Interview mit Maximilian Haberstock: „Unbedarftheit und jugendlicher Leichtsinn wären meiner Situation unangemessen“

Interview: Maximilian Haberstock, Dirigent  klassik-begeistert.de, 29. August 2023

Maximilian Haberstock ©

Maximilian Haberstock ist sicherlich einer der spannendsten aufgehenden Sterne am Dirigentenhimmel. Kürzlich gab der 19-Jährige – im Rahmen des Münchner „Stars and Rising Stars“-Programms – ein fulminantes Debüt mit dem von ihm neu ins Leben gerufenen Jungen Philharmonischen Orchester München (klassik-begeistert berichtete). Trotz seines jungen Alters konzertierte er bereits auf bedeutenden Bühnen: Als Pianist trat er etwa in der New Yorker Carnegie Hall  oder – mit niemand geringerem als Lang Lang – beim Bundespräsidenten im Schloss Bellevue auf. Mit 15 Jahren dirigierte er erstmals ein selbst gegründetes Ensemble; in diesem Sommer war er jüngster Teilnehmer aller Zeiten beim Gstaad Festival. Im Gespräch mit Willi Patzelt spricht er über sein neues Orchester und seine Zukunftspläne.

Willi Patzelt traf Maximilian Haberstock im Sommer zum Gespräch:

klassik-begeistert: Lieber Herr Haberstock, in meiner Kritik unterstellte ich Ihnen Vorbilder wie Furtwängler, Knappertsbusch oder Thielemann und attestierte Ihnen deutschen Klang sowie einen Drang zu romantisierender Interpretation. Wie wohl fühlen Sie sich in der Schublade, in die ich Sie gesteckt habe?

© Laurin Hirsch

Haberstock: Ich fühle mich in überhaupt keine Schublade gesteckt! Dirigenten wie Furtwängler, Knappertsbusch oder Thielemann sind wunderbare Vorbilder; man sollte nur auf keinen Fall versuchen, diese zu kopieren. Sie eröffnen vielmehr ein Feld intensiver Auseinandersetzung und stellen Ausgangspunkte dar, an denen man seinen eigenen Weg der künstlerischen Reflexion und Weiterentwicklung ansetzen muss. Im Hinblick auf die Zuschreibung einer romantischen Interpretation und eines deutschen Klangs sehe ich darin erst einmal nichts Negatives. Ich glaube, dass ein Hang zur Romantisierung unserem Lebensgefühl entspricht. Eine romantische Klangvorstellung, die Sie als deutschen Klang identifizieren, trägt in sich tatsächlich das Potential zu einer wünschenswerten Differenzierung, besonders in einer Zeit, in der die Orchester international in Gefahr sind, sich in einer klanglichen Uniformität zu verlieren.

© Michael Herdlein

klassik-begeistert: Sie sind 19 Jahre alt. Bei aller inhaltlichen und persönlichen Sympathie – die für Ihr Alter nicht untypische jugendliche Unbedarftheit, gar einen gewissen Leichtsinn strahlen Sie nicht unbedingt aus…

Haberstock: Unbedarftheit und jugendlicher Leichtsinn wären in meiner Situation unangemessen und auch ein gewisses Risiko für meine Entwicklung. Das liegt vor allem daran, dass die Anforderungen der heutigen Dirigentenausbildung und -karriere ein besonders hohes Maß an Ernsthaftigkeit und Reife erfordern. Davon abgesehen hat jeder seine eigene Zeitschiene und „innere Uhr“, der er folgen sollte. Mit jugendlichem Leichtsinn und Unernst hätte ich sicherlich bereits noch nicht so viel erreicht.

klassik-begeistert: Sie haben jüngst mit dem Jungen Philharmonischen Orchester München ein neues Orchester aus der Taufe gehoben. Gab es in München etwa noch nicht genug Orchester?

Haberstock: Gemeinsames Musizieren ist ein Zeichen von Kultur, deshalb kann es ohnehin nie genug Orchester geben. In jeder Generation gibt es natürlicherweise Bestrebungen, neue Klangkörper zu gründen. Solche Neugründungen entspringen dem Wunsch, eine individuelle Klangvorstellung zur verwirklichen und haben schon deshalb eine Daseinsberechtigung.

klassik-begeistert: Es war beeindruckend zu hören, wie aufeinander eingespielt dieses Orchester nach nur einer Woche Probenarbeit klang. Was macht dieses Orchester aus?

Haberstock: Dieses Orchester setzt sich aus Persönlichkeiten zusammen, die die Bereitschaft mitbringen, nicht nur am perfekten Produzieren der Töne zu arbeiten, sondern darüber hinaus die Inhalte, daher die Sprache der Musik lebendig zu machen. Sie sind willens, sich auf die dafür erforderliche intensive Probenarbeit einzulassen, sich also Zeit für die Arbeit am Detail zu nehmen und nicht oberflächlich ergebnisorientiert und in schnellem Tempo vorzugehen. Nicht zuletzt nehme ich mir dementsprechend selbst den Zeitraum für die sehr umfängliche Vorbereitung meines eigenen Orchestermaterials für jedes einzelne Werk. Ich bin sehr dankbar für die Bereitschaft der Musiker, diesen sicher nicht üblichen Probenstil und die damit einhergehende Intensität nachzuvollziehen und wertzuschätzen.

© Laurentiu Nica

klassik-begeistert: Wie sieht die Zukunft des Jungen Philharmonischen Orchesters aus? Wird es eine Eintagsfliege gewesen sein oder darf man sich auf mehr freuen?

