Plakat zur Premiere von Romeo und Julia am 25. Oktober 2024 (Foto: Yann Revazov)
Dr. Ralf Wegner im Gespräch mit Michal Sedláček, Choreograph und Ballettdirektor in Halle am 16. Oktober 2024, Teil 3
klassik-begeistert: Kommen wir zu Ihrer am 25. Oktober 2024 zur Uraufführung gelangenden Choreographie von Romeo und Julia zur Musik von Sergej Prokofjew. Wie schaffen Sie das mit Ihrem Ensemble, speziell hinsichtlich der zahlreichen Massenszenen? Bei John Neumeiers Romeo und Julia sind zum Teil bis zu 60 Personen auf der Bühne. Wie ist das bei Ihrer jetzigen Choreografie?
Michal Sedláček: Mein Konzept ist ganz anders als bei John Neumeier. Er ist ein großartiger Choreograf und wird es auch bleiben. Er hat eine große Compagnie und auch die Ballettschule aufgebaut. Das ist bombastisch, das ist super. Ich musste das Stück aber umdenken. Meine Geschichte spielt in der Modewelt, in einer Modepassage. Eine der dort ansässigen Firmen heißt Capulet, die Mode für die Älteren verkauft und die andere Montague, bei der deren Kinder einkaufen. Beide Firmen bringen gutes Geld in die Passage, sie stehen aber in Konkurrenz und sind miteinander verfeindet. Lorenzo ist bei mir nicht Pater, er hat vielmehr eine Parfümerie und ist außerdem Inhaber der Mode-Mall und daran interessiert, dass beide Firmen miteinander gut auskommen. Lorenzo ist daneben auch Alchemist.
Kämpfe zwischen den Gruppen finden statt, wenngleich nicht in riesigen Tanzszenen, es wird auch nicht gefochten. Es sind Messer und Schlagringe im Spiel sowie eine Pistole. Es ist für mich wegen der personellen Begrenzung nicht möglich, die Geschichte aus der Zeit Shakespeares heraus zu erzählen. Wichtiger ist, dass sich die Geschichte von Romeo und Julia jeden Tag, seit Hunderten von Jahren, auf der ganzen Welt leider immer wieder wiederholt. Es sei nicht erlaubt, jemanden zu lieben, wenn es bestimmten gesellschaftlichen Erwartungen widerspricht.
klassik-begeistert: Shakespeares Julia ist etwa 14 Jahre alt, Romeo wenige Jahre älter. Die Liebesqual und das Ausblenden aller gesellschaftlicher Normen erscheint mir bei so jungen Leuten glaubwürdiger als bei bereits im Leben erfahreneren Personen. Deswegen haben mich ältere Tänzerinnen als Julia auch nie so richtig überzeugt, sie mimten mehr als das sie erlebten. In einem Interview sagten Sie bereits, dass Romeo und Julia bei Ihnen deutlich älter sind. Können Sie das bitte näher erläutern?
Michal Sedláček: Für mich spielt das Alter bei der Liebe keine Rolle. Wenn jemand verheiratet ist, ein Mann mit einer Frau oder wie auch immer, kann man jemandem begegnen und sich in diese Person verlieben. Und dann stellt sich die gesellschaftliche Frage, kann ich das vor meinen Eltern, meinem Freundeskreis oder vor meinen Kindern rechtfertigen, dass ich mich in jemand anderes verliebt habe? Und vor allem, wie rechtfertige ich das vor mir selbst?
Ich weiß, bei einer 14-jährigen Julia kann man die Naivität eher nachvollziehen. Erwachsene sollten schon etwas mehr Erfahrung haben und in der Lage sein, dumme Fehler zu vermeiden. Ich kann es mir z.B. verbieten, mit 180 kmh durch die Stadt zu fahren, ich kann es mir aber nicht verbieten, mich in jemanden zu verlieben. Und dabei ist es vollkommen egal, ob jemand jung oder alt ist. Das kann auch bei älteren Menschen passieren, die ihren Partner verloren haben und sich wieder neu verlieben. Was ist, wenn das nicht von den Kindern akzeptiert wird? Soll der oder die Betreffende zu Hause sitzen und aus dem Fenster schauen, bis es dem Ende zugeht? Oder kann ich mit einer Frau, in die ich mich neu verliebt habe, zusammenleben? Das sind die Fragen, die mich beschäftigen.
klassik-begeistert: Nach welchen Kriterien suchen Sie sich die Protagonisten für die Hauptpartien in Ihren Stücken aus?
