Tomasz Konieczny in Zürich © Kinga Karpati & Daniel Zarewicz
Jolanta Łada-Zielke im Gespräch mit dem Bassbariton Tomasz Konieczny, der im Januar 2025 die Titelrolle in Richard Wagners Der fliegende Holländer an der Staatsoper Hamburg singen wird, in der Regie von Michael Thalheimer und unter der Leitung von Kent Nagano.
klassik-begeistert: Wie oft hast Du schon den Holländer gesungen?
Tomasz Konieczny: Ich weiß nicht genau, wie viele Holländer– Inszenierungen ich bisher gesungen habe, aber bestimmt um eine Hälfte weniger als die Produktionen von der Walküre, in denen ich bereits 20-mal mitgewirkt habe. Ich habe den Holländer unter anderem in New York, Chicago, München und zuletzt in Zürich gesungen. Diese Rolle passt gut zu meiner Stimme und nimmt eine feste Position in meinem Repertoire.
Ich freue mich sehr, diese Rolle auf der Bühne der Hamburger Staatsoper zu spielen, denn es war schon immer mein Traum, in diesem Theater zu singen. Ja, es wird mein Debüt in Hamburg sein. Während meines Gesangsstudiums an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden erhielt ich hier ein Stipendium der Alfred -Toepfer-Stiftung. Damals kam ich regelmäßig zu Stipendiaten-Treffen nach Hamburg, und die Stadt hat mich schon damals sehr beeindruckt.
Danach habe ich in Leipzig und später in Lübeck, Mannheim und Düsseldorf gearbeitet. Als ich in Lübeck engagiert war, erschien mir Hamburg als etwas Unerreichbares. Zweimal habe ich an einem Vorsingen an der Staatsoper Hamburg teilgenommen, aber ohne Erfolg, weil ich jedes Mal nicht ganz gesund war. Während meiner Arbeit in Lübeck lernte ich den damaligen Studienleiter der Hamburgischen Staatsoper, Siegfried Schwab, kennen, mit dem ich die Partie von Wotan in Walküre und Das Rheingold einstudierte. Wir haben auch an dem Monolog des Holländers gearbeitet. Siegfried Schwab war es auch, der mir sagte, dass ich ins Fach des Heldenbassbaritons wechseln würde, was mich damals überraschte.
klassik-begeistert: Du hast also davon geträumt, an der Staatsoper Hamburg aufzutreten, obwohl Du schon in Teatro Real Madrid, an der Opéra National de Paris, an der Wiener Staatsoper, am Teatro alla Scala und an der Metropolitan Opera gesungen hast?
Tomasz Konieczny: Obwohl man die Staatsoper Hamburg nicht mit der Metropolitan Opera oder der Wiener Staatsoper vergleichen kann, freue ich mich dennoch sehr, hier unter Kent Nagano singen zu können. Unter seiner Leitung habe ich bereits die Basspartie in Bachs Matthäus-Passion in Brasilien gesungen, und dann haben wir uns beim Ring des Nibelungen in München getroffen, als ich als Alberich auftrat.
klassik-begeistert: Was sagst Du zu Michael Thalheimers Inszenierung von „Der fliegende Holländer”?
Tomasz Konieczny: Ich mag es, mit einem neuen Blick auf den Inhalt einer Oper konfrontiert werden. Und in der Tat sieht es hier ganz anders aus als das, was ich bisher erlebt habe. Im Verlauf der Oper bahnen sich die Charaktere ihren Weg durch ein Dickicht von Fäden, die den Boden mit einer unsichtbaren Decke verbinden. Die Fäden sind natürliche Hindernisse, die meinen Protagonisten stören, sich vorwärts zu bewegen, so dass er an ihnen hängen bleibt, obwohl dieser Stillstand ihn anderseits auch retten kann.
Als Schauspieler vom ersten Beruf versuche ich, diesen Bühnenraum zu zähmen und ihn entsprechend meiner Ausbildung, meinen Fähigkeiten und Überzeugungen zu nutzen. Was die Emotionen betrifft, sind sie bereits in Wagners Musik sozusagen eingeschrieben. Natürlich gibt es Produktionen, bei denen wir bewusst gegen den Strich gehen und versuchen, etwas zu zeigen, was den Intentionen des Komponisten widerspricht. In diesem Fall folgt jedoch der Regisseur Wagner. Als Darsteller bin ich sehr fasziniert von dieser Interpretation und etwas überrascht von meinem Kostüm. Es ist das erste Mal, dass ich als Holländer in einer Art langer ärmelloser Weste auftrete, die ich am nackten Körper trage.
klassik-begeistert: Die weibliche Hauptfigur von Der fliegende Holländer sollte ursprünglich Minna heißen, wie Richard Wagners erste Ehefrau, die mit ihm die gefährliche, stürmische Seereise auf der Flucht von Riga nach England überlebte. Zieht sich das Thema der Frau als „treue Begleiterin bis zum Tod“ durch alle Inszenierungen des Holländers, an denen Du teilgenommen hast?
