Unsere Geschichte beginnt in Bayreuth

Interview mit Marcin Klejdysz, Gründer und Konzertmeister des Beethoven Academy Orchestra  klassik-begeistert.de, 16. August 2023

Beethoven Academy Orchestra, Foto: Bruno Fidrych © Beethoven Academy Orchestra

Gespräch mit Marcin Klejdysz, Gründer und Konzertmeister, heute Manager des Beethoven Academy Orchestra, über die 20-jährige Geschichte und Gegenwart des Ensembles.

von Jolanta Łada-Zielke

Das Beethoven Academy Orchestra (BAO) ist eines der herausragenden symphonischen Ensembles jüngerer Generation. Es setzt sich aus den hervorragendsten Studenten und Absolventen europäischer Musikhochschulen zusammen: Musikhochschule in Krakau, Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart, Hochschule für Musik in Karlsruhe, Royal Music Conservatoire in Brüssel, Conservatoire International de Musique in Paris und Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz. Das Ensemble entstand 2003 beim 53. Festival jünger Künstler Bayreuth. Dank Elżbieta Penderecka gab das Beethoven Academy Orchestra 2005 sein Debüt beim 9. Ludwig van Beethoven Osterfestival in Warschau, das zu einem Meilenstein in seiner Karriere wurde. Zahlreiche CD-Aufnahmen, die Zusammenarbeit mit weltberühmten Künstlern und Konzerte auf bedeutenden Musikbühnen in Europa und der Welt – all das und noch mehr findet sich im Dossier des Orchesters. Das BAO tritt regelmäßig mit dem Konzertchor Darmstadt auf, wo es seit 2011 das Residenzensemble ist. Neben Werken klassischer Musik führt das BAO auch Pop- und Filmmusik auf.

klassik-begeistert: Im August 2003 kamt ihr nach Bayreuth als das Kammerorchester der Krakauer Musikhochschule mit zwei Werken: „Serenade für Streicher“ von Mieczysław Karłowicz und „Divertimento“ von Marek Stachowski, dem damaligen Rektor eurer Hochschule. Dieses Programm spieltet ihr bei der Eröffnung des 53. Festivals junger Künstler Bayreuth und in der Petrikirche in Kulmbach. Wie erinnerst du dich an diese Zeit?

Marcin Klejdysz: Wir kamen nach Bayreuth voller Energie und Freude darüber, dass wir eine Chance bekamen, noch vor dem Abschluss des Studiums anspruchsvolle Musik professionell aufzuführen. Die Intendantin des Festivals junger Künstler Dr. Sissy Thammer setzte sich diesbezüglich mit den damaligen Hochschuleitern, Professor Teresa Malecka und Professor Marek Stachowski, in Verbindung. Ich war damals im vierten Studienjahr und fungierte als Konzertmeister des Symphonieorchesters der Musikhochschule in Krakau. Man beauftragte mich, für diese Reise ein Kammerensemble zusammenzustellen und die Proben mit ihm zu leiten. Die beiden von dir erwähnten Stücke waren unsere „Visitenkarte“. Sie kamen bei dem deutschen Publikum sehr gut an, und die Kritiken in der lokalen Presse waren positiv.

klassik-begeistert: Später wurdet ihr der Kern des Jugendfestspielorchesters, das unter der Leitung von Pedro Halfter die Symphonie Nr. 1 von Gustav Mahler einstudierte. Du warst der Konzertmeister des gesamten Orchesters, und deine zwei Kolleginnen waren Konzertmeisterinnen der Bratschen und Celli.

Marcin Klejdysz: Wir wussten, dass wir ein Bestandteil des Symphonieorchesters des Festivals werden, ahnten jedoch nicht, dass wir seine Stütze sein würden. Nach dem Vorspielen waren die Pädagogen sich einig, dass das Ensemble aus Krakau den Kern von diesem über einhundertköpfigen Orchester bilden würde. Dies war eine große Ehre und Verantwortung zugleich, vor allem für mich als Konzertmeister, denn ich hatte noch nie die Gelegenheit, die 1. Symphonie Mahlers aufzuführen. Wir haben fleißig geübt und drei Konzerte mit diesem Werk gespielt, in Bayreuth, Berlin und Gera.

klassik-begeistert: Ihr hattet auch einen besonderen Workshop mit Ádám Fischer, der damals den „Ring des Nibelungen“ bei den Bayreuther Festspielen dirigierte. Er erarbeitete mit euch die Ouvertüre zu Wagners „Die Meistersinger“.