Michal Sedláček: Ich habe das Glück, dass die Tänzer in der Regel lange Zeit im Ensemble bleiben. Ich suche mir nicht Hauptdarsteller aus, ich suche mir die Stücke nach den Menschen aus, die hier bei mir tanzen. Aktuell habe ich die passenden Tänzer für Romeo und Julia. Mit anderen Tänzern hätte ich mich vielleicht für ein anderes Stück entschieden.
klassik-begeistert: Man hat ja bei jeder Romeo und Julia-Aufführung die offensichtlich unerfüllbare Hoffnung, dass es diesmal gut ausgehen könnte, dass Julia zwei Minuten eher aus ihrem Todesschlaf erwacht oder dass Romeo etwas später eintrifft. Erfüllt sich bei Ihnen diese Hoffnung?
Michal Sedláček: Sehen Sie, Prokofjew hat dazu eine geniale Musik komponiert, und diese gibt den Schluss vor, ganz eindeutig. Jede Person hat bei Prokofjew ein musikalisches Thema oder ein Instrument, welches sie die ganze Zeit begleitet. Ich liebe die Musik sehr und ich möchte nicht gegen sie ankämpfen. Aus Respekt vor dem Komponisten Prokofjew wird die Premiere aber bleiben wie es ist. Prokofjews Komposition ist die beste geschriebene Musik fürs Ballett. Bei Tschaikowsky hört man sehr oft, welche Teile, Soli oder Variationen er nicht machen wollte, aber machen musste. Prokofjew hat das vom Anfang bis zum Schluss so schön strukturiert, dass ich mich nicht trauen würde, das zu verändern.
klassik-begeistert: Gibt es Pläne für die weitere Zukunft?
Michal Sedláček: Ich bin hier sehr glücklich, ich habe eine sehr schöne Zeit am Ballett Halle und versuche sie zu genießen. Es ist meine 25. Spielzeit in Halle. Ich habe hier einen tollen Intendanten, eine Supergeschäftsführerin, ich habe meine großartigen Tänzerinnen und Tänzer. Es gibt immer irgendwelche Kleinigkeiten, aber keine großen, die man nicht lösen könnte. Ich genieße das. Natürlich habe ich Pläne für die nächste Spielzeit, die ich Ihnen aber noch nicht mitteilen darf. Ich möchte weiterhin die Menschen hier in Halle für unsere Kunst begeistern. Das erfüllt mich sehr. Ich mache jetzt eine Premiere pro Spielzeit. Ich lade aber auch Gastchoreographen ein. Ich möchte das nicht so wie Ralf Rossa machen, der alle Vorstellungen übernommen hat. Für mich ist es wichtig, dass verschiedene Gäste von außerhalb zu uns kommen, damit das Publikum auch andere Stile sieht.
Ich zeige Ihnen meinen Tagesablauf: Ich hatte gestern Beleuchtungsprobe von 8 bis 17 Uhr, von 18 bis 21 Uhr Bühnenprobe und von 21:30 Uhr bis 3:30 Uhr morgens habe ich Korrekturen geschrieben und um 6:30 Uhr Frühstück für meine Tochter gemacht. Dann bin ich hierhin gefahren. Ich mache das, weil es mir Spaß macht. Das ist wichtig.
klassik-begeistert: Eine Abschlussfrage, wie gefällt es Ihnen in Halle? In Halle ist ja im Krieg fast nichts zerstört worden.
Michal Sedláček: Das einzige was in Halle zerstört wurde, ist unser Zuschauerraum. Ich kam vor 25 Jahren nach Halle und habe eine komplett verfallene Stadt erlebt. Mit Wohnungen, die zu verschenken oder für einen niedrigen Preis zu verkaufen waren. Und jetzt ist es hier so schön geworden. Es gibt hier unglaublich viele Arten an Architektur, wir haben viele Studenten und die Stadt ist sehr übersichtlich mit ihren etwa 240.000 Bewohnern. Sie können alles fußläufig erledigen und es gibt viel Grün. Ich bin ein leidenschaftlicher Angler, und wenn ich Zeit dafür habe, entspanne ich mich an der Saale. Wie mein Opa gesagt hat: Lieber glücklich in Halle als unglücklich in Berlin.
klassik-begeistert: Lieber Herr Sedláček, ganz herzlichen Dank für dieses informative und detaillierte Interview und viel Erfolg für Ihre Romeo und Julia-Premiere am nächsten Freitag, dem 25. Oktober 2024.
Dr. Ralf Wegner, 22. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at