Christoph Eschenbach © Pilvax Studio
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) ist Fan des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF), ließ sich letztes Jahr anlässlich des Abschlusskonzerts zitieren: „Viele der hier auftretenden jungen Musikerinnen und Musiker prägen die Entwicklung der Klassik und kommen als etablierte Stars immer wieder zum SHMF zurück.“ Für Christoph Eschenbach sind Musikvermittlung und Nachwuchsförderung Chefsache. Das ließ nur eine Überschrift zu.
Jörn Schmidt im Gespräch mit Christoph Eschenbach, Teil II
klassik-begeistert: In der Presse hat Generation Z (Jahrgang 1995-2010) zuweilen einen schlechten Ruf. Zu viel Work-Life-Balance, sagt man…
Christoph Eschenbach: Ist das wirklich so schlimm?
klassik-begeistert: Der eine oder andere Vorstand wie auch mehrere Personalchefs haben mir das bestätigt. Beim dirigierenden Nachwuchs sieht es offenbar besser aus. Aber die Kapellmeister-Ochsentour, ist die noch zeitgemäß [Anmerkung Jörn Schmidt: Zur Ochsentour-Definition lesen Sie bitte Teil 1 meines Interviews mit Christoph Eschenbach]?
Christoph Eschenbach: Unbedingt, auch wenn ich einen anderen Weg gegangen bin. Alternativ rate ich jungen Dirigenten, Kammermusik zu machen. Auch so erarbeitet man sich eine Affinität zur Musik und lernt, zuzuhören.
klassik-begeistert: Im Umkehrschluss könnte man meinen, so ein Dirigierstudium ist zu theoretisch?
Christoph Eschenbach: Gerade jungen Dirigenten kann man nicht oft genug diesen Rat geben: Je mehr Musik man um sich hat und selber macht, je besser. Das ist durch kein Studium zu ersetzen.
klassik-begeistert: Musikalische Freiheit ist der Schlüssel zu Ihren Interpretationen. Dabei ist Freiheit die Abwesenheit von Regeln. Nur die Noten zählen. Kann man das so auf den Punkt bringen?
Christoph Eschenbach: Das kann man so zusammenfassen, Sie sollten das aber nicht unkommentiert lassen…
klassik-begeistert: Weil junge Musiker das schnell in den falschen Hals bekommen?

Christoph Eschenbach: Ja, das könnte passieren… Gemeint ist ja nicht, falsch zu spielen. Da zieht der Notentext der musikalischen Freiheit eine organische Grenze, die nie überschritten werden sollte. Was ich meine, ist Freiheit des Ausdrucks. Seid frei in der Interpretation, in Tempi und Phrasierung.
klassik-begeistert: Was ist musikalisch beglückender: Die besten Orchester der Welt zu dirigieren, oder ein Jugendorchester?
Christoph Eschenbach: Beides macht glücklich. Aber wenn Sie gesehen haben, mit welcher Freude Sergiu Celibidache, Lorin Maazel und Leonard Bernstein das Schleswig-Holstein Festival Orchestra dirigiert haben. Wie junge Musiker große Dirigenten inspirieren, regelrecht entflammen. Das ist für mich die besondere Komponente in der Arbeit mit Jugendorchestern.
klassik-begeistert: Mit dem SHMF haben Sie und Justus Frantz auch einen Traum Leonard Bernsteins verwirklicht. Ein Festival, das Nachwuchsförderung und Musikvermittlung einen festen, gewichtigen Platz einräumt. Wie fällt heute Ihre Bilanz aus, lebt der Traum von Leonard Bernstein?

Christoph Eschenbach: Und wie. Wenn ich heute die Wiener Philharmoniker dirigiere oder das Boston Symphony Orchestra, dann kommen bei den Proben gestandene Musiker auf mich zu und fragen: Wissen Sie noch, damals in Schleswig-Holstein… Das macht mich glücklich.
klassik-begeistert: Welche Talente hat das SHMF hervorgebracht?
Christoph Eschenbach: Wenn ich jetzt alle aufzählen wollte, dann bliebe vielleicht ein Name unerwähnt. Statt aller nur ein Name, den jeder kennt. Lang Lang. Preisträger unseres Leonard Bernstein Award.
klassik-begeistert: Ein anderer Weg, junge Talente zu entdecken und zu fördern, sind Einspringer?
Christoph Eschenbach: Renée Fleming ist ein schönes Beispiel. In den Vier letzten Liedern von Richard Strauss ist sie für mich die Idealbesetzung schlechthin. Vor zwei Jahren hat sie mir eine große Freude gemacht und dieses Werk im Berliner Konzerthaus gesungen. Kennengelernt habe ich sie 1988 als Gräfin an der Houston Grand Opera…
klassik-begeistert: Sie haben auch das dortige Opernorchester dirigiert, das wusste ich nicht…

