Nikola Hillebrand © Miina Jung
Was Nikola Hillebrand jedoch bei allem, was sie tut, ganz besonders wichtig ist, hat mit ihrer verzaubernd perlenreinen Stimme zu tun, die auf der Bühne immer leicht und mühelos klingt.
Doch wieviel Arbeit, Ausdauer und Kontinuität bemüht werden müssen, um dieses hohe gesangliche Niveau zu erreichen, genau das steht auf einem ganz anderen Blatt. Disziplin, Leidenschaft und das Brennen für den Gesang bilden den Motor, der Nikola Hillebrand immer wieder zu absoluter Höchstleistung anspornt sowie das fortwährende Streben nach stimmlicher Freiheit.
Nicole Hacke im Interview mit Nikola Hillebrand – Teil 2
klassik-begeistert: Das klingt sehr interessant. Liebe Nikola, jetzt würde ich gerne die Gelegenheit nutzen, um nochmal auf den Liedgesang sprechen zu kommen. Du bist ja jemand, der mit dem Liedgesang sehr erfolgreich unterwegs ist und auch viele Liederabende gibt. Was für eine Herausforderung ist das eigentlich im Liedgesang zu bestehen? Wie etabliert man sich in diesem Genre?
Nikola Hillebrand: Das ist eine gute Frage. So genau habe ich darüber noch nie nachgedacht, wie man sich in diesem Genre etabliert. Ich habe angefangen Lied zu singen, weil das Repertoire, das uns die Komponisten hinterlassen haben, ein so reicher Schatz ist, den ich auf keinen Fall verpassen wollte. Selbstverständlich muss man sich für den Liedgesang immer extra Zeit freiräumen. Und man muss unbedingt dafür brennen. Wenn man nicht dafür brennt, dann macht man keinen Liedgesang.
Erschwerend hinzu kommt auch, dass man im Vergleich zur Oper beim Lied immer neue Konzepte, sprich Programme konzipieren muss, zumal die Frauenstimmen auch nicht unbedingt auf die drei berühmten Zyklen des Liedgesanges zurückgreifen können. Allerdings ist es schon eine Überlegung wert, diese doch einmal zu singen.
klassik-begeistert: Spielst Du auf die Zyklen von Schumann und Schubert an?
Nikola Hillebrand: Ganz genau. Ich meine die „Dichterliebe“, die „Schöne Müllerin“ und die „Winterreise“. Eventuell auch noch den „Schwanengesang“. Diese Zyklen sind wahrhaft genial und deshalb auch zurecht immer wieder auf den Spielplänen zu finden. Aber natürlich tendenziell eher mit Bariton oder Tenor besetzt, wobei auch viele Frauen, wie Brigitte Fassbaender, das Repertoire bereits interpretiert haben. Insofern könnte man sich da auch mal ran wagen.
Aber worauf ich eigentlich hinauswill: Man kann natürlich nicht immer nur das gleiche Liedprogramm singen. Und um sich ein Liedprogramm zu erarbeiten, beziehungsweise es von null zu konzipieren, braucht es Zeit und vor allem Inspiration. Wenn ich also beginne, ein neues Programm zu erstellen, dann geht erst mal die Recherche los, was im Detail bedeutet, dass ich mir verschiedene Lieder anhöre und versuche Liedgruppen ins Programm einzubauen, die ich bereits kenne, damit nicht alles komplett neu ist. Nur ist es wichtig, dass sich der rote Faden irgendwie durch das Programm zieht. Ist die Arbeit getan, geht es in den Austausch, beziehungsweise in den Schlagabtausch mit meinem Pianisten. Zurzeit mache ich den Großteil mit Helmut Deutsch, der natürlich extrem erfahren und auch sehr gut im Programmieren ist. Diese Zusammenarbeit ist allerdings mit sehr viel Zeit und Energie verbunden. Deshalb kann man sich in den Liedgesang auch nur dann reinknien, wenn einem wirklich ganz viel daran gelegen ist.
klassik-begeistert: Das kann ich mir tatsächlich sehr gut vorstellen. Nur, wie etabliert man sich letztendlich in dem Fach?
