Jan Voglers Bach-Reset 2013 und die Folgen

Interview: Jan Vogler, Cellist – Teil 2  klassik-begeistert.de, 17. Februar 2025

Jan Vogler 2023 © Marco Grob

Jan Vogler gibt am 8. März 2025 in der Elbphilharmonie alle sechs Solosuiten für Violoncello von Johann Sebastian Bach. Nachdem wir in
Teil 1 über Hollywood gesprochen haben, behandelt Teil 2 die entscheidende Frage: Wird Jan Vogler in Hamburg mit einer neuen Sicht auf Bach überraschen? Beschert das Konzert vielleicht sogar eine Sternstunde? 

Jörn Schmidt im Gespräch mit Jan Vogler – Teil 2

 klassik-begeistert: 2013 haben sie die Cello-Suiten für Sony Classical eingespielt. Sie hatten sich seinerzeit drei Regeln auferlegt, um die Cello-Suiten zu meistern: (1) Es gilt das Manuskript von Bachs Frau Anna Magdalena (2) Durchgängigen Tempo für alle Tanzsätze (3) Kein Vibrato, auch nicht als Verzierung. Werden Sie diese Regeln in der Elbphilharmonie brechen?

Jan Vogler: Die Regeln haben mir als Reset gedient, auf dessen Grundlage ich meine lebenslange Bach-Reise fortgesetzt habe. Insofern sind diese drei Regeln immer noch gültige Bezugspunkte. Aber gerade bei Phrasierung und Agogik hat sich meine Interpretation entwickelt.

klassik-begeistert:  Das klingt evolutionär und auf keinen Fall revolutionär?

Jan Vogler: Ja, definitiv evolutionär. Die Cello-Suiten habe ich jedes Jahr im Tour-Repertoire. Und jedes Jahr spiele ich sie ein wenig anders. Der Bach-Wahrheit beziehungsweise einer Interpretation, die für sich selbst spricht, komme ich dabei jedes Mal ein wenig näher. Aber ich kann meine alten Aufnahmen immer noch hören, ohne die Fassung zu verlieren…

klassik-begeistert:  Gibt es Konstanten?

Jan Vogler: Die Tempi ändern sich bei mir relativ wenig. Für mich gibt es eine gültige Balance zwischen Verständlichkeit und Lebendigkeit, die sich irgendwann entlang der Beschäftigung mit einem Werk einstellt. Zu schnell, das verträgt die Musiksprache nicht. Als wenn ein Schauspieler zu schnell spricht. Aber ein Tanz, der zu langsam ist, das passt auch nicht. Irgendwann weiß ich dann: So und nicht anders ist das Tempo richtig.

klassik-begeistert: Gibt es neue Regeln?

Jan Vogler: Tatsächlich, Regel (4) lautet: Loslassen! Bach muss schweben, ein Eigenleben bekommen. Das erreichen Sie nur, wenn Sie die Musik fließen lassen. Dann kann es sogar zu Sternstunden kommen. Natürlich gibt es Sternstunden nicht im Minutentakt, aber der eine oder andere flüchtige Moment, der packt Sie dann. Teilen Sie meine Einschätzung?

klassik-begeistert: Absolut, dann habe ich Tränen in den Augen. Es ist aber auch mein Eindruck, dass solche Abende eher seltene Glücksmomente sind. Und schon gar nicht reproduzierbar sind. Was muss noch passieren, damit es zu solchen Sternstunden kommt?

Jan Vogler: Die Chance auf Sternstunden steigt mit zunehmendem Alter. Wenn Sie sich jeden Tag Ihres Lebens damit beschäftigen, tiefer in die Musik vorzudringen, fließt immer mehr Erfahrung in die Interpretation ein. Diese Erfahrung hören Sie im Konzert, und das wird Sie im Idealfalle sehr berühren.

klassik-begeistert: Kann man Sternstunden proben?

Jan Vogler: Nein, jedenfalls nicht unmittelbar. Ich habe in Dresden erlebt, wie Daniel Barenboim mit der Staatskapelle Berlin zwei Sinfonien von Brahms geprobt hat. Das Crescendo steht doch eigentlich zwei Takte später, hat Barenboim zu den Bratschen gesagt. Zu den Geigen ebenfalls nur ein kurzer Hinweis: Können Sie hier nicht ein wenig mehr spielen? Da steht doch mezzo piano. Mehr brauchte es nicht. Aber diese stupende Detailkenntnis, die vermittelt eine große Ruhe. Das ist die Basis, um im Konzert ins Risiko zu gehen. Keine Sternstunde ohne Risiko.

klassik-begeistert: Wird es wieder eine Cello-Suiten CD nach der Tour geben, oder haben sich CDs im Allgemeinen überholt?

Jan Vogler: Nein, eine CD zur Tour ist nicht geplant. In China werden indes drei Suiten fürs Fernsehen aufgezeichnet. Ich bin ohnehin ein großer Fan der Verbreitung von Live-Erlebnissen und spiele regelmäßig CDs ein. Lalo & Casals Cello Concertos möchte ich nennen. Oder Shostakovichs Cello Concerto No. 2, kombiniert mit der Weltersteinspielung des Cellokonzerts Three Continents von Nico Muhly, Sven Helbig und Zhou Long. Ein einzigartiges kollaboratives Werk, drei Komponisten aus fast drei verschiedenen Generationen und drei verschiedenen Kontinenten haben zusammen ein Konzert komponiert.

klassik-begeistert: Was ist der größte Unterschied zwischen einer Live-Aufnahme und dem Gang ins Tonstudio?

Jan Vogler: Ich liebe beides. Aber im Tonstudio ist der Energiefluss verkürzt. Die Energie fließt nicht nur vom Künstler zum Instrument und dann zum Publikum. Sondern es kommt auch etwas vom Publikum zurück. Dadurch entsteht eine einzigartige Atmosphäre der Spannung.

klassik-begeistert: Nochmal zu den Sternstunden, die wir uns alle wünschen. Loslassen + Erfahrung + Risiko + Publikum = Sternstunde. Ist das die Formel?

Jan Vogler: Das sind jedenfalls die Voraussetzungen dafür, dass ein besonderer Moment gelingen kann. Kommen Sie nach Hamburg und urteilen Sie selber.

 klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Jörn Schmidt, 17. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Den dritten und letzten Teil unseres Interviews mit Jan Vogler lesen Sie Dienstag,  18. Februar 2025, hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at.

Johann Sebastian Bach: Cello-Suiten No. 4 – 6, Jan Vogler, Violoncello, Elbphilharmonie, 27. April 2022

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