Haberstock: Wie schon in der Antwort eben angeklungen: Die besondere Art, wie wir proben und musizieren – nämlich mit ausreichender Zeit und mit Wertschätzung für das Detail – deutet bereits darauf hin, dass es sich eben nicht um eine Eintagsfliege handeln soll. Denn wir wollen uns die Zeit nehmen, das inhaltliche und klangliche Entwicklungspotenzial dieses Ensembles sich langsam entfalten zu lassen, sowie langfristig eine Besetzung zu schmieden, die diese Arbeit mitbeflügelt. Arbeit in dieser Qualität braucht jedoch immer ein finanzielles Fundament. Deshalb hängt unser Bestehen natürlich auch sehr davon ab, dass es wohlwollende Menschen und Förderungsmöglichkeiten gibt, die diese Art von Arbeit wertschätzen und unterstützen möchten. Denen gilt mein besonderer Dank!

Fotos aus Rumänien – Beethoven 9. Symphonie © Laurentiu Nica

klassik-begeistert: Sie selbst werden in der kommenden Spielzeit erster Gastdirigent des Oltenischen Philharmonischen Orchesters in Craiova (Rumänien) sein, mit dem Sie bereits im letzten Jahr Beethovens „Neunte“ – von der rumänischen Kritik bejubelt – aufgeführt haben. Was verbindet Sie mit diesem Orchester?

Fotos aus Rumänien – Beethoven 9. Symphonie © Laurentiu Nica

Haberstock: Die Verbindung zu dem Oltenischen Philharmonischen Orchester entstand – wie Sie bereits angesprochen haben – im letzten November, als ich das Privileg hatte, Beethovens Neunte dort zu dirigieren. Da dieses Konzert von Publikum und Kritik gleichermaßen positiv aufgenommen wurde und sich zusätzlich auch eine ausgezeichnete Chemie zwischen dem Orchester und mir entwickelte, bin ich äußerst erfreut, für die nächsten zwei Spielzeiten die Rolle des ersten Gastdirigenten übernehmen zu dürfen.

klassik-begeistert: Auf welche Programme mit Ihnen wird man sich dort freuen dürfen?

Haberstock: Im Hinblick auf die kommende Spielzeit sind mit mir drei Konzerte vorgesehen: Im November 2023 erklingt Brahms’ erstes Klavierkonzert, sowie Beethovens dritte Symphonie; im März 2024 dirigiere ich Wagners Tannhäuser Ouvertüre und Bacchanale (Pariser Fassung), Liszts zweites Klavierkonzert und Schumanns vierte Symphonie. Im Mai folgt dann Wagners Meistersinger Vorspiel zum ersten Aufzug, Bruchs erstes Violinkonzert und Bruckners vierte Symphonie.

klassik-begeistert: Bei diesem Programm könnte man Ihnen eine gewisse programmatische Enge hin zur deutschen Romantik vorwirft. Sind Sie nicht noch zu jung für – ich übertreibe böswillig – die deutsche Schwermut?

Haberstock: Gestatten Sie dazu folgende Rückfragen: Was soll mit „deutscher Schwermut“ gemeint sein? Und warum sollte „Schwermut“ etwas generell Negatives sein? Ich finde, dass die Musik der deutschen Romantik nicht zwangsläufig schwermütig ist, wie die breite Palette an emotionalen Farben und Gemütslagen des Repertoires dieser Epoche zeigt. Wenn ich daher als junger deutscher Dirigent ins Ausland eingeladen werde, ist das auch immer mit einer gewissen Erwartungshaltung an meine Herkunft verbunden; die Wahl des Programms ist dann natürlich Ausdruck meiner Authentizität, das Repertoire eng mit der Sprache verbunden. Übrigens zeigt der Blick auf die Werkauswahl der darauffolgenden Saison, in der ich unter anderem César Francks Symphonie in d-Moll und Tschaikowskis fünfte Symphonie dirigieren werde, dass ich durchaus nicht einspurig fahre.

klassik-begeistert: Zumal ihr Operndebüt, ebenfalls in Craiova, eine französische Oper war…

Haberstock: Genau! „Les Pêcheurs de Perles“ von Georges Bizet.

klassik-begeistert: Nun waren sie der jüngste Teilnehmer aller Zeiten beim Gstaad Festival. Und auch in Verbier waren Sie mehrfach als Dirigent und Pianist dabei. Wer sind die Menschen von denen Sie Ihre musikalische Inspiration nehmen?

Haberstock: Inspirierend sind für mich alle Arten von Künstlern. Zunächst einmal die Dirigenten, die ich selbst erleben durfte, darunter mein verstorbener Mentor Mariss Jansons, oder auch Christian Thielemann. In der Musikgeschichte sind es die großen Figuren wie Wilhelm Furtwängler, Herbert von Karajan oder Willem Mengelberg. Dann natürlich auch alle, von denen ich direkt lerne, also meine Professoren in Klavier, Komposition und Dirigieren. Darüber hinaus lasse ich mich aber auch von bildenden Künstlern und Schriftstellern inspirieren – beispielsweise Goethe, Eichendorff, Heine, oder Mann…

klassik-begeistert: Lassen Sie mich mit einer Klischee-Frage enden: Sie dürften Sich auf einer einsamen Insel den Rest Ihres, sicherlich noch sehr langen, musikalischen Lebens nur noch mit einem Werk beschäftigen – welches wäre das?

Haberstock: Der Ring des Nibelungen von Richard Wagner.

 klassik-begeistert: Hoffen wir also, Sie eines Tages auch abseits einsamer Inseln damit erleben zu dürfen…

Haberstock: Sicherlich! (lacht)

Wir danken herzlich für das Gespräch!

Das Interview führte Willi Patzelt
für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at, 29. August 2023

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