Oliver Zwarg: "Oper ist die höchste Kunstform..." (Teil 2)

Interview: klassik-begeistert im Gespräch mit dem Bassbariton Oliver Zwarg, Teil 2  klassik-begeistert.de, 9. Oktober 2024

Bassbariton Oliver Zwarg; Foto Privatarchiv Zwarg

„…Sie bringt Architektur, Schauspiel, Musik, Literatur und Beleuchtung gemeinsam auf die Bühne. Wenn dann noch ein aufmerksames Publikum im Saal sitzt, welches die Energie der Bühne zurückspiegeln kann, dann entwickeln wir uns zu besseren Menschen.“

Patrik Klein sprach mit dem Bassbariton Oliver Zwarg (TEIL 2).

Oliver Zwarg ist ein Vollblutsänger, der an fast allen wichtigen europäischen Opernhäusern gastiert, bei den Festspielen von Salzburg, Edinburgh, Wiener Festwochen und zuletzt auf der Seebühne in Bregenz als Kaspar in der spektakulären Freischützproduktion von Philipp Stölzl (Klassik-begeistert berichtete darüber im folgenden Artikel: Klein beleuchtet kurz 41: Webers Freischütz klassik-begeistert.de, 24. Juli 2024 – Klassik begeistert). Vor allem ist er bei Richard Wagner und Richard Strauss sowie den Expressionisten (Arnold Schönberg, Alban Berg, Alexander Zemlinsky, Walter Braunfels und Franz Schreker) zu Hause. Bei den ausländischen Komponisten dieser Zeit dementsprechend auch bei Leoš Janáček, Claude Debussy und ausgewählten Giacomo Puccini-Rollen.

Klassik-begeistert: Was möchten Sie mit den vielen jungen Leuten erreichen?

Oliver Zwarg: Ganz vordergründig gesprochen: ich möchte, dass meine Studierenden einen Job erlangen. Das muss (und kann) nicht in allen Fällen ein Solo-Job, nicht mal eine Chorstelle am Theater sein. Ich versuche hier derzeit sehr den Blickwinkel des Instituts 7 (für Gesang) auch auf andere Institute zu erweitern. Das Interdisziplinäre sollte ja eh ein Anspruch in einer modernen Gesellschaft sein.

Grundsätzlich würde ich gerne den Leitspruch: „Tradition ist Weitergabe des Feuers, nicht Anbetung der Asche!“ weitergeben. Wenn das gelingt, dann darf ich mich als erfolgreichen Lehrer bezeichnen.

Klassik-begeistert: Worauf legen Sie im Unterricht besonders großen Wert? Was machen Sie neu, anders als andere Gesangslehrer?

Oliver Zwarg: Ich bin nicht so verwegen anzunehmen, dass ich jetzt das Rad total neu erfinde. Nichts, was ich inhaltlich unterrichte, hat es nicht schon gegeben. In der Methodik bin ich sängerisch gesprochen ein sehr analytischer Typ.  Fausts Wort „…dass ich doch erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält“ ist tatsächlich ein Satz, den ich wie ein Mantra für mich vor mich hinzitiere. (…lacht)

Aber tatsächlich bin ich der Meinung: „Nur ein wissender Sänger, ist ein guter Sänger!“ Ohne Sprachkenntnisse, ohne Wissen um den historischen Kontext, ohne Interesse am Gehalt des Textes lässt sich ja nicht wirklich interpretieren.

Wenn ich da helfen kann, so steh ich gerne zur Verfügung. Aber es ist natürlich nicht so, dass ich hier allein auf weiter Flur stehe. Wir haben ein tolles internationales Kollegium mit phantastischen Koryphäen (Joseph Breinl, Mardy Byers, Tara Venditti, Hermine Haselböck, Elena Pankratova, Robert Heimann, Holger Falk, Arnold Bezuyen, Gerrit Prießnitz, Ingo Kerkhof usw.), die ein sehr kollegiales Miteinander pflegen. Teamteaching und gegenseitige Hospitationen sind eher die Regel, als eine Ausnahme. Das Ganze ist also sehr konstruktiv und unterstützend.

Klassik-begeistert: Als häufig in Opernhäusern in Europa zuhörender Autor, mache ich zunehmend die Erfahrung, dass in den Castingbüros scheinbar immer weniger Wert auf die Gesangsqualitäten, sondern eher mehr auf Randerscheinungen wie das Aussehen, die körperliche Beweglichkeit usw. gelegt wird. Steht man dort auch unter dem Druck der Agenturen, so dass Nebensächlichkeiten in den Vordergrund geraten, die insgesamt gelegentlich bedenkliche Qualitätsniveaus erzeugen? Wie sehen Sie das?