Nikola Hillebrand: Das kann ich Dir so nicht beantworten. Ich singe dieses Genre einfach gern und setze mich dafür ein, weil ich der Meinung bin, dass es so kostbar und wunderschön ist und ich auch immer wieder merke, wie positiv das Publikum darauf reagiert.
Dabei versuche ich möglichst auch Lieder in das Repertoire einzubauen, die vielleicht nicht so bekannt sind. Oftmals bekomme ich dann sehr begeistertes Feedback von Zuhörern, was mich persönlich sehr freut. Einen Liedschatz ausgegraben zu haben, der es wert ist gehört zu werden und gleichzeitig damit ein Publikum zu bereichern, ist schon eine besondere und wertschätzende Sache.
klassik-begeistert: Wo liegt denn derzeit Dein Schwerpunkt, wenn es um das Liedrepertoire geht?
Nikola Hillebrand: Meinen Schwerpunkt habe ich aktuelle bei Franz Schubert, Brahms, Robert Schumann, Clara Schumann, Richard Strauss, Hugo Wolf und Mozart gesetzt. Gerne würde ich mich auch noch mit dem französischen Liedrepertoire auseinandersetzen. Dabei habe ich generell noch nicht einmal fünf Prozent dieses wahnsinnig tollen Liedschatzes ausgegraben, zumal ich ja parallel auch noch an anderen Projekten arbeite. Aber mein Ziel ist es, auf meinen weiteren Karriereweg immer auch am Lied dranzubleiben, eben weil es mir so eine große Freude bereitet.
klassik-begeistert: Wieviel Persönlichkeit muss Deiner Meinung nach im Lied zum Ausdruck kommen, damit die Interpretation des jeweiligen Gedichts auch beim Publikum ankommt?
Nikola Hillebrand: Sehr viel Persönlichkeit. Allein, wenn es um die Auswahl der Lieder geht, kommt die Persönlichkeit direkt mit ins Spiel. Schließlich kann ich nicht irgendwelche Lieder singen, die mir nichts sagen oder mit denen ich überhaupt nichts anfangen kann.
Und da geht es direkt beim Text los. Ich lese immer zuerst das Gedicht und wenn mir das nichts sagt, fliegt es auch sofort wieder aus dem Programm raus. Alles, was ich programmiere, muss meiner Persönlichkeit entsprechen und sollte in mir auch ein Gefühl auslösen, dass ich das Lied nicht nur erzählen, sondern mich insbesondere emotional in ihm ausdrücken kann. Natürlich gibt es beim Lied immer auch einen Interpretationsspielraum, genau wie bei der Oper. Nur hat man bei Letzterer noch einen Dirigenten, der interpretatorisch ebenfalls mitentscheidet. Das Schöne am Lied ist, dass man zwar im direkten Austausch mit dem Liedbegleiter steht, aber dennoch seine eigene Interpretation, seine höchst individuellen Emotionen ungefiltert durch das Lied zum Ausdruck bringen kann.
Persönlichkeit spielt beim Liedgesang eine entscheidende Rolle. Außerdem kann man sich beim Lied auch nicht hinter einem Kostüm, einer Maske oder einer Perücke verstecken. Trotzdem singe ich auch gerne die Lieder, bei denen ich in eine Rolle schlüpfen darf. Die liegen mir oft auch sehr gut, weil ich eben nun mal eine „Opernnudel“ bin. Da kann ich dann das Mädchen oder die verlassene Frau sein und ebenfalls durch die Charaktere schnell in die emotionale Welt einsteigen. Und so bringt man bei einem einzigen Liederabend ganz schnell mal 24 Rollen zusammen, was am Ende sehr anstrengend, aber auch beglückend ist.
klassik-begeistert: Eine Reise durchs Leben mitsamt seinen Facetten!
