Foto: Roderick Cox © hr/Susie Knoll
Giovanni Bottesini
Kontrabasskonzert Nr. 1 fis-moll
Pjotr I. Tschaikowsky
Sinfonie Nr. 5 e-moll op. 64
Boguslaw Furtok, Kontrabass
hr-Sinfonieorchester
Roderick Cox, musikalische Leitung
hr-Sendesaal, Frankfurt am Main, 6. November 2025
von Dirk Schauß
Der hr-Sendesaal bebte am 6. November – nicht bloß durch Schallwellen, sondern vor elektrischer Spannung. Diese Sorte Abend, an der schon beim Stimmen der Geigen spürbar ist: Gleich passiert etwas. Zwei Werke standen auf dem Programm, die auf den ersten Blick kaum zusammenpassen – Bottesinis Konzert für Kontrabass in fis-Moll und Tschaikowskys Fünfte – und doch verband sie an diesem Abend ein gemeinsamer Faden: Leidenschaft, präzise gezähmt.
Bogusław Furtok, seit Jahrzehnten engagiertes Mitglied in der Gruppe der Kontrabässe im hr-Sinfonieorchester, schlüpfte diesmal aus der Rolle des soliden Fundamentbauers in die des leuchtenden Solisten. Ein Musiker ohne Allüren, der die Bühne mit der Gelassenheit eines Handwerkers betritt – und dann ein Feuerwerk zündet, das man dem tiefsten aller Streichinstrumente kaum zutrauen würde.

Dirigent Roderick Cox, 35 wach und präzise, war der ideale Partner: Er schuf Raum, kontrollierte Impulse, legte den Klangteppich – und ließ doch jede Farbe frei.
Der Sendesaal, dieses akustische Schmuckkästchen des Hessischen Rundfunks, zeigte sich wieder als idealer Resonanzraum: warm, ehrlich, gnadenlos durchsichtig.
Bottesinis Konzert von 1867, in der Fassung von Miloslav Gajdos, ist ein kleines Wunderwerk: Opernhaft, virtuos, charmant wie ein italienischer Tenor nach dem Espresso. Die Orchestereinleitung entrollte sich prachtvoll, wie ein roter Teppich für den Solisten. Und Furtok trat darauf mit der Selbstverständlichkeit eines Mannes, der sein Instrument in- und auswendig kennt.
Vom ersten Einsatz an war klar: Hier spielt einer, der nicht beeindrucken muss. Sein Ton – rund, kernig, dabei erstaunlich klar – zog den Raum in Bann. Der erste Satz: eine Mischung aus artistischem Wagemut und seelenvoller Linie. Furtok formte die Bögen mit sicherer Hand, mal flüsternd, mal funkelnd, und Cox hielt das Orchester elegant in der Schwebe. Keine Begleitung im Schatten, sondern ein atmendes Gegenüber.
Im Andante dann dieses kleine Wunder der Schlichtheit: Eine Melodie, fast zu schön, um wahr zu sein. Furtok ließ sie mit einem feinen Vibrato singen, ohne Zuckerguss, nur pure Stimme. Da war plötzlich kein Bass mehr, sondern ein Erzähler. Und wie der Kontrabass in den hohen Lagen geigenhaft schimmerte, ließ manchen Zuhörer ungläubig lächeln.
Das Finale schließlich – energiegeladen, flirrend, heiter. Furtok stürzte sich hinein, als wolle er beweisen, dass Virtuosität nichts mit Lautstärke zu tun hat. Cox animierte das Orchester mit federndem Schwung, die Streicher glühten, die Bläser punktierten mit Witz. Ein gemeinsamer Tanz, präzise und doch spontan. Nach dem letzten Akkord: Bravo-Rufe, echte Begeisterung. Furtok lächelte, fast verschmitzt, und schenkte als Zugabe mit dem Orchester eine kleine Bass-Arie, nochmals von Bottesini – leicht melancholisch und immens anrührend.
