Eine Violine, die bezaubert. Das ist nur eine der vielen Lobeshymnen, die Kritiker über Manrico Padovani verlieren. In der Tat. Wer die Beethoven-CD des Schweizer Geigers gehört hat, weiß weshalb. Mit Klassik begeistert hat Padovani darüber gesprochen, worin die Herausforderungen liegen, das Beethoven-Violinkonzert zu spielen – und auf welcher der wertvollen Geigen er es gespielt hat.
Interview: Jürgen Pathy
Klassik-begeistert: Grüß Gott Herr Padovani. Sie haben eine reine Beethoven-CD aufgenommen. Wie ist Ihre „Beziehung“ zu Beethoven?
Manrico Padovani: Meine Beziehung zu Beethoven ist ganz eng und tiefsinnig. Als 13-Jähriger war ich hauptsächlich von virtuoser Violinmusik angesprochen. Wenn ich ein neues Werk kennenlernen wollte, habe ich immer mit dem dritten Satz begonnen. Danach kam der erste Satz dran, während ich mich bei den langsamen Sätzen eher gelangweilt habe. In dieser Phase drehte mein innerer Rhythmus viel zu schnell. Mit 16 habe ich dann Beethovens Eroica kennengelernt – und das kann ich als einen Wendepunkt bezeichnen. Durch dieses Meisterwerk habe ich begonnen, die Musik als Musik bewusst zu verstehen. Das hat mir die Türen zu den ganz großen Komponisten aus der Klassik und Frühromantik geöffnet.
Als ich dann im Unterricht mit dem Beethoven-Violinkonzert begonnen habe, war ich dermaßen begeistert, dass ich über das Werk meine Abschluss-These geschrieben habe.
Das Beethoven-Violinkonzert ist auch auf dieser CD. Was ist das Besondere an diesem Werk?
Das Beethoven-Violinkonzert ist, anders als es oft bei Beethoven der Fall ist, nicht sehr dramatisch. Die Dramatik ist durch eine innige und tiefe Gelassenheit, Süße und Tiefsinnigkeit ersetzt. Beethoven, das Genie heftiger, zerreißender und überraschender Durchführungen, zieht im Mittelteil des ersten Satzes ein ätherisches Cantabile in g-Moll vor. Das hat einen Hauch von Ewigkeit. Eine himmlische Ruhe, die wir übrigens auch im wunderbaren Larghetto finden.
Dennoch möchte ich im ersten Satz auch die kleine chromatische Solo-Kadenz von acht Takten erwähnen, die den Mittelteil beendet. Sie wird vom Solisten in Triolen und im Pianissimo gespielt. Ein hauchdünnes Pianissimo, das sich in der Spanne von einem Takt, plötzlich zu einem Fortissimo steigert, um zur Reprise des Satzes zu führen – und zwar durch das Orchester, ebenfalls in Fortissimo. Dies ist ein unglaublicher und atemberaubender Moment.
Worin liegt die große Herausforderung, das Beethoven-Violinkonzert zu spielen?
In diesem Konzert sind vor allem Ausdruck und Gesang gefragt, sehr oft im oberen Register. Was aber nicht heißt, dass keine brillanten Momente, vor allem im dritten Satz, zu finden sind. Die große Herausforderung dieses Konzerts liegt eben darin, dass man die absolute Kontrolle nie verlieren darf. Und das schon vom allerersten Einsatz, wo die Solovioline, absolut allein, in einer Reihe von heiklen Oktaven und danach Tonleitern vom untersten bis zum obersten Register spielt. Eine Herausforderung, die auch die erfahrensten Solisten schreckt.
Wie würden Sie selbst Ihre eigenen Stärken beschreiben?
Das ist eine Frage, die persönlich gewisse Schwierigkeiten mit sich bringt. Es ist sehr schwierig, über sich selbst zu sprechen. Ich habe versucht, technisch so präzise wie möglich zu sein, ohne auf Sicherheit spielen zu müssen. Außerdem meine blutige Intensität in den Cantabile Stellen einfließen zu lassen, und viele Klangfarben zu produzieren. Bei den Kadenzen habe ich der romantischen Virtuosität freien Lauf gelassen.
Warum sollten die Menschen Ihre Beethoven-Einspielung hören?
Ich glaube, weil mir eine sehr intensive, farbenreiche und vor allem authentische Interpretation gelungen ist. Und das alles natürlich auch dank der wunderbaren Prager Philharmoniker und des Dirigenten Boris Perrenoud. Mit ihm habe ich schon oft gearbeitet und war musikalisch immer im Einklang. Er und die Prager Philharmoniker haben mir einen perfekten „Teppich“ geboten, der sehr inspirierend war und mir ein traumhaftes Gefühl von Freiheit gegeben hat.
Wie ist Ihr Zugang zu einem Werk, wenn Sie es einstudieren?
Das ist von Werk zu Werk anders. Für mich erfolgt die Einstudierung eines neuen Werkes in drei Phasen. In der ersten Phase entziffere ich den Notentext und suche meine Phrasierungen. In der zweiten Phase vertiefe ich mich mental bei allen Stellen (technisch und musikalisch bei den Phrasierungen). Und in der letzten Phase probiere ich, alles zu vergessen und die Partitur so spontan und selbstverständlich wie möglich wiederzugeben.
Wie und wie viel üben Sie, Herr Padovani?
