Angela Denoke © Christian Boldt
Angela Denoke, geboren in Stade, war nach ihrem Studium in Hamburg Ensemblemitglied am Theater Ulm und der Staatsoper Stuttgart. An der Wiener Staatsoper, der Bayerischen Staatsoper, der Opéra national de Paris, der Staatsoper Berlin, bei den Salzburger Festspielen und an der Metropolitan Opera New York verkörperte sie seitdem zahlreiche Hauptrollen und tritt mit Lied-, Jazz- und Chanson-Programmen auf. Die „Opernwelt“ wählte sie 1999 zur Sängerin des Jahres, für ihre Darstellung der Salome erhielt sie erhielt 2007 den renommierten Theaterpreis Der Faust. Die Wiener Staatsoper ernannte die Sopranistin 2009 zur Kammersängerin. Nun inszeniert sie Puccinis „La Bohème“ am Lübecker Theater.
Das Interview führten Dr. Regina Ströbl und Dr. Andreas Ströbl.
klassik-begeistert: Frau Denoke, von Stade über wenige Stationen an die größten Häuser der Welt, Preise und Auszeichnungen erhalten – wie wichtig ist es, bei so einer Karriere norddeutsch zu sein, Stichwort kühler und klarer Kopf?
Angela Denoke: Also, für mich persönlich ist es sehr wichtig eine gewisse Distanz zu mir und auch zu dem, was ich tue, zu haben. Es hat mir immer geholfen. Insofern bin ich eine ganz überzeugte Norddeutsche.
klassik-begeistert: Salome, Kundry, Marie, Lady Macbeth von Mzensk, Lisa sind einige wenige Ihrer Kernpartien, alles Frauen in emotionalen oder situativen Grenzbereichen. Reizen Sie diese Rollen als große Sängerdarstellerin besonders?
Angela Denoke: Ja, natürlich. Ich bin zu diesem Fach sehr ermutigt worden und es hat sich relativ schnell herauskristallisiert, dass die Darstellung und das Singen gerade dieser Charaktere zu meinen Stärken zählen. Im Nachhinein bin ich sehr glücklich, dass mir gerade dieses Repertoire anvertraut wurde. Ich empfinde es nach wie vor als großes Geschenk.
klassik-begeistert: Wie oft sind Sie dabei an eigene Grenzen gekommen bzw. haben diese überschritten?
Angela Denoke: Oft. Aber man sollte doch ein bisschen über sich selbst hinauswachsen. Wenn man in die Rolle eintauchen will, muss man die Schwierigkeiten überwinden und dann ist es auch eine ganz große Möglichkeit. Ich empfinde zwei verschiedene Seiten meiner Person als Darstellerin: Die eine, die von außen auf die Dinge schaut und die andere, die in die Rolle eintaucht. So entsteht für mich ein Ganzes, das mir zugleich hilft, aus den Rollen wieder herauszukommen.
klassik-begeistert: Es gibt ja die Geschichte von Edda Moser, die ihre Wut über Wolfgang Sawallisch, der sie bei einer Aufnahme nicht singen lassen wollte, in der Arie der „Königin der Nacht“, sagen wir mal, umgesetzt hat. Kennen Sie das, dass Sie Ihre eigenen Emotionen in einer Rolle kompensieren?
Angela Denoke: Definitives „Nein“! Persönliche Erfahrungen in die Rollengestaltung einzugeben ist ein Teil unseres vielschichtigen Berufes, aber Privates zu kompensieren halte ich für fatal. Unsere Hauptaufgabe ist es, das Publikum an dem Schicksal des jeweiligen Charakters teilhaben zu lassen und das ist eben auch einfach unsere Arbeit. Natürlich fühlt man sich nicht immer gut, trotzdem habe ich es doch immer geschafft, mich dann in den Dienst der Sache zu stellen. Ganz sicher habe es nicht immer optimal machen können, aber ich hab’s zumindest versucht.
klassik-begeistert: Ihre Lieblingspartie, so habe ich es gelesen, ist die Marschallin im Rosenkavalier?