Und dann Tschaikowsky. Seine Fünfte – dieses ewige Drama zwischen Verzweiflung und Triumph, so oft zerredet, so oft missverstanden. Die meisten Dirigenten von heute scheitern an ihr, weil sie Tschaikowsky entweder nicht fühlen oder ihn psychologisch überformen wollen. Roderick Cox tat weder das eine noch das andere. Er fühlte – und verstand.
Vom ersten Ton an war spürbar, dass er die Balance zwischen Emotion und Struktur gefunden hatte. Das berühmte Fagott, das Schicksalsmotiv, trat bei ihm nicht als Deklamation auf, sondern als Bekenntnis. Dunkel, weich, tastend – kein drohendes Schicksal, sondern ein inneres Zögern. Dann wuchs der Satz mit klassischer Logik, Schicht um Schicht, jede Wendung klar modelliert. Cox lenkte die Energie, ohne sie je zu bremsen. Er ließ Raum für Gefühl, aber kein Gramm Rührseligkeit zu. Diese Fähigkeit, Kontrolle und Empfindung zu vereinen, machte seine Deutung groß. Er interpretierte nicht gegen den Komponisten, sondern aus ihm heraus. Wo andere sich in Selbstinszenierung verlieren, blieb Cox Diener der Partitur – und gerade dadurch souveräner Gestalter.
Die Streicher des hr-Orchesters folgten ihm mit glühender Intensität, das Holz leuchtete, das Blech strahlte ohne Überdruck, die Pauken markierten das Schicksal mit pointierter Wucht. Cox’ Schlag war knapp, aber sprechend; seine linke Hand formte Phrasen, als modellierte er Klang aus Luft.
Im zweiten Satz gelang ihm ein Moment von erschütternder Schönheit. Das Hornsolo, getragen, unprätentiös, schwebte über einem atmenden Streicherchor. Dann diese langsame Welle, die sich aufbaut – Cox hielt sie, wie ein Bildhauer, der weiß, wann er nicht mehr eingreifen darf. Keine falsche Sentimentalität, kein Kitsch. Stattdessen: emotionale Wahrhaftigkeit. Wunderbar.
Der Walzer – schwebend, elegant, mit einem Hauch Ironie. Man sah Cox lächeln, als die gestopften Hörner ihr rauchiges Timbre setzten: ein Augenzwinkern im Takt. Dann das Finale, von innen heraus gesteigert. Kein heroischer Überschwang, kein Überhitzen. Cox strukturierte den Satz wie ein Architekt, der seine Statik kennt. Er ließ den Schicksalsgedanken zurückkehren – nicht als Triumph, sondern als Erkenntnis.
Was bei ihm beeindruckte, war diese stille Autorität: Er musste nichts beweisen. Die Kraft lag im Vertrauen. Wo andere die Fünfte aufblasen, ließ er sie atmen. Wo andere in Pathos versinken, fand er Größe in Klarheit. Das Ergebnis war eine Tschaikowsky-Interpretation, wie man sie selten hört – tief empfunden, aber nie sentimental, präzise gebaut, aber ohne Kälte.
Im letzten Akkord entlud sich die Spannung. Ein Moment Stille, dann brach der Saal in rauschenden Beifall aus. Cox lächelte kurz und senkte den Taktstock, als wolle er sagen: „So spricht die Musik – mehr braucht’s nicht.“
Man verließ den Sendesaal mit diesem eigentümlichen Gefühl, das nur ein wirklich geglückter Konzertabend hinterlässt: Erschöpfung und Dankbarkeit zugleich. Furtok hatte gezeigt, dass der Bass Seele hat, Cox, dass Tschaikowsky mehr ist als Gefühlsüberschuss – und das hr-Sinfonieorchester bewies, dass es beides tragen kann.
Es war einer dieser Abende, die nichts neu erfinden müssen, um groß zu sein. Der Bass bebte, das Schicksal glühte – und Musik, die man zu kennen glaubte, bekam plötzlich wieder Herzschlag und echtes Gefühl.
Dirk Schauß, 7. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
hr-Sinfonieorchester, Alain Altinoglu, Sebastian Berner, Trompete Alte Oper Frankfurt, 22. Mai 2025