Foto: © Matthias Hoch
Bereits vor dem Beginn der Wagner-Festspiele ist in Bayreuth viel los. HOKUSPOKUS… HEXENSCHUSS – so heißt die Sonderausstellung der Musikwerkstatt Siegburg, die anlässlich des 100-jährigen Todestages von Engelbert Humperdinck (1854-1921) bis Ende August 2021 im Steingraeberhaus Bayreuth zu sehen ist. Ich habe mich entschieden, sie zu besichtigen. Dort hat mir Udo Schmidt-Steingraeber, der aktuelle Leiter der Klaviermanufaktur Steingraeber & Söhne, viel Interessantes über den Komponisten, seine Beziehungen zu Bayreuth, zu Richard Wagner und der Klaviermanufaktur der Familie Steingraeber erzählt.
Interview: Jolanta Łada-Zielke
Herr Schmidt-Steingraeber, hat Engelbert Humperdinck zu der Kundschaft Ihrer Firma gehört?
Ja, er ließ bei uns seinen Flügel mit einer besonderen Technik bauen. Humperdinck war der zweite berühmte Künstler, mit dem unser damals noch kleiner Betrieb zusammenarbeitete und ein spezielles Instrument für ihn fertigte. Der erste war Franz Liszt.
Humperdinck war Richard Wagners Assistent bei der Uraufführung von „Parsifal“. Man sagt, diese Beziehung hatte keinen guten Einfluss auf sein Schaffen…
Man nennt die Kopisten und musikalischen Mitarbeiter von Richard Wagner in den 1870er und 1880er Jahren „die Nibelungenwerkstatt“. Die Nibelungen sind mehr oder weniger Sklaven, wie zum Beispiel im „Rheingold“. Das betraf auch junge und begabte Musiker, die mit Wagner zusammenarbeiteten, nicht nur Humperdinck, sondern auch Richard Strauss und Josef Rubinstein. Ich glaube, sie sahen das schon damals als ein Sprungbrett für ihre Karriere. Die Besucher, die 1876 und 1882 hier waren, hielten Bayreuth für das Modernste, Berühmteste und Zukunftsweisendste, was es in der Musikentwicklung damals gegeben hat. Kurz danach wurden die Festspiele ganz bürgerlich und elitär, das war ursprünglich nicht in Wagners Sinn. Diese jungen Musiker verstanden sich selbst schon als ein Teil der Avantgarde. Deswegen fühlten sie sich sicherlich gequält, weil Wagner bestimmt kein einfacher Chef war. Sie konnten jedoch, dank diesem Einsatz, auch außerhalb von Bayreuth Punkte sammeln. Bei der Arbeit am „Parsifal“ baute Humperdinck seine Beziehung zu Eduard Steingraeber auf, der in diese Produktion ebenso involviert war, mit den Gralsglocken. Wagner war bis heute der einzige Komponist, der Klänge in seinen Partituren notierte, für die es noch kein Instrument gab. Diese unvergleichliche Stellung in der Musikgeschichte hat über zwanzig besondere Instrumente hervorgebracht. Das waren hauptsächlich Blasinstrumente, die zum Beispiel die Firma Heckel oder die Firma Alexander in Mainz bauten, oder eben die Gralsglocken für den „Parsifal“.
Die Geschichte der Gralsglocken kennen unsere Leser vom Interview, das ich mit Ihnen im Dezember 2020 geführt habe. Hat Humperdinck etwas Wesentliches zum „Parsifal“ beigetragen oder ist er die ganze Zeit im Schatten des großen Meisters geblieben?
Als Assistent erledigte er musikalische Hilfsdienste und trug eigentlich nichts bei, mit Ausnahme einer einzigen kreativen Leistung. Das war die Verlängerung „der Verwandlungsmusik“ im ersten Akt. Das was Wagner förderte, war, bei der offenen Bühne, von einer offenen Landschaft in einen Tempel zu wechseln bei dem anwesenden Gurnemanz mit Parsifal, die sozusagen „einen Felsen hinaufschalten und dann in den Tempel kommen“. Das Ganze war kaum zu verwirklichen und dauerte etwas länger als die Musikspanne, die Wagner vorgab. Und er sagte zu Humperdinck: „Komponier mal noch ein paar Minuten Musik dazu, damit der Bühnentechniker genug Zeit zu wechseln hat“.
Humperdinck musste schon damals sehr bühnenbewusst gewesen sein, um so etwas machen zu können…
Ich glaube, Wagner brachte ihm das bei. Im Gegensatz zu den anderen Komponisten war er immer am Gesamteindruck interessiert. Wagner schrieb seine eigenen Libretti und gab exakte, sehr ausführliche Regieanweisungen. Er war selbst eine Art „Personalunion“, die aus dem Librettisten, Komponisten und Inszenierungsregisseur bestand. Das war eigentlich eine Besonderheit von Wagner, dass er sich von niemandem hineinreden lassen wollte, jedenfalls nicht von anderen Künstlern oder Bühnentechnikern. Und die Verlängerung einer bestehenden Musik war eigentlich nichts Schöpferisches; das bedeutet einfach das Motiv fortzuführen in traditioneller Manier. Engelbert Humperdinck ist erst als selbstständiger Komponist in späten 1880er, durch seine Oper „Hänsel und Gretel“ weltberühmt geworden.