Marcin Klejdysz: Der Workshop mit Ádám Fischer war für uns eine große Überraschung, da wir bis zum Schluss nicht wussten, wer von den am Grünen Hügel engagierten Dirigenten diese offene Probe mit uns leiten würde. Bis heute erinnere ich mich an die fast kosmische Inspirationskraft, die von Maestro Fischer ausging. Wir träumen davon, dass wir ihn als Beethoven Academy Orchestra in den nächsten Jahren zur Zusammenarbeit einladen können. Am 53. Festival junger Künstler Bayreuth trafen wir auch den Komponisten Krzysztof Meyer, der gerade seinen sechzigsten Geburtstag feierte, und den Dirigenten Gabriel Chmura anlässlich der Aufführung von „Die Götterdämmerung” am Grünen Hügel. Maestro Chmura beobachtete uns bei den Mahler-Proben und schlug mir vor, bei den Konzertmeister-Vorspielen zu dem Nationalen Polnischen Radiosinfonieorchesters in Kattowitz (NOSPR) aufzutreten.

klassik-begeistert: Frau Elżbieta Penderecka kam ebenfalls zu dem 53. Festival junger Künstler Bayreuth.

Marcin Klejdysz: Ich begegnete Frau Penderecka auch bei der „Götterdämmerung”, und wir haben in den Pausen viel miteinander gesprochen. Ich denke, dass das heutige Beethoven Academy Orchestra nicht entstanden wäre, wenn diese Gespräche in Krakau stattgefunden hätten. In Bayreuth hatten wir eine breitere Perspektive, also tauschten wir ganz locker Gedanken und Ideen aus, wie wir den Erfolg unseres Ensembles nach unserer Rückkehr nach Polen ausnutzen können. Frau Penderecka gab mir ihre Telefonnummer und E-Mail-Adresse, die ich mir gemerkt habe, ohne sie aufzuschreiben. Dies war ein Geschenk für mich und meine Musiker, das dem magischen Gral glich.

klassik-begeistert: Wie hat sich eure Karriere nach dem Festival weiterentwickelt?

Marcin Klejdysz: Zur Eröffnung des akademischen Jahres 2003/4 an der Musikhochschule in Krakau führten wir unser Bayreuther Programm auf. Unmittelbar danach reisten wir nach Berlin, wo wir am 3. Oktober zur Feier der deutschen Wiedervereinigung spielten. Noch in Bayreuth stellte mich Georgios Kapoglou, der einen Operntheater-Workshop leitete, der deutschen Publizistin Marie Luise Weinberger aus Berlin vor, die uns zur Quadriga-Preisverleihung des Vereins Werkstadt Deutschland einlud. Damals sollten wir die Auszüge aus Dmitri Schostakowitschs „Suite für Jazzorchester“ spielen, aber wir waren bereits dabei, polnische Musik zu fördern. Bei diesem Projekt entdeckte ich meine Fähigkeiten als Manager. Ich war Konzertmeister sowie Inspektor des Ensembles und gleichzeitig knüpfte ich Kontakte und führte Gespräche über weitere Konzerte, Aufnahmen und Tourneen.

klassik-begeistert: Was hältst du für die wichtigste Eigenschaft eines Musikmanagers?

Marcin Klejdysz: Ich denke, eine gewisse Art von Empathie, die Fähigkeit, sich in die Bedürfnisse des anderen hineinzuversetzen und dies in ein entsprechendes Repertoire zu übertragen. So ist unsere fantastische Zusammenarbeit mit der Werkstadt Deutschland entstanden. Wir haben uns dann Quadriga Chamber Orchestra genannt. Wir haben auch gemerkt, dass die Wahrnehmung der Hochkultur in Deutschland ganz anders als in Polen ist. Bei unseren Nachbarn ist das Bedürfnis, sich mit klassischer Musik auseinanderzusetzen, genauer definiert, natürlicher und intensiver. Die deutschen Musikliebhaber interessierten sich sehr für die polnische Musik, waren begeistert von ihrem Reichtum und stellten uns eine Menge Fragen. Das hat uns ermutigt, die polnische Musik im Ausland richtig zu fördern.

klassik-begeistert: Was gab den entscheidenden Impuls zur Gründung des Beethoven Academy Orchestra?

Marcin Klejdysz: 2004 spielten wir wieder mehrere Konzerte in Deutschland und Polen, mit verschiedenen Partnern. Schließlich beschloss ich, den Kontakt zu Frau Elżbieta Penderecka zu nutzen und ein Konzert speziell für sie zu arrangieren. Nach vielen Bemühungen konnten wir im Januar 2005 einen solchen Auftritt organisieren. Der damals neu gegründete polnische Radiosender RMF Classic hat uns dabei unterstützt.