Oliver Zwarg in Bergs Lulu als Dr. Schön © Nils Heck

Oliver Zwarg: Wir leben in schwierigen Zeiten. Schwindendes Zuschauerinteresse (auch aus der Pandemie resultierend) lässt die Verantwortlichen in den Opernhäusern denken: Wir brauchen einfach neue Gesichter, die die Neugier wecken oder Megastars, die die Sponsoren „bedienen“.  Man will lieber in jüngere Gesichter/neue Typen investieren, die günstiger sind bzw. die man noch entdecken und fördern kann statt in den „altgedienten“ Mittelbau. Das ist ein Denken, das gesamtgesellschaftlich stattfindet. Ich erlebe das ganz stark in meinem Freundes- und Bekanntenkreis. Menschen ab Mitte 40 werden abgefunden oder entlassen und müssen sich in der Blüte ihrer Karriere (weil eben schon erfahren aber nicht mehr naiv präpotent und noch nicht so alt, dass sie beratungsresistent sind) neu erfinden.  Wer nicht ganz oben war, ist auf einmal entbehrlich. Hinzu kommt, dass es seit Jahrzehnten eine schleichende Kürzung der öffentlichen Mittel gibt. Ein Theater wie das Staatstheater Hannover hat etwa 1000 fest engagierte Mitarbeiter. Wenn die öffentliche Hand beispielsweise für die Dauer einer Legislaturperiode beschließt, die Subventionen einzufrieren, dann kommt es einer effektiven Kürzung von mindestens 10 Prozent des Etats gleich, da ja sämtliche Tariferhöhungen selber zu tragen sind.

Wenn aber jahrelang in Deutschland (bzw. Gesamteuropa) von Bildungsoffensive die Rede ist und bei Problemen wie wir sie jetzt haben, in Bayern allen Ernstes der Kunst- und Musikunterricht abgeschafft wird zugunsten einer weiteren Deutschstunde, dann darf man mal laut fragen: „Seid Ihr jetzt komplett deppert oder habt gar nichts gelernt aus den Forschungsergebnissen über Verknüpfung von Hirnhälften?“

Aber zurück zum Theater: Die Einstellung der Casting Direktoren/innen hat sich mittlerweile wieder ein wenig korrigiert, da man in der Häusern gemerkt hat, dass junge Sänger doch noch nicht so weit sind. Man gibt am Ende viel mehr Geld aus, wenn man Rollen an noch nicht „fertige“ Sänger vergibt und im Probenprozess korrigieren muss.

Grundsätzlich glaube ich an die „Wahrheit der Kunst“. Vielleicht fangen wir ja alle mal an zu verstehen, dass Integration (das große Thema des 21. Jahrhunderts neben Energiewende) nur dann möglich ist, wenn es auch ein großes gemeinsames „Goal“ gibt.

Und das heißt halt kulturelle Identität. Da können Politiker noch so viel schwadronieren über „Ausländer lassen bei uns die Zähne machen…“.  Politisches Versagen über mittlerweile mehr als 60 Jahre hat dazu geführt, dass sich Schattengesellschaften in den großen Städten gebildet haben. Aber Menschen möchten an sich Teil des Ganzen sein, möchten „dazu“ gehören. Das kann sich ja nicht nur durch Fußball und Kommerz definieren. Das merkt doch an sich jeder, dass das langweilig ist.

Klassik-begeistert: Wie schätzen Sie die Zukunft in Bezug auf die musikalische Qualität an den zahlreichen Opernhäusern und Konzertsälen ein?

Oliver Zwarg: Qualität steht und fällt mit der Teamfähigkeit eines Leitungspersonals. Und mit der Erkenntnis, dass ein Team aus Künstlern eine Mischung sein muss aus begabter Jugend und etabliertem Mittelbau. Früher war das durch eine 40-jährige Ensemblekultur gegeben. Diese Ensembles wurden aber bereits zu meiner „Jugend“ abgeschafft. Der Sangeskollege Andreas Schmidt meinte mal zu mir: „Zu meiner Zeit sang den Admiral Lefort der Kammersänger x im Alter von 63 Jahren, gestern sah man einen 23-Jährigen aus dem Opernstudio damit auf der Bühne!“

Jetzt kann man sich fragen, inwieweit Stücke wie „Der Waffenschmied„, „Zar und Zimmermann„, „Der Wildschütz“ oder „Die lustigen Weiber von Windsor“ noch immer eine Relevanz haben, aber der Grundfehler liegt ja im System. Qualität wird erreicht durch Proben und Reifen (ergo Zeit). Zeit gibt es für niemanden mehr. Gleichzeitig macht beispielsweise die Stadt Hamburg den Theatern Vorschriften über Anzahl der Vorstellungen, Anzahl der verschiedenen Opern etc.  Das soll jetzt nicht den morbiden Zustand eines großen Opernhauses einer Millionenstadt entschuldigen. Was da passiert, ist tragisch. Aber da arbeiten ja trotz der Qualitätseinbrüche, die es dort zu “bestaunen“ gibt, hochqualifizierte Mitarbeiter.