Merkt man in dieser Oper sowie in „Die Königskinder“ irgendwelche Wagner-Einflüsse?
Ja, absolut. Sie können die meisten Komponisten der damaligen Zeit hernehmen (zum Beispiel Antonín Dvořák), dann sehen Sie, dass sie sich von Wagner irgendwie beeinflussen ließen. Wagner ließ sich wiederum auch von seinen vorherigen Kollegen inspirieren. Bei Humperdinck merkt man den Einfluss von Wagner besonders stark; dann wiederum merkt man bei Siegfried Wagner einen wesentlichen Einfluss von Humperdinck. Es gab eine Lehrer-Schüler-Beziehung zwischen den beiden, die sich sicherlich auch in den Märchenopern von Siegfried Wagner widerspiegelt.
À propos Dvořák, in seinem Werk „Stabat Mater“ hört man an einer Stelle einen Glockenklang, ähnlich wie im „Parsifal“. Aber die Komponisten, bei denen Humperdinck studierte – Franz Lachner und Josef Rheinberger – haben Wagner überhaupt nicht geschätzt.
Humperdinck nahm zumindest gegenüber Brahms eine sehr korrekte und bewundernde Haltung ein, im Gegensatz zur Familie Wagner. Verdi war für ihn zu hochnäsig. Unsere Ausstellung präsentiert unter anderem Humperdincks Äußerungen zu seinen verschiedenen Kollegen. Wenn es um die Bayreuth-Sache geht, war Humperdinck eher ein Devot; den anderen Komponisten gegenüber hatte er eine durchaus selbstbewusste Einstellung.
Die Ausstellung heißt „HOKUSPOKUS HEXENSCHUSS“, sie bezieht sich also auf das Hexenmotiv in Humperdincks Opern, das man auch bei anderen romantischen Komponisten wie Mendelssohn und Schumann finden kann…
Ich verstehe sehr viel von Wagner und Liszt, aber Humperdinck ist mir nur vage bekannt. Die Verwendung des Hexenmotivs hatte natürlich mit Goethe und Joseph von Eichendorff zu tun, zu deren Texte romantische Lieder komponiert wurden.
Vielleicht hat man die Humperdinck-Opern nicht ernst genommen, weil sie auf Märchen basieren, und von keinem Drama mit großen Heroinen und Helden wie zum Beispiel Brünnhilde und Siegfried erzählen…
Auf keinen Fall. Der Unterschied zwischen einer Sage, die Wagner als Thema für den „Ring des Nibelungen“ wählte, und einem Märchen ist gar nicht so groß. Sie unterscheiden sich nur durch ihre Existenz in der Tradition und durch den Mythos, der sie umgibt und in einem Märchen niedriger angelegt ist. In den Märchenopern von Siegfried Wagner gibt es zum Beispiel Kriegsmetaphern, die durchaus die aktuelle Politik und aktuelle Lage der Welt kommentieren. Ein Märchen als musikalisches Material ist nicht immer kinderorientiert, sondern auch eine Form der Metapher von etwas, was wir nicht ausdrücklich ansprechen wollen.
Welche Veranstaltungen finden noch in diesem Jahr im Steingraeberhaus statt?
Unsere wichtigste Veranstaltung dieses Jahres ist ein großes Liszt-Event, das für Ende Oktober-Anfang November geplant ist. Wir eröffnen das mit der größten Liszt-Ausstellung von historischen Fotografien, die es auf der Welt gibt. Die meisten stammen aus der Sammlung von Ernst Burger, ein Pianist aus München. Wir haben von ihm originale Bilder mit Autographen und mit Kommentaren von Liszt gekauft. Das Steingraeberhaus wird im Herbst ein echter Liszt-Ort werden und wir als Klavierhersteller fühlen uns mit Franz Liszt besonders verbunden. Als einen großen Anlass nutzen wir den Klavierwettbewerb Weimar-Bayreuth, der am 26. Oktober in Bayreuth beginnt und dann in Weimar fortfahren wird. Währenddessen findet in Bayreuth ein kleines Liszt-Festival statt, das im Steingraeberhaus eröffnet wird. Nike Wagner, die Ururenkelin von Liszt, wird einen Vortrag über ihn halten. Am kommenden Samstag den 24. Juli findet auch ein großes Ereignis mit Elisabeth Leonskaja in dem Opernhaus statt. Das ist ein Festkonzert mit Beethovens Sonaten, das eigentlich schon für das letzte Jahr geplant war. Da wir das Publikum wegen der Corona-Regeln trennen müssen, spielt Frau Leonskaja zwei Konzerte, eins um 18:00 und das andere um 20:30 Uhr.
Danke für das Gespräch.
Jolanta Łada-Zielke, 25. Juli 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at