Frau Penderecka trat bei diesem Konzert zusammen mit dem Dirigenten Paweł Przytocki auf, und auch Georgios Kapoglou kam mit. Wir spielten die Werke von Penderecki, Karłowicz und die virtuosesten Auszüge aus Benjamin Brittens Suite „Variationen über ein Thema von Frank Bridge“ in einer Kammerbesetzung. Frau Penderecki war begeistert und rief mich am nächsten Tag an, um zu fragen, ob ich das Orchester auf eine Beethoven-Besetzung erweitern könne. Ich antwortete ihr, dass wir bereits 48 Musiker seien und bereits mit hervorragenden Solisten, Studenten und Absolventen der Krakauer Musikhochschule zusammenarbeiten. Auf ihren Rat hin änderten wir unseren Namen in Beethoven Academy Orchestra. Unter diesem Namen traten wir erstmals beim 9. Ludwig van Beethoven Osterfestival in Warschau im März 2005 auf. Dies war ein Sprung ins kalte Wasser, denn wir spielten in der Nationalen Philharmonie zwischen den Auftritten vom NDR-Orchester und Sinfonia Varsovia. Zuvor hatten wir unter der Leitung von Maestro Przytocki unsere erste CD aufgenommen, die wir an die Festivalgäste verteilten. Sie enthält Haydns „Die Trauersymphonie Nr. 44” und Beethovens „Die Geschöpfe des Prometheus”.

Marcin Klejdysz, Foto: Marek Jędra © Beethoven Academy Orchestra

klassik-begeistert: Bezieht sich der Name „Academy“ darauf, dass ihr zu dieser Zeit noch Studenten wart?

Marcin Klejdysz: Nicht ganz. Dieser Name betrifft direkt die Idee des Beethovenfestivals, weil dort neben Konzerten auch Meisterkurse stattfinden. Unser Orchester stand dann den Pädagogen, den jungen Dirigenten und Solisten zur Verfügung. Damals hatten wir vor allem eine solche Rolle bei diesem Event. Heute lädt man uns dort von Zeit zu Zeit als bereits erfahrenes Ensemble ein.

Dank der Unterstützung von Frau Penderecka begannen wir, bei allen großen Musikfestivals in Europa und der ganzen Welt aufzutreten. Wir fanden es auch sehr wertvoll, nicht nur mit der Musik von Professor Krzysztof Penderecki, sondern auch mit ihm selbst in Kontakt zu kommen. Wir gehörten zu seinen Lieblingsorchestern und reisten mit ihm durch Europa und nach China.

klassik-begeistert: Wie war die Beziehung von Professor Penderecki zu euch?

Marcin Klejdysz: Er war für uns vor allem eine große Autorität, was sich vor allem beim Dirigieren und in Gesprächen über unsere gemeinsame Leidenschaft für Musik zeigte. Dies war eine sehr wertvolle Erfahrung, da es für Musiker selten ist, die Werke eines lebenden Komponisten in seiner Anwesenheit aufzuführen, während er noch mögliche Bemerkungen zur Partitur einbringt. Wir hatten die Gelegenheit, viele Stücke des Meisters zu spielen, darunter auch die Uraufführung seiner „Polonaise für die Unabhängige”, die er zum 100. Jahrestag der Unabhängigkeit Polens komponierte. Professor Penderecki war ein authentischer und aufrichtiger Mann, der nicht nach großem Ruhm strebte, sondern sein brillantes, vom Gott erhaltenes Talent mit der Welt teilte und jeden Moment seines Lebens kreativ nutzte. Er war sowohl bescheiden als auch kompromisslos, wenn es um die Qualität der Aufführung ging: Wenn es an einer bestimmten Stelle sotto voce sein sollte, dann musste es auch so klingen. Er konnte dabei überzeugend sein, was uns sehr inspiriert hat.

klassik-begeistert: Ein wichtiger Bereich eurer Tätigkeit ist die Filmmusik. Unter anderem habt ihr den Soundtrack für die polnische Serie „Czas honoru“ (Die Ehrenzeit) aufgenommen.