Angela Denoke: Nein, so stimmt es nicht, es wurde nur oft so geschrieben. Die Marschallin war natürlich eine der wichtigen Partien, die ich sehr oft gesungen habe, und die mir durchaus sehr am Herzen liegt allein, weil ich das Glück hatte, sie sehr früh singen zu dürfen. Mit 32 war ich in Wien eine sehr junge Marschallin, und ich kann für mich auch in Anspruch nehmen, die Partie etwas mit entstaubt zu haben. Ich wollte die Marschallin, anders als in der traditionellen Lesart mit einer Leichtigkeit versehen, die ihr ja auch eigen ist, um nicht von vornherein die melancholische Frau zu spielen. Meine Lieblingspartie ist definitiv immer diejenige, an der ich gerade arbeite.
klassik-begeistert: Welche Rolle in Ihrer bisherigen Karriere mochten Sie am wenigsten, gibt es vielleicht eine Angstpartie oder was haben Sie vielleicht sogar abgelehnt?
Angela Denoke: Relativ früh habe ich mich von der Eva in den Meistersingern verabschiedet, weil die Entwicklung mitten in der Oper nicht weitergeführt wird und die Eva dadurch einfach zu naiv erscheint. Die Agathe habe ich ebenfalls sehr gerne gesungen, aber nicht gerne gespielt. Eine wirkliche Angstpartie würde ich nicht singen wollen; dennoch hat fast jede Rolle so ihre Angststellen, das ist dann die Herausforderung.
klassik-begeistert: Und was möchten Sie gern noch singen, was fehlt Ihnen noch?
Angela Denoke: Die Isolde hätte ich schon sehr gerne gesungen; leider habe ich lediglich den Schlussgesang konzertant hin und wieder gesungen. Die Rolle ist trotz mehrerer Angebote an mir vorbeigeschlittert, denn es hat leider nie gepasst.
klassik-begeistert: Es gibt immer mehr Sängerinnen und Sänger, die neben oder auch nach ihrer eigenen Gesangskarriere Regie führen. Hat das auch damit zu tun, dass viele heutige Regisseure mitunter am Werk vorbei inszenieren, bis zur Unkenntlichkeit umarbeiten und von Sängern Dinge abfordern, die gar nicht leistbar sind?
Angela Denoke: Ich stehe Regiekonzepten sehr offen gegenüber. Nicht jede Lesart kann immer gut gelingen, aber es ist auch nicht jede traditionelle Inszenierung gut. Ich glaube, es ist immer auch ein Wagnis für das Regieteam, etwas neu zu erzählen, was es schon lange gibt. Man hat ja selten die Gelegenheit, als Regisseur oder Regisseurin eine komplett neue Oper zu inszenieren. Ich habe aber das Gefühl, dass jetzt nach langer Zeit mehr Uraufführungen oder Erstaufführungen auf den Spielplänen auftauchen.
klassik-begeistert: Kommen wir zur Lübecker Inszenierung, wie kam die Zusammenarbeit mit diesem Haus zustande und warum ausgerechnet die „Bohème“?
Angela Denoke: Stefan Vladar hat bei mir direkt angefragt. Komischerweise habe ich ihn gerade gefragt, warum das Theater Lübeck mir gerade die „Bohème“ anvertraut hat, weil das ja eine große Verantwortung ist. Es ist ein schwer zu inszenierendes Werk, weil Puccini alles minutiös musikalisch und szenisch durchgeplant hat. Ich habe mich dann sehr mit der Vorlage (Anm.: Scènes de la vie de bohème von Henri Murger) beschäftigt und gesehen, dass dort manches in einem anderen Licht erscheint. Zum Beispiel sind bei Murger Mimì und Musette einander viel ähnlicher, als sie Puccini sie gezeichnet hat. Und so habe ich dann auch nach dieser Leichtigkeit gesucht und Evmorfia (Metaxaki) macht das sehr, sehr schön.
klassik-begeistert: Die Bohème kennen auch diejenigen, die sonst nicht in die Oper gehen. Und das Bild der Dachboden-Bude mit dem Bollerofen ist zu einer echten Bühnenbild-Ikone geworden. Womit werden Sie das Lübecker Publikum überraschen? Wobei die größten Überraschungen hier natürlich noch nicht verraten werden.
Angela Denoke: Nein, ich werde das jetzt auch nicht erzählen, aber es gibt ein Synonym für den Bollerofen, das kann ich sagen. Es ist quasi eine Erweiterung des eigentlichen Bühnenbilds. Trotzdem haben wir es ein bisschen von der sehr engen Vorlage gelöst und versucht, ein poetisches Bild zu finden.
klassik-begeistert: Ist das Männer-Frauen-Bild in der Bohème noch zeitgemäß? Klar, das sind Intellektuelle und Künstler am Rande der Gesellschaft, aber die Stereotypen haben doch auch diese Underdogs nicht abgelegt.
