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Die gerade einmal sechzehnjährige türkische Pianistin İlyun Bürkev gehört zu den aufregendsten Musiktalenten ihrer Generation. Mit 13 begann sie am Salzburger Mozarteum bei Pavel Gililov zu studieren, inzwischen gastiert sie mit renommierten Orchestern auf wichtigen Bühnen wie dem Konzerthaus Berlin und dem Mariinski-Theater. Im zweiten Teil unseres Interviews sprechen wir über türkische Komponisten, Social Media und natürlich die neuesten Entwicklungen beim Philharmonischen Staatsorchester Hamburg.
Johannes Karl Fischer im Gespräch mit İlyun Bürkev, Teil II
klassik-begeistert: Frau Bürkev, Sie haben gestern mit Griegs Klavierkonzert in der Elbphilharmonie debütiert. Welche Werke würden Sie gerne als nächstes einstudieren?
İlyun Bürkev: Das zweite Klavierkonzert von Rachmaninow, das ist eines meiner Lieblingswerke und ich werde dieses Jahr anfangen, es einzustudieren. Das ist ein sehr interessantes Stück, Rachmaninow hat das in einer sehr depressiven Phase seines Lebens geschrieben und seinem Therapeuten gewidmet. Durch diese Musik hat er wieder das Licht in seinem Leben gefunden. Es ist ein wahrliches Meisterwerk und es wäre eine Ehre, das in einem großen Saal zu spielen. Dann natürlich das Tschaikowsky-Konzert, auch das zweite von Liszt würde ich gerne mal spielen. Und dann gibt es eine ganze Reihe an wunderbaren Werken von türkischen Komponisten, zum Beispiel von meinem Opalehrer, Ahmed Adnan Saygun.

klassik-begeistert: Apropos türkische Komponisten: Die findet man auf den von Beethoven, Brahms und Co. dominierten Spielplänen immer noch sehr selten. Was müsste sich ändern, um ein bisschen mehr Abwechslung in die Konzertprogramme zu bringen?
İlyun Bürkev: Gestern Abend habe ich als Zugabe eine Etüde von Saygun gespielt. Nach dem Konzert kamen ganz viele Leute zu mir und waren neugierig, wer denn der Komponist und welches Werk das war. Dem Publikum hat es offensichtlich sehr gefallen. Ich finde es sehr interessant, die Klassiker mit unterschiedlichen Orchestern und Künstlerinnen zu hören, aber abwechselnd zu diesen Stücken auch mal andere Musik, die die Leute vielleicht nicht so gut kennen, zu spielen. Das kann Musik aus anderen Ländern sein, oder auch einfach neuere Musik. Solche – in diesem Sinne – bunten Programme wirken immer sehr inspirierend.

Gestern hat das Orchester auch ein Stück von Cem Esen gespielt, ein junger und sehr talentierter Komponist. „Sarcasm“ [dt.: Sarkasmus] hieß das Werk, es war vielleicht eine Viertelstunde lang. Ich denke nicht, dass man nur neue Musik spielen muss, aber die Klassiker schon mit unbekannteren Werken abwechseln sollte. Das Schleswig-Holstein-Musikfestival macht das vor: Da wird nicht nur Klassik, sondern auch Jazz oder World Music gespielt. Und sie spielen auch nicht nur in den großen Konzertsälen, sondern auch in Kirchen, in Fabrikgebäuden oder sogar auf der offenen Wiese.
klassik-begeistert: Das Konzert gestern Abend war ausverkauft, das ist in der Klassikszene im Moment leider eher die Ausnahme. Wie kann man wieder mehr Publikum, gerade von den jüngeren Generationen, für die Klassik begeistern?
İlyun Bürkev: Das ist eine meiner wichtigsten Ziele und Anliegen, den Wert der klassischen Musik wiederzuentdecken. Und ich denke, das muss man auch über Social Media machen. Heutzutage kursieren TikTok-Videos und Instagram-Reels, die sind relativ kurz und entsprechend wird auch die Aufmerksamkeitspanne der Leute kürzer. Wir leben in einer Welt, in der sich alles wahnsinnig schnell verändert. Aber man kann zum Beispiel bei Social Media auch Videos von Konzerten posten und damit junge Leute erreichen. Wenn ich ein Werk spiele, versuche ich mich in das Leben des Komponisten hineinzuversetzen und deren Emotionen nachzuempfinden.
Und dann reflektiere ich über mein eigenes Leben und gucke, wie meine eigenen Erfahrungen und Erinnerungen in dieses Werk hinein passen. Als Hörer kann man in der Musik seine eigene Lebensgeschichte sehen, die Komponistinnen erzählen einem etwas und das wird dann Teil der eigenen Geschichte. Das ist eine sehr besondere Erfahrung und zauberhafte Atmosphäre.

klassik-begeistert: Wenn die Aufmerksamkeitsspanne der Leute nicht mehr so lang ist, was machen wir dann mit Werken wie Beethovens Hammerklaviersonate? Die dauert fast eine Stunde, kann man sowas dann überhaupt noch spielen?
İlyun Bürkev: Ich denke nicht, dass man sowas gar nicht mehr spielen kann. Aber wenn wir durch die Musikgeschichte schauen: Im Barock oder während der Wiener Klassik waren Konzerte und Opern oft viele Stunden lang. Heutzutage haben wir YouTube und Spotify, da hören sich Leute auch kurze Auszüge von längeren Werken ab. In meiner Generation wird einfach alles kürzer und schneller. Unser Leben ist voller Hektik, da haben nicht zuletzt die Medien einen großen Einfluss. Klassische Musik ist so ungefähr das einzige, wo die Zeit still steht und nicht so sehr weg rennt. Als diese Werke geschrieben wurden, gab es keine Handys, kein Internet, einfach nur Musik und Konzerte. Diese Konzertkultur müssen wir – ein wenig an die heutige Zeit angepasst – wiederbeleben.
klassik-begeistert: In der neuen Spielzeit beim Philharmonischen Staatsorchester Hamburg wird bei jedem Konzert mindestens ein Satz überschrieben oder kompositorisch ergänzt. Was halten Sie von diesem Ansatz?
İlyun Bürkev: Ich bin immer sehr offen für neue Projekte. Wenn man etwas neues auf die Bühne bringt, ist das immer sehr interessant.

klassik-begeistert: Aber würden Sie das Grieg-Konzert auch spielen, wenn der zweite Satz durch ein neu komponiertes Werk ersetzt werden würde?
İlyun Bürkev: Das kommt darauf an, was ich dann spielen würde. Wobei ich persönlich würde in diesem Fall das Original nicht unbedingt ändern wollen, weil die Musik einfach so schön ist. Das ist auch immer eine Frage, wie man das macht, das ist alles ein bisschen tricky, kann aber eine sehr interessante Sache sein.
klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Johannes Fischer, 16. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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