Manfred Honeck © GeorgeLange
Im zweiten Teil unseres Interviews mit dem österreichischen Dirigenten Manfred Honeck gibt es ein Plädoyer für Tondokumente auf CD. Außerdem sprechen wir über einen sehr emotionalen competitive advantage, den das Pittsburgh Symphony Orchestra für sich in Anspruch nehmen kann. Und wir machen Tempo.
Jörn Schmidt im Gespräch mit Manfred Honeck (Teil 2)
klassik-begeistert: Es soll Leute geben, die gar keinen CD-Spieler mehr haben. Eine Tschaikowsky 5 oder eine Beethoven 5 oder Mahler 1, die gibt es hundertmal auf dem Markt. …Warum also überhaupt noch CD-Einspielungen?
Manfred Honeck: Die Konzerte des Pittsburgh Symphony Orchestra sind sehr energiegeladen, es gibt niemanden, der nicht auf der Stuhlkante sitzt. Es ist mir ein Anliegen, diese Energie und die Quintessenz einer Interpretation einzufangen und festzuhalten als CD. Eine solche Momentaufnahme dokumentiert, wie unser Orchester jetzt klingt und wie ausgeklügelt, detailliert und klar gestaltet die Interpretation war.
klassik-begeistert: Wie kann das gelingen?
Manfred Honeck: Das verdanken wir Soundmirror, Inc. (Anm. Jörn Schmidt: Aufnahmestudio/Plattenfirma), deren ganz fantastisches Team den Klang in der Heinz Hall for the Performing Arts (Anm. Jörn Schmidt: Konzertsaal mit 2.661 Sitzplätzen, Heimat des Pittsburgh Symphony Orchestra) aufnimmt. Manche Stellen erklingen so leise, dass man sie kaum mehr wahrnimmt. Und doch sind sie auf der CD präsent und so wie im Konzertsaal zu hören.
klassik-begeistert: Um Bruckner spielen zu können, muss ein Orchester Mozart beherrschen. Diese Weisheit wird einem Ihrer Kollegen zugeschrieben, und tatsächlich wird Bruckner im Konzert gerne mit Mozart gepaart. Woran liegt das?
Manfred Honeck: Das liegt daran, dass Bruckner von Mozart und der ersten Wiener Schule geprägt wurde. Die beiden Österreicher Bruckner und Mozart haben auch gemeinsam, dass sie in Wien gelebt haben, aber nicht aus Wien stammen. Beide haben ihre Musikwelt in die Hauptstadt Österreichs mitgebracht und sich dort entfaltet.
klassik-begeistert: Man sagt ja gerne, Mozart ist für Kinder zu leicht und für Erwachsene zu schwer. Gilt das auch für Bruckner?
Manfred Honeck: Mozart ist einer der schwierigsten Komponisten zu interpretieren, weil er sehr leicht klingt, aber schwer umzusetzen ist. Und das ist bei Bruckner ähnlich: wenn es gelingt, Bruckners Musik durchsichtig zu machen, wird sie unglaublich schwer zu spielen. Es braucht eine gewisse Linienführung, Themenführung und Sensibilität für Bruckners Klangkultur, ohne die seine Werke nicht gespielt werden können.
klassik-begeistert: Sie haben für Ihre neue CD Bruckner 7 mit Mason Bates’ Resurrexit kombiniert. Wie kam diese Kombination zustande?
Manfred Honeck: Das hat zuerst mit meinem persönlichen Bezug zu Bruckner zu tun als religiöser Mensch und gleichzeitig auch mit meinem Geburtstag!
klassik-begeistert: Wie das?
Manfred Honeck: Bei der Auswahl von Bruckners 7. Symphonie habe ich mich auf drei Aspekte konzentriert: Bruckners Spiritualität, seine Tätigkeit als Lehrer und seine Nähe zur Volksmusik. Bruckner war sehr religiös, er ist jeden Tag in die Messe gegangen und hat gebetet. Er war Organist und Professor, aber auch Volksmusiker. Er hat quasi jedes Wochenende Bratsche und Geige auf Hochzeiten oder Festivitäten gespielt. Diese Nähe zur Volksmusik schlägt sich in seinen Werken nieder, es gibt z. B. Vogelgezwitscher oder im ersten Satz ungarisch anmutende Phrasen. Bei unserer Aufnahme der 7. Symphonie habe ich diese Aspekte versucht herauszuarbeiten.
klassik-begeistert: Und da kommt Bates ins Spiel?
Manfred Honeck: Ich hatte bereits mehrere Werke von Mason Bates Musik in Pittsburgh dirigiert und ich sprach mit ihm über spirituell inspirierte Musik. Zu meinem 60. Geburtstag hat mir das Pittsburgh Symphony Orchestra Resurrexit als Geburtstagsgeschenk gemacht (Anm. Jörn Schmidt: ein Auftragswerk). Resurrexit ist ein wunderbares Werk, in dem Mason Bates die Auferstehung in seiner Tonsprache wie Filmmusik eingefangen hat. Weitere spirituelle Aspekte sind ein Auferstehungschoral, wenn auch in einer völlig anderen Tonsprache als Bruckner, und die Verwendung eines Semantrons – eines uralten Schlaginstruments, mit dem Mönche früher im 6. Jahrhundert zum Gebet aufgerufen haben.
klassik-begeistert: Für das erste Konzert in Hamburg haben Sie Mahler 5 auf das Programm gesetzt. Es gibt ja reine Bruckner-Dirigenten und es gibt Mahler-Dirigenten. Sie können beides…
Manfred Honeck: Ich bin Österreicher und beide Komponisten sind tief in der österreichischen Musikwelt und Tradition verwurzelt. Gustav Mahler war außerdem ein Schüler von Bruckner und wurde von ihm sehr beeinflusst. Wenn man so will, sind Bruckner und Mahler wie zwei Brüder. Ich liebe beide.
klassik-begeistert: Österreichische Volksmusik als Bindeglied, kann man das so sagen?
Manfred Honeck: Ja, für mich ist es eine Herausforderung als Dirigent, das Orchester österreichisch spielen zu lassen. Mahler selber sagte ja, dass das Wichtigste nicht in der Partitur steht, sondern zwischen den Noten.
klassik-begeistert: Was steht sonst noch zwischen den Zeilen?
Manfred Honeck: Bei Bruckner ist das zum Beispiel ein Jodler im 3. Satz oder ein notierter „Spottvogel“. Für mich persönlich bedeutet das Authentizität und eine Rückbesinnung auf die österreichische Tradition.
klassik-begeistert: Es gibt nur relativ wenige Äußerungen von Bruckner über das Tempo, woran haben Sie sich orientiert?
Manfred Honeck: Ich stelle mir nie die Frage, wie schnell ich dirigiere, sondern ob der Duktus richtig dargestellt ist. Ich dirigiere grundsätzlich eher schneller, aber bei Bruckner weiß ich, dass dann die Dinge zwischen den Zeilen verloren gehen würden, wie z.B. das Vogelgezwitscher. Aus dieser Tradition muss man Bruckner verstehen und die Tempovorschrift interpretieren.
klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Jörn Schmidt, 24. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Den dritten und letzten Teil unseres Interviews mit Manfred Honeck lesen Sie Sonntag, 25. August 2024, hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at.