Angela Denoke: Ja, genau das sind die Vorgaben, die ich absolut in Frage gestellt habe. Auch die Rollen der Männer, die wir überhaupt nicht so eindeutig interpretieren, wie sie Puccini vorgesehen hat. Ich habe versucht, jede einzelne Person zu hinterfragen.
klassik-begeistert: Das Photo in der Vorankündigung zeigt eine zarte junge Frau im ebenso zarten Kleid auf einem umgekippten Neorokoko-Fauteuil inmitten eines Mohnblumenfeldes. Ist das eine Fiebertraumvision oder darf Ihre Mimì auch mal heraus aus der ungesunden Großstadt?
Angela Denoke: Ja, die darf sich befreien. Aber ich sage nicht, wie (lacht)! Das Bild zeigt aber, worauf ich hinaus möchte. Ich habe mich gefragt, wieso die „Bohème“ so populär ist und für mich hat sich da ganz klar herauskristallisiert, dass das Thema jeden von uns das angeht, weil wir uns alle mit dem Leben und dem Tod auseinandersetzen müssen. Es gibt Einschnitte im Leben, die unsere Sichtweisen verändern. Als junger Mensch bewegt man sich so unbedarft und frei. Und dann bricht plötzlich das Leben herein und man muss damit umzugehen lernen. So ist das auch mit dem Tod der Mimì, mit ihrem langsamen Sterben. Für Schaunard zum Beispiel ist es am schwierigsten, denn er ist am Anfang der sprudelndste Charakter, der immer Blödsinn im Kopf hat und eigentlich ein bisschen oberflächlich ist. Er bleibt dann am Ende da und mag nicht weggehen, wenn Mimì stirbt. Für ihn dieser Bruch am größten, während Rodolfo sich über eine lange Zeit darauf vorbereiten kann. Dieses leichte Bild soll zeigen, dass die Mimì eine sehr lebendige Frau und nicht von vornherein die leidende Person ist. Und so geht sie auch in den Tod; sie realisiert, sie wird sterben, aber in den Tod geht sie mit offenem Herzen.
klassik-begeistert: Wie empfinden Sie die Zusammenarbeit mit den Lübeckern? Außer dem Rodolfo sind es ja alles Hauskräfte, ein bewährtes und starkes Ensemble.
Angela Denoke: Ja, das ist ein ganz tolles Ensemble, durch die Bank. Jeder bringt da was Eigenes mit und dadurch haben sich szenische Möglichkeiten ergeben, die ich weiter ausgebaut habe. Wichtig ist mir in der Arbeit als Regisseurin überhaupt, dass da wirkliche Menschen auf der Bühne sind, obwohl große Arien gesungen werden. Meine grundsätzliche Erfahrung ist, dass von uns Sängern schauspielerisch oft zu wenig verlangt wird. Es ist eine wirkliche Chance, diesen Weg zu gehen, denn ich merke, dass es allen am Ende Spaß macht, es wehrt sich keiner dagegen.
klassik-begeistert: Hat sich denn der Gast-Rodolfo harmonisch in das Ensemble gefügt?
Angela Denoke: Ja, das ist ein ganz toller Kollege, er ist unglaublich positiv und kommt immer mit guter Laune und gut vorbereitet. Wir haben insgesamt eine wirklich sehr gute Atmosphäre.
klassik-begeistert: Wie konnten Sie Ihre eigenen Erfahrungen als erfolgreiche Sängerin in die Inszenierung einbringen? Gab es Ideen, die Sie interessant gefunden hätten, bei denen Sie aber gesagt haben: Niemand kann fortissimo singen, wenn er kopfüber an einem Seil hängt – nur mal als Beispiel?
Angela Denoke: Ich finde sowas völlig unnötig und versuche immer, dass ich meine Szene bekomme und die Sänger aber trotzdem die Möglichkeit haben, so zu singen, wie es für sie angenehm ist. Auf hohes Niveau zu singen, ist schwer und meine Aufgabe ist auch, es den Sängern so leicht wie möglich machen.
klassik-begeistert: Liebe Frau Denoke, herzlichen Dank für das Gespräch!
Dr. Regina Ströbl und Dr. Andreas Ströbl, 17. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Interview mit Hans Martin Gräbner von Dr. Andreas Ströbl klassik-begeistert.de, 13. August 2023