Christoph Eschenbach: Tatsächlich wurde ich eingeladen, dort mit meinem Houston Symphony Orchestra Gastspiele zu geben… Als die gesetzte Gräfin in Mozarts Le nozze di Figaro krankheitsbedingt ausfiel, da hat mir Tzimon Barto Renée als Einspringerin ans Herz gelegt. Natürlich musste sie noch vorsingen, aber wir haben sie auf der Stelle engagiert. Es folgten viele gemeinsame Plattenaufnahmen und es hat sich eine wundervolle Freundschaft entwickelt.
klassik-begeistert: Da schließt sich ein Kreis, Sie haben auch Tzimon Barto gefördert…
Christoph Eschenbach: Tzimon hatte seinerzeit gerade die Sängerklasse an der Juilliard School in einem Wettbewerb begleitet und kannte Renée vom Studium. Tzimon wiederum hatte mir 1985 vorgespielt, beim Spoleto Festival. Um ein Uhr nachts…
klassik-begeistert: Er hätte da schon viel Rotwein getrunken, hat Barto später mal in einem Interview gesagt. Aufgeregt und ziemlich betrunken sei er beim Vorspielen gewesen…
Christoph Eschenbach: Seinem Klavierton und der Tiefsicht der Interpretation tat das jedenfalls keinen Abbruch… Seither habe ich ihn immer wieder engagiert.
klassik-begeistert: Worauf freuen Sie sich beim diesjährigen Festival 2025 ganz besonders?

Christoph Eschenbach: Zu meinem… soundsovielten… Geburtstag möchten mir einige Künstler ein Konzert schenken. Matthias Goerne kommt nach Schleswig-Holstein, um mit mir die Winterreise zu machen. Wir werden das gemeinsam zelebrieren. Und Barto spielt den ersten Teil vom Wohltemperierten Klavier.
klassik-begeistert: Vielleicht noch ein paar weniger bekannte Namen?
Christoph Eschenbach: Es tritt ein wunderbarer junger Flötist auf, Stathis Karapanos. Mit Kian Soltani und Niek Baar als weitere Solisten. Und das Wundervolle: Wir musizieren gemeinsam mit ehemaligen Mitgliedern des Festivalorchesters, die zu einem Alumni-Kammerorchester zusammenkommen.
klassik-begeistert: Wo wir über Geburtstage sprechen. Stefan Vladar, der Lübecker Generalmusikdirektor, gratuliert dem SHMF auf seine Weise zum 40. Geburtstag. Er spielt einen Solo-Klavierabend mit dem gleichen Programm wie anlässlich der allerersten Ausgabe des Festivals.
Christoph Eschenbach: Sie mögen offensichtlich Anekdoten, da fällt mir eine Koinzidenz ein: Für Sir Georg Solti habe ich einst das erste Klavierkonzert von Brahms gegeben, zusammen mit dem Chicago Symphony Orchestra. Danach hat mich Solti zum Essen eingeladen und wir stellten fest, dass wir als Pianisten mal das exakt gleiche, sehr spezielle Programm gespielt hatten. Unabhängig voneinander, mit vielen Jahren Abstand.
klassik-begeistert: Sie engagieren sich ebenso erfolgreich in der Musikvermittlung an junge Menschen. Zuweilen denke ich, dass sich die Akzente in Sachen Musikvermittlung verschieben. Man muss korrigieren, was in der Schule versäumt wurde.
Christoph Eschenbach: Da haben Sie leider Recht. Musik, aber auch Theater sollte an allen Schulen wieder mehr Platz eingeräumt werden.
klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Jörn Schmidt, 19. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Den dritten und letzten Teil unseres Interviews mit Christoph Eschenbach lesen Sie Freitag, 20. Juni 2025, hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at.