Scotch vorm Auftritt, das gibt es nur beim Kammermusikfest Sylt?

Interview: kb im Gespräch mit Claude Frochaux, Cellist  Kammermusikfest Sylt vom 17. bis 22. April 2025

Claude Frochaux © Matthew Johnson 

Die 13. Edition des Kammermusikfests Sylt findet dieses Jahr als
Oster-Festival statt, vom 17. bis 22. April 2025.

Auch dieses Mal habe ich vorab mit dem Cellisten Claude Frochaux gesprochen, dem Künstlerischen Leiter des Festivals.  Es ging um die Ewigkeit und um schöne rosa Wolken. Um eine Festival-Musikerin, die erst mal nach Scotch verlangte. Und um einen Musiker, der so überwältigt von der Schönheit Sylts war, dass er nicht rechtzeitig zum Konzert erschien.

von Jörn Schmidt

klassik-begeistert: Ostern feiern Christen die Überwindung des Todes, die Hoffnung auf ewiges Leben und die Erlösung. Daher das Festival-Thema THE ETERNAL?

Claude Frochaux: Meine erste Inspiration war tatsächlich, dass das Festival dieses Jahr an Ostern stattfindet. Aber in dem Thema steckt viel mehr. Was mich an Ostern interessiert, ist der Umstand, dass eine Geschichte, wie eben die Ostergeschichte, so unsterblich werden kann. Sie wird jedes Jahr, seit hunderten und hunderten von Jahren, immer wieder erzählt. Auch ist Ewigkeit ein Thema, das eng mit der Musik verbunden ist. Mit viel Repertoire, das in uns fortlebt. Aber auch als Kunstform an sich.

klassik-begeistert: Die Sylter Kirchen sind ein beliebter Spielort. In das Programm haben religiöse Tonarten indes keinen Einzug gehalten. Warum?

Claude Frochaux: Anknüpfend an meine Idee von Unendlichkeit wollte ich eine religiöse Erzählung vermeiden. Die wird ja bereits in den Evangelien und anderen neutestamentlichen Texten erzählt. Stattdessen möchte ich die dramaturgischen Linie hinter der Ostergeschichte herausarbeiten, die unsere Gesellschaft auch unabhängig von religiöser Zugehörigkeit noch heute stark prägt.

klassik-begeistert: Welche der Werke stehen für Auferstehung?

Claude Frochaux: Das Thema Auferstehung kommt ins Programm durch eine literarische Geschichte. Indem, wie des Öfteren beim Kammermusikfest Sylt, andere Künste die Musikprogramme ergänzen. Die Sylter Schauspielerin Misha Loewenberg eröffnet den Ostersonntag mit einer brillanten Erzählung über Händels Auferstehung aus der Sammlung historischer Miniaturen Stefan Zweigs „Sternstunden der Menschheit“ – die das Thema eben aus einer nicht religiösen Perspektive anschaut.

klassik-begeistert: Und Beethoven steht für Freiheit?

Claude Frochaux:  Klar… die Freiheit zelebrieren wir aber auch mit Mahler, Janáček und natürlich Thomas Adès, dem diesjährigen Composer in Residence. Am letzten Festival-Abend, da wird ein sehr frühlingshaftes, voller Lebenslust sprudelndes Programm die Freiheit  feiern.

Buhne © Jörn Schmidt

klassik-begeistert: Für die Autoindustrie ist Innovation der Schlüssel zum Erfolg. Wie ist das in Ihrer Branche? Welches Ass im Ärmel braucht es für eine goldene Zukunft?

Claude Frochaux: Ein Erfolgskonzept hängt immer auch davon ab, was man unter Erfolg versteht. Künstlerisch, kommerziell… Bereits unter Musiker*innen werden die Ansichten dazu sehr unterschiedlich sein.

klassik-begeistert: Aber was ist das Erfolgsrezept Ihres Festivals?

Claude Frochaux:  Wenn es um Festivals geht, ist für mich das Vertrauen einer Community wesentlich, die sich von Qualität und Geschichten überzeugen lässt. Innovation ist natürlich auch im Bereich Musik wichtig und notwendig, um die Neugier anzuregen und ebendiese Community zu verbreitern.

klassik-begeistert: Kulturelle Bildung und Kultur im Allgemeinen fördert starke, kompetente und selbstbewusste junge Persönlichkeiten. Sie haben das Kammermusikfest Sylt Education Programm Next Wave entwickelt. Gehen Sie neue Wege in der kulturellen Bildung?

