
Man kann zu Andreas Babler stehen, wie man will – bewundernswert ist schon allein die Aktion, Currentzis für diese Ehrung vorzuschlagen. Und noch bewundernswerter ist seine Beharrlichkeit, um dieses Ziel zu erreichen.
Teodor Currentzis ist einer, der tatsächlich die Bezeichnung „Stardirigent“ verdient. Bewundernswert, wie er mit akribischer Arbeit aus mehr als 100 Musikern einen exzellenten Klangkörper schuf. Currentzis und sein Festivalorchester Utopia beweisen sich immer wieder durch hochgradige Qualität; gemeinsam mit dem Maestro bescheren sie (und bescherten in Wien) immer wieder Sternstunden.
Nun haben jedoch die Wiener Konzertveranstalter diesen Musikern einen Bann auferlegt – und offenbar schielt da einer zum anderen, ob sich der nicht doch traut, diese angeblich „russophile“ Person zu engagieren.
Milo Rau, der Wiener Festwochenintendant, hat sich gegen den Mainstream gewehrt und Currentzis für eine Aufführung von Brittens „War-Requiem“ engagiert. Maestra Oksana Lyniv, eine ukrainische Dirigentin, sollte nach einer Idee von Festwochen-Intendant Milo Rau zehn Tage vor dem griechisch-russischen Kollegen das Requiem „Babyn Yar“ ihres Landsmannes Jewhen Stankowytsch dirigieren. Mehr hat es nicht gebraucht!
Das Projekt kam nicht zustande, da Oksana Lyniv eine Zusammenarbeit mit Currentzis ablehnte und sich daraufhin aus dem Projekt zurückzog. Milo Rau hat daraufhin die gemeinsame Ankündigung der beiden Requiems aufgegeben.
Was unter klugen Menschen ein Zusammenschluss für eine Friedensbotschaft gewesen wäre, endete damit, das Currentzis und das Ensemble ausgeladen wurde. Und Oksana Lyniv ging als große Siegerin hervor. Interessanterweise hört man bei den österreichischen Konzertveranstaltern heute nicht mehr viel von der Maestra.
Dafür tritt Currentzis regelmäßig in Deutschland auf, das für seine Toleranz bekannt ist. Hier hat der Mut vor der Feigheit gesiegt und man weiß Qualität zu schätzen. Currentzis gastiert dort regelmäßig. Und mutig auch der Intendant der Salzburger Festspiele, dass er Currentzis regelmäßig engagiert.
Bei der Mutlosigkeit der (vor allem Wiener) Konzertveranstalter bleibt vor allem das Publikum auf der Strecke. Waren früher (ist noch gar nicht lange her!) die Konzertprogramme mit superben Konzerten voll gespickt, ist der Herbst in beiden Wiener Häusern recht dürftig – noch dazu, wo die Wiener Philharmoniker jetzt längere Zeit auf Tour sind.
Somit entstand de facto eine „Dirigentenwüste“; dieses Vakuum führt dazu, dass die Konzertveranstalter und Opernintendanten gar nicht mehr wissen, wen sie noch engagieren können. In der Wiener Staatsoper gibt sich das Orchester (vulgo Wiener Philharmoniker) mit allen möglichen Dirigenten zufrieden – vielleicht sollten sich Intendant und Orchestervorstand einmal zusammensetzen und ihre Wünsche gegenseitig präsentieren.
Dafür floriert der „Dirigenten-Kindergarten“, der offenbar nur aus Finnen besteht. Einerseits Klaus Mäkelä, der sich offenbar in kürzester Zeit die härtesten Brocken angeeignet hat (berechtigte Zweifel können ruhig aufkommen) und auch Tarmo Peltokoski wird auf die Dirigentenpulte der besten Orchester gehievt, um mit dem Charme einer Abschlussprüfung einer Dirigentenklasse zu brillieren.
In Schutz muss man diese Leute doch nehmen; sie sollen das oben erwähnte Vakuum auffüllen, werden aber – ohne dass sie es selbst bemerken – gnadenlos verheizt. Das hilft vor allem dem Geldbörsel ihrer Agenten.
Um aus dieser besagten Dirigenten-Wüste zu entfliehen, musste man beispielsweise nach Grafenegg flüchten, um dort die interessantesten Konzertprogramme und Ensembles zu erleben. Warum das dieses Jahr nachließ, wäre extra zu hinterfragen.