Auch hier ist es von Zeit zu Zeit, von Programm zu Programm anders. Generell starte ich mit der „Morgentoilette“. Das heißt, mit Tonleitern und Arpeggien über vier Oktaven, und mit Doppelgriffen. Danach kommen die neuen Werke dran. Und schließlich Repertoire-Stücke, falls ich sie vorspielen muss. Die Zeit beträgt zwei bis vier Stunden.
Wie ich gelesen habe, spielen Sie auf einer Stradivari Vuillaume Messiah (1870). Das ist eine Kopie der sogenannten Stradivari Messiah. Was ist das Besondere an dieser Geige?
Diese Geige hat wunderbare klangliche Eigenschaften und eignet sich bestens für Konzerte in größeren Sälen. Das Besondere an dieser Geige ist, dass das Instrument eine „Imitation précise“ ist. So steht es auf einem Original-Zettel, der im Inneren der Geige zu sehen ist. Das heißt, sie wurde von J. B. Vuillaumes ganz genau nachgebaut – ohne, dass der irgendwelche Details selbst frei interpretiert hätte. J. B. Vuillaumes war übrigens über 20 Jahre Besitzer der Messiah-Stradivari.
Sie spielen auch auf einer Stradivarius (1722). Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden Geigen?
Der wahre Unterschied zwischen den beiden Instrumenten ist, dass das eine ein Original ist, das eine unglaubliche Geschichte mit sich trägt. Allein diese Tatsache bewirkt schon wunderbare emotionale Gefühle. Vom Klang her ist die Stradivari ein wenig heller im oberen Bereich. Die Vuillaume ist auch ein wunderbares Instrument. Sie reagiert vielleicht weniger empfindlich auf Wetterschwankungen – und das kann manchmal sehr hilfreich sein.
Warum haben Sie zwei Geigen?
Es gibt keinen wirklichen Grund, warum man zwei (oder mehr Instrumente) besitzt bzw. spielt. In meinem Fall benütze ich für ein leichteres Repertoire das eine Instrument, für ein dunkleres Repertoire das andere. Es ist immer eine Frage der Inspiration, die so ein Meisterwerk hergibt.
Können Sie Beispiele nennen, welche Werke Sie auf welchem Instrument spielen?
Es gibt keine festen Regeln für die Wahl eines Instrumentes. Bei Komponisten wie Mozart, Schubert oder Sarasate, die in meiner Vorstellung luftig, leicht und hell sein sollten, würde ich ohne weiteres ein Stradivari Modell vorziehen. Während ich bei Brahms, Schostakowitsch, Sibelius und Prokofjew, die viel Tiefe besitzen, zweifellos ein Guarneri Modell benützen würde. Bach ist auch tendenziell in der Vorstellung wunderbar auf einer Guarneri, funktioniert aber auch mit der anderen Variante.
Das heißt, auf welcher Geige haben Sie die Beethoven-CD eingespielt?
Auf dieser Beethoven-CD habe ich die Strad-Vuillaume 1870 und eine ganz andere Geige gespielt. Für das Violinkonzert und die Romanze habe ich meine geliebte Del Gesù-Vuillaume aus dem Jahre 1842 genommen. Sie hat einen sehr vollen Klang im tieferen Bereich, während sie im oberen Bereich sehr strahlend wirkt. Die Strad-Vuillaume 1870, wie bereits erwähnt eine genaue Kopie der berühmten Messiah, habe ich dann für die Sonate verwendet.
Welchen Bogen spielen Sie?
Ich besitze mehrere namhafte Bögen. In der Regel spiele ich mit einem Meisterbogen, der von Francois Lupot II. 1820 in Paris gebaut wurde. Aber sehr oft benutze ich einen modernen Bogen, den mir die Firma „L’archet Brasil“ geschenkt und gewidmet hat, da ich für sie als Testimonial wirke.
Wie war Ihre Tournee zusammen mit Anne Sophie Mutter?
Das war sehr interessant und lustig, mit vielen begabten Musikern in wunderbaren Konzertsälen. Es war kurios zu beobachten, wie bei so einem Projekt, das Lampenfieber schnell verschwindet und man sich einfach nur auf die Werke freuen kann.
Was war die wichtigste Lektion in Ihrem Leben?
Es gab so viele Lektionen, die so wichtig waren. Vielleicht aber die, dass bei fast allen Situationen, egal wie problematisch sie sein mögen, es in 99,9 Prozent der Fälle eine Lösung gibt.
Lassen Sie uns kurz Corona ansprechen. Wie sehen Sie die aktuelle Situation? Hat sie nur Nachteile oder kann man ihr vielleicht etwas Positives abgewinnen?
Man kann zurzeit das Wort Corona-Virus fast nicht mehr hören. Es hat sehr, sehr viel Leid gebracht und man könnte nur mit größter Mühe behaupten, dass etwas Positives daraus abgewonnen wurde. Doch in der Tat, bei der riesigen Problematik, viele Menschen mussten flexibler werden und umdenken. Und wer so eine Veränderung an sich selbst vollziehen kann, der hat schon unglaublich viel Positives erreicht.
Eine letzte Frage: Angenommen, es erscheint eine gute Fee. Diese erfüllt Ihnen drei Wünsche. Welche wären das?
Der eine Wusch, seitdem ich Violine spiele, wäre einmal Beethoven oder Paganini persönlich zu treffen – was garantiert nie zustande kommen wird. Bei den anderen zwei Wünschen habe ich gelernt, dass diese ein Geheimnis bleiben sollen. Sonst werden sie sich nie verwirklichen.
Vielen Dank Herr Padovani!
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 6. Juni 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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