Tomasz Konieczny: In der Oper sieht das anders aus. Holländer macht den Eindruck, als ob er keine Beziehung eingehen wollte. Einerseits beklagt er sich über seine Verstrickung in eine Situation, aus der ihn nur diese ‚bis in den Tod treue‘ Frau befreien kann. Sie soll sich in ihn verlieben und ihm an dem einen einzigen Tag, an dem der Holländer alle sieben Jahre an Land kommt, ihre Treue beweisen. Anderseits glaubt er an Erfolg nicht.
In der Partitur sieht man immer wieder, dass Holländer einen Funken Hoffnung auf Verbesserung des Schicksals hat, aber dann überwältigen ihn wieder Zweifel. So reagiert er auch, als er im Finale Senta und Erik auf einer imaginären „frischen Tat“ ertappt, die in Wirklichkeit nur ein Gespräch ist.
Senta hat nicht einmal den Hauch einer Absicht den Holländer zu betrügen. Dieser tut aber so, als ob er die Bestätigung dafür suchte, dass keine Frau ihm treu sein wird und dass er zur ewigen Irrfahrt verdammt ist. Meiner Meinung nach ist die Situation hier völlig anders als bei der Flucht von Richard und Minna über die Ostsee, als die beiden mit dem Tod rechneten und dies sie in besonderer Weise verband. In der Oper ist es genau umgekehrt: Ohne Sentas Opfer wäre der Holländer weiter durch die Meere gezogen.
klassik-begeistert: Steht Dir dieser Held nahe, der Angst vor einer Beziehung hat?
Tomasz Konieczny: Ich kann mir seinen Geisteszustand gut vorstellen. Der Holländer erwartet vom Leben nichts als noch mehr Elend. Gleichzeitig hat er auch eine große Sensibilität in sich. Das ist es, was diese Figur so liebenswert und sehr ‚charmant‘ macht. Er ist ein überzeugter Skeptiker, aber in diesem Skeptizismus steckt eine Art Romantik, ein Hoffnungsschimmer. Tatsächlich bemüht er sich nicht wirklich um eine engere Bindung zu Senta. Ich bin mir nicht sicher, ob Wagner hier Minnas Treue huldigen wollte. Meiner Meinung nach ging es ihm mehr um die hypothetische Irrfahrt, das Leiden, den Fluch, die Unfähigkeit, einen friedlichen Hafen zu erreichen.
Auch die Helden seiner späteren Werke sind notorisch vom Schicksal gebeutelt. Wotan ist ein gebrochener Gott, der scheinbar nichts mehr erwartet und dennoch hofft, dass seine geliebte Tochter ihm den Ring des Nibelungen, das heißt unbegrenzte Macht, zurückbringt. Ebenso gibt es hier das für Wagners Werk typische Thema der Frau als „Retterin“.
Man beachte, dass er den Fliegenden Holländer im Alter von 29 Jahren komponierte, und zwar in einer brillanten, revolutionären Art und Weise, das die Opernmusik und das Musikdrama betrifft, auch wenn man die Form des Werks noch als romantisch ansehen kann. Auf der musikalischen Ebene sind jedoch die berühmten Leitmotive bereits vorhanden, und die harmonischen Lösungen gehen über die typisch romantische Form hinaus.
klassik-begeistert: Und der strahlende D-Dur-Akkord am Ende symbolisiert die Befreiung des Holländers von dem Fluch und die Vereinigung mit Senta…
Tomasz Konieczny: Der Akkord ist schön, aber den ganzen Schluss, der aus den nacheinander folgenden Rezitativen besteht, schrieb Wagner ungeschickt, als ob ihm eine Idee dazu fehlte. Zu den brillantesten Passagen dieser Oper zähle ich das Duett von Senta und Holländer, bei dessen Aufführung man sich völlig in dieser Musik verlieren kann. Ebenfalls sehr gut und sehr schwierig ist der lange Anfangsmonolog des Titelhelden. Wagner wusste noch nicht genau, wie man organisch und wirkungsvoll für die verschiedenen Stimmlagen schreibt. Manchmal fragen mich junge Baritone oder Kollegen, die vom italienischen zum deutschen Repertoire wechseln, mit welcher Rolle sie bei Wagner anfangen sollen, und ob vielleicht mit dem Holländer. Ich sage dann: Gott bewahre! – und empfehle ihnen Amfortas.
klassik-begeistert: Lieber Tomasz Konieczny, herzlichen Dank für das Gespräch.
Jolanta Łada-Zielke, 25. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Im zweiten Teil des Interviews mit Tomasz Konieczny,
am 27. Dezember 2024, sprechen wir über Wotan und Hans Sachs.
Tomasz Konieczny, Interview, Apokalypse Münchner Künstlerhaus, 7.11.21, Musikverein Wien, 16.11.21
Es freut mich, mal wieder was von Tomasz Konieczny zu lesen. In Wien zählt er leider nicht mehr zu den Stammgästen. Apropos Holländer – den empfinde ich als Vorstufe zum Wotan. Dass der nicht für Anfänger geeignet ist, liegt somit auf der Hand.
Jürgen Pathy