Nikola Hillebrand: Genau.
klassik-begeistert: Gibt es ein Lied, das Dir ganz besonders am Herzen liegt?
Nikola Hillebrand: Es gibt ein paar Lieder, die mich immer wieder begleiten, die ich schon sehr lange singe. Interessant dabei ist, dass sich mit fortschreitenden Jahren der Blick auf das Gedicht ganz oft nochmal verändert. Aber ein Stück, dass auch in meinem Repertoire immer wieder auftaucht, ist das Lied „Morgen“ von Richard Strauss. Jedes Mal, wenn ich das singe, bleibt die Zeit irgendwie stehen. Das ist dann so ein besonderer Moment, in dem man das Gefühl hat, eine Stecknadel fallen lassen zu können. Und dann erst das 1,5-minütige Vorspiel des Pianisten. Ich sage nur: pure Magie!
klassik-begeistert: Hast Du dabei das Gefühl, tatsächlich in dem Moment die Welt mit Deinem Gesang anzuhalten?
Nikola Hillebrand: Nein, das bin nicht ich, die das tut, sondern das Lied hält die Welt an. Ich stelle auch immer den Komponisten vor mich, da ich der Auffassung bin, wir Künstler dienen der Musik und somit dem Komponisten.
klassik-begeistert: Liebe Nikola, auf welche kommenden Projekte freust Du Dich am meisten und was ist Dir aktuell für Deine gesangliche Weiterentwicklung besonders wichtig?
Nikola Hillebrand: Ein großes Projekt, auf das ich mich gerade sehr freue, ist die Rolle der Kunigunde in Bernsteins Candide am Theater an der Wien, eine Operette, die nicht so oft auf den Spielplänen der großen Häuser erscheint. Darüber hinaus finde ich es toll, dass ich auf Englisch singen darf. 50 Prozent meines Tages spreche ich sowieso englisch. Auch wenn diese Sprache nicht meine Muttersprache ist, so fühlt sie sich für mich wie eine emotionale Sprache an. Besonders freue ich mich darauf, die Kunigunde mit der Regisseurin Lydia Steiner zu entwickeln, mal ganz abgesehen davon, dass ich zwei Monate in Wien leben werde und dort die Weihnachtszeit verbringen darf. Das ist schon toll.
klassik-begeistert: Was ist Dir für Deine gesangliche Weiterentwicklung besonders wichtig?
Nikola Hillebrand: Nun ja. Was mir schon immer wichtig war, wichtig ist und auch immer wichtig sein wird, ist die stimmliche Freiheit zu suchen. Und wenn man diese dann gefunden hat, sie auch zu behalten. Das aber ist eine immer neue Suche.
klassik-begeistert: Was macht denn die stimmliche Freiheit für Dich aus?
Nikola Hillebrand: Unter stimmlicher Freiheit verstehe ich unter gesangstechnischen Aspekten, wenn sich die Kehle beim Singen frei anfühlt, sprich die Luft auch wirklich ungehindert strömen kann. Das aber muss man jeden Tag aufs Neue suchen, denn fertig ist man mit seiner Stimme nie. Es gibt Tage, an denen ist man superglücklich und Tage, die sich nicht so gut anfühlen. Und das allein ist schon eine Herausforderung für die Stimme. Insofern fängt man beim Singen immer wieder von vorne an. Diesen Übungsprozess kann man sich wie beim Trainieren für einen sportlichen Wettkampf vorstellen. Und auch der persönliche Reifeprozess verändert die Stimme über die Zeit. Somit muss man seine Gesangstechnik immer mal wieder hinterfragen und gegebenenfalls justieren. Aber das macht mir sowieso sehr viel Spaß.
klassik-begeistert: Liebe Nikola, ich danke Dir ganz herzlich für das sehr informative Gespräch und wünsche Dir für Deine bevorstehenden Engagements ganz viel Spaß und Freude.
Nicole Hacke (operaversum.de), 9. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at