Manfred Honeck © George Lange
Im dritten und letzten Teil unseres Interviews mit Manfred Honeck sprechen wir darüber, wie man gerade mit leisen Tönen richtig in die Vollen geht. Außerdem gewährt der Lieblingsdirigent von Anne-Sophie Mutter Einblicke in das Leben auf Tournee.
Jörn Schmidt im Gespräch mit Manfred Honeck (Teil 3)
klassik-begeistert: Sie sind seit der Saison 2008/09 Music Director beim Pittsburgh Symphony Orchestra und stehen dort noch bis 2027/28 unter Vertrag. Gibt es Milestones, auf die Sie besonders stolz sind?
Manfred Honeck: Für mich ist jedes Konzert ein Meilenstein. Jedes Konzert versuche ich so gut wie möglich zu dirigieren und jeden Moment besonders zu machen. Daher vergesse ich im Konzert auch alles um mich herum. Nur wenn Musik tief aus dem Herzen heraus gestaltet wird, geht sie auch dem Publikum zu Herzen.
klassik-begeistert: Man schreibt Orchestern gerne ein Alleinstellungsmerkmal zu, man denke nur an das berühmte Chicagoer Blech. Hat Ihr Orchester auch einen solchen competitive advantage, was unterscheidet das Pittsburgh Symphony Orchestra von anderen Klangkörpern?
Manfred Honeck: Alle Orchester in Amerika sind hervorragend. Aber das, was Pittsburgh immer schon ausgezeichnet hat, auch unter meinen Vorgängern Mariss Jansons und unter Lorin Maazel, ist ihre Energie und Aura, das scheint eine Pittsburgh-DNA zu sein. Das Orchester gibt alles, um die beste Qualität herauszuholen und das gelingt dem Pittsburgh Symphony Orchestra umwerfend gut.
klassik-begeistert: Pittsburgh-DNA?
Manfred Honeck: Haben Sie schon mal ein Spiel der Pittsburgh Penguins (Anm. Jörn Schmidt: Eishockeyteam) erlebt, oder die Pittsburgh Steelers (Anm. Jörn Schmidt: American-Football-Mannschaft) spielen gesehen? Die unglaubliche Energie und der Ehrgeiz, die man dort im Körperlichen sehen kann, die kann man bei uns auch spüren beziehungsweise in erster Linie hören.
klassik-begeistert: Sie waren einst Assistent von Claudio Abbado, sein Buch „Der stille Revolutionär“ habe ich regelrecht verschlungen. Es hat mich bestätigt, dass ich in meinem Lehrberuf (Rechtsanwalt) einiges richtig mache: Mit Verzicht auf jeden autoritären Habitus erreicht man einfach mehr. Aber wie erklärt sich das, manch einer sieht das sicher anders?
Manfred Honeck: „Der stille Revolutionär“ – auch ich liebe vor allem die Kraft der Stille. Manchmal denke ich, dass ein fortissimo weniger Wirkung hat als ein pianissimo und eine Generalpause eine umwerfende Kraft entwickeln kann.
klassik-begeistert: Nach Ihrer Zeit bei Claudio Abbado waren Sie Erster Kapellmeister am Opernhaus Zürich, von 2007 bis 2011 wirkten Sie als Generalmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart. Wie auch Claudio Abbado im Verlauf seiner Karriere, scheinen Sie Ihr Engagement im Orchestergraben mittlerweile zurückzufahren. Wie kommt das – einfach nur zu viele andere Verpflichtungen, oder haben sich die künstlerischen Schwerpunkte während Ihrer Zeit in Pittsburgh allmählich verschoben?
Manfred Honeck: Das hat den einzigen Grund, dass die Oper sehr zeitaufwendig ist aufgrund der längeren Vorbereitungszeit. Neben meinen Konzerten mit Pittsburgh und meinen vielen Gastdirigaten ist mir einfach die Zeit nicht gegeben. Das ist schade, denn ich liebe die Oper sehr, vor zwei Jahren habe ich Idomeneo in der MET dirigiert.
klassik-begeistert: Sie sind erklärter Lieblingsdirigent von Anne-Sophie Mutter, auf der diesjährigen Europa-Tournee führt Sie beide Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert zusammen. Bleibt im Tourneebetrieb Zeit für einen privaten Austausch?
Manfred Honeck: Nach den Konzerten ist immer Zeit, etwas zusammen zu unternehmen, da man ohnehin nicht gleich schlafen gehen kann. Das kenne ich aus meiner eigenen Zeit bei den Wiener Philharmonikern als Bratschist und es geht mir als Dirigent immer noch so. Nach dem Konzert ist es besonders schön, gemütlich zusammenzusitzen, zu essen und über die geteilten Erlebnisse zu sprechen.
klassik-begeistert: Eine Europa-Tournee ist ein Kraftakt, der zum Renommee des Orchesters beiträgt und viele Konzertbesucher glücklich macht. Aber wie steht es mit den Musikern, ist das einfach nur Stress, den man über sich ergehen lassen muss? Oder trägt so eine Tournee auch zur Entwicklung des Orchesters bei, vielleicht unter dem Aspekt Teambuilding?
Manfred Honeck: Die gemeinsamen Erlebnisse, aber auch der Stress durch das Reisen sind in hohem Maße teambildend. Daran sind die Profimusiker und -musikerinnen aber auch gewöhnt. Außerdem entwickelt sich das Programm auf einer Tournee weiter, durch das wiederholte Spielen wächst es!
klassik-begeistert: Jeder Konzertsaal hat seine eigene Akustik, wie gehen Sie damit um?
Manfred Honeck: Das ist etwas ganz besonderes, wenn man auf einer Tournee das gleiche Repertoire in verschiedenen Hallen spielt. Es ist bemerkenswert, wie ein und dieselbe Symphonie plötzlich anders klingt. Je nach Größe der Halle wird zum Beispiel der Blechklang zurückgenommen oder die Streicher spielen mehr sostenuto oder pianissimo. In der Anspielprobe muss sich das Orchester auf jeden neuen Saal neu einstellen, aber das ist eine Herausforderung, die die Profis aus Pittsburgh immer sehr gut meistern.
klassik-begeistert: Gestatten Sie mir zum Abschluss bitte eine private Frage zum Leben auf Tour. Dienstreisen können nerven, geht mir auch manchmal so. Aber wenn Sie mal wieder in diesem oder jenem Land zu Gast sind, gibt es da etwas, auf das Sie sich besonders freuen? Ein Leibgericht vielleicht, oder doch ein Museum? Hamburg hat ja auch so einiges zu bieten, sollte man meinen…
Manfred Honeck: Neben der Architektur und der Stadt Hamburg mag ich es sehr, die Mentalität der Menschen hier zu beobachten. Immer wenn ich in eine Stadt komme, liebe ich es die Verhaltensweisen und auch Eigenarten der Menschen kennen zu lernen. Das ist es, was mich, neben der Musik natürlich, besonders interessiert: Zu lernen, was die Menschen bewegt, das ist eigentlich das Schönste.
klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Jörn Schmidt, 25. August 2024, für
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