Claude Frochaux: Ich würde es nicht als komplett neue Wege bezeichnen. Uns ist wichtig, den Kindern und Jugendlichen – sowie unerfahreneren Klassik-Zuhörer*innen – Partizipation in verschiedenen Formen zu ermöglichen. Sie in Konzerte, Workshops und spezielle Programme zu involvieren. Dieses Jahr ist es daher wirklich wunderbar, dass wir mit der Sylt Marketing Gesellschaft für die Familienwoche Sylt zusammenarbeiten. So integrieren wir im Festival zwei Konzerte für kleine(re) Ohren. Sie scheinen schon bald ausverkauft zu sein, daher: Familien, sichert euch eure Plätze!

klassik-begeistert: Das klingt nach dem Ansatz der REIHE_15. Netzwerk für junge Konzerte der NORDMETALL-Stiftung:  Hinhören, tatkräftiges Mitmischen und professionelles Organisieren steht da im Vordergrund…

Claude Frochaux: Perfect Match, würde ich sagen… darum ist unser Festival dort Mitglied.

klassik-begeistert: Profimusiker leben und atmen Kultur. Wenn man sagt, dass Kultur den Menschen zum Menschen macht, dann geht es in der Klassik-Branche bestimmt höchst menschlich zu. Nirgendwo Neid und Missgunst…?

Kammerfestspiele Sylt (kmfsylt) im Kleinen Saal der Elbphilharmonie in Hamburg © Florian Quandt

Claude Frochaux: Auch Kultur ist natürlich nicht nur schöne rosa Wolken und nicht alle Musiker*innen sind reine Kulturenthusiasten. Aber wenn man vorwiegend mit kleineren Ensembles arbeitet, hat man das Privileg, sich mit Leuten umgeben zu können, die man schätzt und mag. Und in diesem Fall geht es natürlich tatsächlich höchst menschlich und herzlich zu. 

klassik-begeistert: Und auf Tour, wie begegnet man sich da?

Claude Frochaux: Genauso, wie im Ensemble. Nur meistens mit Koffer!

klassik-begeistert: Mir kommt in diesem Zusammenhang sofort viel Anekdotisches in den Sinn. Der legendäre Dirigent Sergiu Celibidache zum Beispiel, der hatte zu allem eine starke Meinung: „Karajan? Ich weiß, er begeistert die Massen. Coca-Cola auch.“ Ich würde jetzt gerne eine Sylter Anekdote von Ihnen hören.

Claude Frochaux: Einmal fragte eine Musikerin unmittelbar vor einem Konzert nach Scotch. Unser Team versucht immer, auch exotischere Wünsche umgehend zu erfüllen. Also hat ein Helfer händeringend nach einem Whiskey gesucht. Bis sich herausstellte, dass damit Klebeband gemeint war, um Notenblätter zusammenzukleben (Anmerkung Jörn Schmidt: Scotch ist ein Markenname für Klebebänder)… Lassen Sie mir das amüsante Episode durchgehen? Wir haben jedenfalls herzlich gelacht. Was im Eifer des Festivals  alles so passieren kann…

klassik-begeistert: Wunderbar, noch eine Anekdote bitte.

Claude Frochaux: Ein Musiker wollte unbedingt einen Ausflug machen, zur Nordspitze der Insel. Auch Ellenbogen genannt. Just dort blieb er ohne Benzin liegen und hat es nicht rechtzeitig zum Konzert geschafft…

Claude Frochaux © Matthew Johnson

klassik-begeistert: Auf Sylt gibt’s ja auch nicht so viele Tankstellen… Was machen Sie privat, ist das Cello auch Ihr Hobby?

Claude Frochaux: Selbstverständlich! Was man leidenschaftlich macht, das klassifiziert ohne Weiteres als Hobby… zu Hause faulenzen ist aber ebenfalls fein. So wie Freundschaften pflegen oder in Techno-Clubs die Nacht durchtanzen. Und reisen, aber ohne Cello…!

klassik-begeistert: Wie feiern Sie, jenseits des Festivals, Ostern?

Claude Frochaux: Wenn nicht mit dem Kammermusikfest Sylt, tatsächlich mit einem anderem Kammermusikfestival!

klassik-begeistert: Gibt es auf Festivals ein TOP 5 der Gesprächsthemen, wenn Sie sich mit Kollegen austauschen?

Claude Frochaux: Die TOP 2-5 variieren immer ein bisschen. Je nachdem, mit wem man spricht. Da möchte ich mich nicht festlegen. Aber an erster Stelle kommt natürlich immer die Musik. Aber fragen Sie jetzt bitte nicht, ob ich das gut finde…

klassik-begeistert: Kommt das Festival nächstes Jahr wieder nach Sylt?

Claude Frochaux: Aber sicher! Nach 13 Jahren erwartet das unser Publikum auch.

klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Jörn Schmidt, 11. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Abschlusskonzert 12. Kammermusikfest Sylt klassik-begeistert.de, 2. August 2024

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