Marcin Klejdysz: Mit dieser Serie begann unser Abenteuer mit der Filmmusik. Der Komponist dieses Soundtracks Bartosz Chajdecki war auch ein wichtiger Musiker unseres Orchesters. Andere Komponisten des Genres bemerkten die Effizienz und den guten Klang unseres Ensembles, und wir bekamen sofort zahlreiche Vorschläge von Veranstaltern und Produzenten der Filmmusik. Heute spielen wir regelmäßig auf dem größten Filmmusikfestival der Welt, das in Krakau stattfindet. Ganz Hollywood und ganz London kommen dann zu uns herüber. Heute nehmen wir für große amerikanische Studios wie Lucas Studio, Marvel Studio, Warner Bros, für die Plattform Netflix, HBO und für einheimische Produzenten wie Monolith Films und Universal Polska auf. Kürzlich haben wir eine Einladung in die Arabischen Emirate erhalten, um dort die Musik der gesamten Tetralogie „Herr der Ringe“ aufzuführen. Das ist ein gigantisches Projekt für ein 97-köpfiges Orchester, das wir im Dezember 2023 in Zusammenarbeit mit Hollywood-Dirigenten verwirklichen werden. Wir behandeln Filmmusik gleichberechtigt mit klassischer Musik, nicht als mathematisch berechnete Soundtracks, obwohl wir im Studio diese Stücke nie vollständig, sondern nur in Fragmenten und in bestimmten Instrumentengruppen spielen. Manchmal sagen Hollywood-Komponisten, dass sie ihre Musik zu einem ihrer Filme erst bei unserem Konzert als ein gesamtes Stück gehört haben.

klassik-begeistert: Ich habe erwartet, dass ihr diesen Sommer ein 20-Jahre-Jubiläumskonzert in Bayreuth spielt, wo eure Geschichte angefangen hat. Warum ist es dazu nicht gekommen?

Marcin Klejdysz: Leider haben wir in Polen weder einen Partner gefunden, der das Projekt finanziell unterstützen würde, noch haben wir einen Zuschuss vom Kulturministerium erhalten. Wir hofften darauf, dass man uns, dank der hohen Qualität, die die Empfehlungen aus der ganzen Welt bestätigen, wahrnimmt. Aber mehrmals hörte ich von lokalen Beamten und kulturellen Entscheidungsträgern: „Ihr kommt so gut zurecht, sodass ihr bestimmt keine Hilfe braucht“. Vielleicht machen wir solchen Eindruck aufgrund unserer Aktivität, weil wir zwischen 50 und 120 Konzerte im Jahr spielen. Aber bis heute haben wir keine Finanzierungsstammquelle. Mir fällt es viel einfacher, über finanzielle Angelegenheiten mit deutschen, arabischen, amerikanischen oder chinesischen Partnern zu sprechen. Sie schätzen unser organisatorisches sowie qualitatives Kapital und beachten die Empfehlungen. In Polen erhalten wir gelegentlich Zuschüsse, zum Beispiel für das Bildungsprojekt „Mr Beethoven’s Academy“ oder die Autorenreihe „Jeszcze polska muzyka“ (Noch die polnische Musik). 

klassik-begeistert: Worum geht es bei diesem Projekt?

Marcin Klejdysz: Wir präsentieren Werke von vergessenen polnischen Komponisten: Wojciech Albert Sowiński, Ignacy Dobrzyński, Miłosz Magin oder Roman Palester im Zusammenhang mit europäischen Meisterwerken. Dennoch müssen wir den Entscheidungsträgern manchmal erklären, wer Karol Szymanowski oder Witold Lutosławski sind, obwohl man diese Komponisten in der ganzen Welt spielt. Unser Ziel ist es, dass beispielsweise deutsche Musikliebhaber sagen können, dass auch die Polen ihren hervorragenden ‚Brahms‘ oder ‚Beethoven‘ haben. Wir haben nämlich unsere eigenen Vertreter der führenden kompositorischen Trends. Das ist wirklich schöne und international avancierte Musik, wenn man sie auf europäischem Niveau aufführt. Dies tut das Beethoven Academy Orchestra.

klassik-begeistert: Feiert ihr euer Jubiläum auf irgendeine Weise?

Marcin Klejdysz: Unser aktuelles Logo bezieht sich auf das zwanzigjährige Bestehen des Orchesters, aber wir feiern dieses Jubiläum mit jedem Auftritt, weil jedes Konzert ein Musikfest ist. Am 7. Dezember 2023 spielen wir mit Lang Lang und im Oktober mit Piotr Beczała. Ständig erhalten wir Auszeichnungen für unsere Alben, zuletzt für „Doráti: Der Künder“, das wir unter Martin Fischer-Dieskau und mit Künstlern wie Tomasz Konieczny, Michael Schade und Rachel Frenkel aufgenommen haben.

Wir haben also eine Menge Gelegenheiten zum Feiern. Und in Bayreuth spielen wir vielleicht zur Feier unseres 25-jährigen Jubiläums.

klassik-begeistert: Das wünsche ich euch von ganzem Herzen und danke dir für das Gespräch.

CD-Rezension: Antal Doráti, Der Künder, klassik-begeistert.de

Ladas Klassikwelt 14 klassik-begeistert.de

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert