Jörn Schmidt im Gespräch mit Manfred Honeck: Als nächste Frau kommt Arabella – Teil 1

Interview: Jörn Schmidt im Gespräch mit Manfred Honeck (Teil 1)  klassik-begeistert.de, 23. August 2024

Manfred Honeck © George Lange

Amerikanische Orchester haben immer noch eine Vorliebe für europäische Dirigenten. Der Österreicher Manfred Honeck feiert seit bald zwei Jahrzehnten mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra weltweit Erfolge. Im ersten Teil unseres Interviews räumen wir mit amerikanischen Klischees und Vorurteilen auf. Außerdem sprechen wir über den Wunsch, zu komponieren.

 Jörn Schmidt im Gespräch mit Manfred Honeck (Teil 1)

klassik-begeistert: Sie beschließen mit Ihrem Pittsburgh Symphony Orchestra am 3. und 4. September den diesjährigen Elbphilharmonie Sommer. Das letzte Konzert endet mit der Turandot-Suite, die Sie zusammen mit Tomáš Ille arrangiert haben. Haben Sie Ambitionen, den nächsten Schritt zu gehen, also eigene Werke zu komponieren?

Manfred Honeck: Ja, den Wunsch, selbst zu komponieren, trage ich schon sehr lange in meinem Herzen. Aber ich habe festgestellt, dass ich mehr Zeit ohne Ablenkungen brauche. Ich bin stark beeinflusst von der Klangwelt der Werke, die ich aktuell dirigiere. Das würde mich beim Komponieren sehr stören und ich bräuchte mehr Ruhe, um mich nur auf meine eigene Komposition zu konzentrieren. Daher kann ich noch nicht sagen, wann ich mein erstes Werk fertigstellen werde.

klassik-begeistert: Kam es so zu der Zusammenarbeit mit Tomáš Ille?

Manfred Honeck: Mit Tomáš Ille habe ich einen wunderbaren Menschen und Arrangeur gefunden, mit dem ich gerne zusammenarbeite. Mein Kalender ist zurzeit sehr voll, daher ich bin sehr dankbar für diese Partnerschaft.

klassik-begeistert: Ihre symphonischen Opern-Suiten (Jenůfa, Elektra, Rusalka, Turandot und Salome) porträtieren unterschiedliche Frauentypen und ihre Schicksale. Sie hätten natürlich auch Parsifal, Fidelio, Peter Grimes, Gianni Schicchi und Otello auswählen können, das hätte orchestral mindestens genau so viel hergegeben. Der Fokus Ihrer Arrangements ist sicher kein Zufall, welche Idee steckt dahinter?

Manfred Honeck: Wir haben diejenigen Opern ausgewählt, wie Elektra oder Rusalka, von denen es bisher noch keine Suiten gibt. Dass es sich ausschließlich um besondere Frauenrollen handelt, war tatsächlich keine Absicht, es ist aber ein wichtiger Nebeneffekt. Im Mittelpunkt steht vor allem die fantastische Musik.

klassik-begeistert: Nach welchen Kriterien wählen Sie die Opern aus?

Manfred Honeck:  Der Hauptgedanke ist es, diese wunderbare Musik in verkürzter Form auch in den Konzertsaal zu bringen. Die Oper Elektra lebt für mich aus dem Orchestergraben, da sie eigentlich eine symphonische Oper ist, die sich besonders gut für Suiten eignet.

klassik-begeistert: Welche Frau kommt als nächstes?

Manfred Honeck: Arabella, also tatsächlich wieder eine Frau (lacht).

klassik-begeistert: Man spricht gerne von den Big Five der amerikanischen Orchester und meint damit immer noch New York Philharmonic, Boston Symphony Orchestra, Chicago Symphony Orchestra, Philadelphia Orchestra und Cleveland Orchestra. Was ist mit dem Cincinnati Symphony Orchestra, dem Los Angeles Philharmonic Orchestra und nicht zuletzt dem Pittsburgh Symphony Orchestra? Dort wird auch wundervolle Arbeit geleistet, in Cincinnati und Pittsburgh mit deutlich geringerem Etat. Ist das Big Five Ranking noch zeitgemäß?

Pittsburgh Symphony Orchestra © George Lange

Manfred Honeck: Diese Einordnung ist vor über einem halben Jahrhundert kreiert worden und hat damals auch sicher einen Grund gehabt. Mittlerweile gibt es so viele fantastische Orchester auf der ganzen Welt und die Qualität der Musiker und Musikerinnen entwickelt sich stetig weiter. Es gibt heute viele Big Five

klassik-begeistert: …so wie auch das Pittsburgh Symphony Orchestra?

Manfred Honeck: Lorin Maazel und nach ihm Mariss Jansons haben hervorragend mit dem PSO gearbeitet und der Klang des Orchesters war stets sehr besonders für mich, auch vor meiner Zeit als Musikdirektor. Pittsburgh unterscheidet sich von den anderen amerikanischen Orchestern, die alle technisch hervorragend sind, durch seine sehr persönliche Note. Es ist ein sehr energiereiches Orchester, das bis zum Maximum geht, wenn es um den Ausdruck geht.

klassik-begeistert: In der Elbphilharmonie, am 3. September, stehen Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert mit Anne-Sophie Mutter und Mahlers Sinfonie Nr. 5 auf dem Programm. Am nächsten Tag dann unter anderem Strawinskys Feuervogel und Rachmaninows drittes Klavierkonzert mit Yefim Bronfman. Wenn man so will, Bravourstücke für jedes Orchester, die bestens geeignet sein sollten, den Unterschied zwischen europäischer und amerikanischer Orchesterkultur herauszuarbeiten. Oder hat die Globalisierung diese Unterschiede längst verwischt?

Elbphilharmonie Hamburg © Thies Raetzke

Manfred Honeck: Ja, inzwischen hat sich das geändert. Viele amerikanische Orchester haben sich früher abhängig gemacht von der Klangidee ihres Musikdirektors und so hat sich z.B. der typische amerikanische Blechklang entwickelt. Inzwischen ist diese Unterscheidung der nationalen Klänge aber aufgeweicht worden. Es gibt immer noch kleine Unterschiede, die dann auf der Natur der Instrumente basiert. Wenn die Wiener Oboe spielt, wird sie natürlich ein bisschen anders klingen als die französische, deutsche oder amerikanische Oboe. Unterschiede gibt es auch in der Interpretation, aber es lässt sich nicht zwischen europäisch, amerikanisch oder asiatisch differenzieren.

klassik-begeistert: Wenn man so will, geht damit ein Stück Identität verloren. Aber ist das überhaupt ein Nachteil?

Manfred Honeck: Meines Erachtens sollte ein Klang nicht unbedingt vom Dirigenten abhängen, sondern sich mehr an der Partitur und dem Klangideal des Komponisten orientieren. Ich muss ein Orchester immer so einstellen, dass die Quintessenz der Komposition und der Epoche erklingt. In den heutigen Orchestern existiert dafür eine unglaubliche Flexibilität, ohne dass dabei etwas von der Identität des Orchesters verloren geht.

klassik-begeistert: Wie können sich Orchester dann heute noch unterscheiden?

Manfred Honeck:  Das ist möglich durch unterschiedliche Orchesterkulturen oder Techniken. Ich lasse zum Beispiel sehr gerne das Vibrato anwenden. Handvibrato, Armvibrato, großes Vibrato, accelerando des Vibratos: Alle Typen von Vibrato sind in der Orchesterkultur für mich ganz wichtig und ich bin sehr dankbar dafür, dass gerade das Pittsburgh Symphony Orchestra in besonderer Weise bereit ist, diese Vibrato-Kultur umzusetzen. Die Aussage einer Komposition wird dadurch noch greifbarer und spürbar emotional in den Orchesterklang eingebettet.

 klassik-begeistert: Wie passt es zum amerikanischen Patriotismus, dass US-amerikanische Orchester auffallend oft auf europäische Dirigenten setzen? Sie sind Österreicher, und in Chicago folgt der Finne Klaus Mäkelä auf den Italiener Riccardo Muti. In Boston steht mit Andris Nelsons ein Lette an der Spitze und in Cincinnati mit Louis Langrée ein Franzose. In New York wirkte Jaap van Zweden, ein Niederländer.

Manfred Honeck: Möglicherweise hat es mit der Tradition zu tun, europäische Dirigenten zu engagieren, wie einst Leopold Stokowski, Bruno Walter und Gustav Mahler. Aber natürlich es gibt viele fantastische junge amerikanische Dirigenten und ich hoffe, dass sie die Chance erhalten, werden in  ihrem Heimatland Fuß zu fassen.

klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Jörn Schmidt, 23. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Teil 2 unseres Interviews mit Manfred Honeck erscheint Samstag, 24. August 2024, hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at.

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