Da gibt es einen super Chor, ein tolles Orchester, Mega Bühnentechnik etc. Aber wenn man von oben nicht mitgenommen wird, nicht das Gefühl hat, man ist Teil eines großen Teams, dann entstehen für Jahre Leerlauf. Und das merkt ein Publikum, wenn vielleicht auch nur unbewusst. Und plötzlich ist eines der wichtigsten Opernhäuser Europas quasi leer gespielt. Eine Auslastung von 50% kann ja nicht der Anspruch sein bei 2 Millionen Einwohnern.

Klassik-begeistert: Wie bekommt man als erfolgreicher Sänger, der selten zu Hause ist und der ja auch noch spontan verfügbar sein muss, den Spagat zwischen Professur und Sängerleben hin?

Oliver Zwarg: „Puuhhh, schwierig“. Das ist tatsächlich eine Erfahrung, die ich derzeit noch gar nicht wirklich bewerten kann, weil alles noch so frisch ist. Aber ich habe eine megatolle Ehefrau und zwei sehr großartige Töchter. Die helfen! Das ist einfach „Superkalifragikexpepielialigetisch!“  Außerdem ich hab ja schon gesagt: Ich gebe nicht so schnell auf! (…lacht schon wieder)

Klassik-begeistert: Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Oliver Zwarg: „Nochmal puuuuh…“ Jahrelang hätte ich geantwortet: Ich will/muss unbedingt nochmal in Bayreuth singen, um glücklich zu sein. Tatsächlich ist das immer noch ein Traum, ich bin auch tatsächlich in „meinen“ Rollen mittlerweile sicher, dass ich da keinerlei Konkurrenz zu fürchten brauche. Aber wenn es nichts wird, dann dreht sich die Welt trotzdem weiter. Bayreuth ist ja am Ende auch nur ein großer umbauter Raum, der mit Musik zum Schwingen gebracht wird. Mit Sicherheit ein schöner „heiliger“ Ort, aber eben auch „nur“ ein Theater.

Die Aufführung von gestern ist dann auch relativ schnell wieder vergessen. Jungen Menschen etwas Dauerhaftes mit auf den Weg zu geben, erscheint mir Nachhaltiger!

Klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch und alles Gute für Ihre Zukunftspläne.

Patrik Klein, 9. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Biografie Oliver Zwarg:

Studierte zunächst Geschichte und Musik auf Lehramt, später dann an der Opernschule in Stuttgart bei Carl Davis und Julia Hamari. Seine Gesangsstudien führten ihn in der Folge zu Rudolf Piernay.

Heute wird er gesanglich betreut von Gundula Hintz.

Sein Bühnendebüt hatte er bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen. Festengagements führten ihn 1999 an das Opernstudio der Hamburgischen Staatsoper und 2001 ins Ensemble der Staatsoper Hannover. Heute ist Oliver Zwarg freischaffend tätig und gastiert in Deutschland u.a. an der Oper Köln, Staatsoper Berlin, Komischen Oper Berlin, Bayerischen StaatsoperStaatsoper Stuttgart, Semperoper Dresden sowie im Ausland in Shanghai (Kölner Ring), bei den Wiener Festwochen, Salzburger Festspielen, Osterfestspielen Salzburg, im Concertgebouw Amsterdam, beim Edinburgh Festival, beim Lucerne Festival oder an den Opernhäusern von Barcelona, Kopenhagen, Liège, Lille, Madrid, Riga, Strasbourg, Toulouse, BordeauxTurin, Venedig, Bari sowie ROH London. In dieser Zeit hat er mit Regisseuren wie Calixto Bieito, Stefan Herheim, Peter Konwitschny oder Jossi Wieler zusammengearbeitet. 2007 wurde er von der Zeitschrift „Opernwelt“ als „Sänger des Jahres“ nominiert.

Zentrale Rollen seines Opernrepertoires sind bei Richard Strauss Jochanaan, Barak, Orest und Musiklehrer, bei Wagner Telramund, Kurwenal, Amfortas & Klingsor, Holländer sowie Wotan und Alberich im Ring und seit 2018/19 Hans Sachs, Bergs Wozzeck, die Baßbaritonrollen bei Janáček sowie bei Mozart Leporello und Papageno. Im italienischen Repertoire gehören Scarpia, Jago und Amonasro zu seinen Lieblingsrollen. Große Erfolge hatte er stets mit Golaud in „Pelléas et Mélisande“. Wichtige Premièren 2019/20: sein erster Escamillo in „Carmen“ an der Oper Köln und „Die Meistersinger von Nürnberg“ an der Semperoper Dresden unter Christian Thielemann. 2020/21 Debüt am Bolshoi Theater in Moskau als Jochanaan.

Oliver Zwarg verfügt über ein von der Renaissance bis zur Moderne reichendes Konzertrepertoire. Er arbeitete bislang u.a. mit den Berliner und Wiener Philharmonikern, dem Gürzenich Orchester Köln, dem NDR Sinfonieorchester oder dem Orchestre National du Capitole Toulouse zusammen.

  

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