Wo sind Persönlichkeiten wie Riccardo Chailly, Daniele Gatti um nur einige zu nennen? Diese Dirigenten wären nicht nur am Konzertpodium, sondern auch in den Opernhäusern eine große Bereicherung.
Nun – genug „gesudert“!
(„Sudern“ ist ein österreichischer Begriff für Jammern, sich beklagen oder nörgeln).
Ich trage diesen Frust schon längere Zeit mit mir herum. Es wäre an der Zeit dieses Thema neu zu überdenken: Man sollte Gergiev, Currentzis und andere aus der Verbannung holen.
Und die Intendanten müssten sich zu einer Qualitätsmaxime bekennen und sich wie Baron Münchhausen an den „eigenen Haaren aus dem Wüstensand“ ziehen.
Es wäre schade, wenn das Publikum nachhaltig frustriert wird.
Herbert Hiess, 2. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Herbert hört hin 5: Wahre Sternstunden Wiener Staatsoper, 1. Mai 2025
Herbert hört hin 4: Serge Prokofjew „Die Verlobung im Kloster“ Theater an der Wien, 28. März 2025
Herbert hört hin 3 klassik-begeistert.de, 16. Februar 2025, Wiener Konzerthaus und Musikverein Wien
Amen, das möchte ich mit aller Deutlichkeit unterschreiben.
Gerade auch der Blick in die Geschichte lehrt uns, dass Kunst und Politik nicht zusammenpassen. Die Ansichten von Richard Wagner, Johannes Brahms, Camille Saint-Saëns oder Richard Strauss waren ja auch alles andere als fein. Trotzdem sind ihre Kompositionen zeitlose Meisterwerke, einige gehören sogar zu den weltbesten Werken, die es gibt. Kein Künstler mit Haltung und Selbstachtung käme auf die Idee, sich dem zu verweigern.
Wie ich auch schon einmal in einem meiner Anti-Klassiker geschrieben habe:
„Zensur und Boykott sind immer die schlechtesten Mittel der Wahl. Denn sie sind gleichzeitig auch Bankrott-Erklärung an die eigene Kultur, etwas aufzugreifen und in einen förderlichen Kontext umzudeuten.“
Von uns erwarte ich daher mehr. Wir leben in einer Demokratie und nicht in einem totalitären System, das Abweichung von der genehmen Meinung mundtot macht. Und Demokratie tut weh. Denn sie erlaubt Meinungsfreiheit (solange diese nicht für Straftaten missbraucht wird)! Fangen wir an, Menschen für ihre Meinungen zu zensieren, höhlen wir unsere eigenen Rechte aus.
Eine echte Demokratie muss das also zulassen und aushalten. Vor diesem Hintergrund sollten Currentzis und Co. gerade erst recht in unsere Konzertsäle kommen dürfen, nein müssen, um da einerseits ihre Kunst zu zeigen, aber andererseits auch durch unangenehme Fragen in einen Diskurs zu kommen. Für das Ausüben ihrer Kunst ist ihre Meinung bedeutungslos. Da gilt immer noch nach David Hume „all sentiment is right“ (was ich mir so übersetze: „alles, was bewegt, ist wahr“).
Ob man der Meinung dieser Künstler dann zustimmt oder nicht, das bleibt wiederum jedem selbst überlassen.
Daniel Janz
Die aktuelle Frage ist eine ganz andere: warum wurde dieser Dirigent vorgeschlagen; gab es nicht mindestens 3 oder noch mehr Dirigenten, die einen großen Beitrag zur Kunst-Landschaft Österreich geleistet haben? Wurde die Provokation gesucht? Von wem stammt überhaupt der Vorschlag? Mehrere weitere Fragen könnten noch gestellt werden…….
DI Waltraud Becker
Pars pro toto:
Madame Netrebko zwitschert UNGEHINDERT immerzu in der WSO, falls der Herr es noch nicht gemerkt hat!
Zu dem unseligen Artikel des Herrn Heinz Sichrovsky habe ich ihm persönlich geantwortet.
Waltraud Becker
Sehr geehrte Frau Becker,
wir haben Anna Netrebko in der Aufzählunng gestrichen.
Herzlich,
Andreas Schmidt