Michael Spyres, Ensemble Aedes © DR Stefan Brion
Die Aufführung von Hoffmanns Erzählungen, die zurzeit an der Opéra-Comique in Paris aufgeführt wird, ist eine Übernahme der Produktion, die schon im Frühjahr dieses Jahres in Straßburg gespielt wurde, dort ebenfalls unter der Leitung des Dirigenten Pierre Dumoussaud. In Paris aber profitiert sie von der Präsenz von Michael Spyres und Héloïse Mas, die in ihren jeweiligen Rollen von Hoffmann und Muse/Niklausse ein gutes Ensemble überragen. Ihren stimmlichen und szenischen Leistungen ist es zu verdanken, dass die Inszenierung von Lotte de Beer schlüssig daherkommt.
Jacques Offenbach (1819-1880)
LES CONTES D’HOFFMANN
Opéra fantastique in fünf Akten (Libretto: Jules Barbier)
Musikalische Leitung: Pierre Dumoussaud
Inszenierung: Lotte de Beer
Bühnenbild: Christof Hetzer
Kostüme: Jorine van Beek
Orchestre Philharmonique de Strasbourg
Ensemble Aedes
Opéra-Comique – Salle Favart, Paris, 25. September 2025
von Jean-Nico Schambourg
Bei einer Aufführung von “Hoffmanns Erzählungen” von Jacques Offenbach stellte sich von Jahren immer die Frage: Welche Version spielen? Da die Oper erst nach dem Tode des Komponisten uraufgeführt wurde, hat sie im Laufe der Zeit viele Adaptationen erleiden müssen.
Seit einiger Zeit hat sich, dank den Offenbach-Spezialisten Michael Kaye und Jean-Christophe Keck, eine definitive Dialogversion durchgesetzt, die alle zum Moment der Edition zugänglichen Unterlagen und Informationen berücksichtigt. Diese Version wird auch bei dieser Koproduktion der Opéra-Comique Paris, der Opéra du Rhin aus Straßburg und der Wiener Volksoper benutzt in einer Inszenierung der Regisseurin Lotte de Beer, ihres Zeichens auch aktuelle Leiterin des genannten Wiener Opernhauses.
Die gesprochenen Dialoge wurden allerdings neu geschrieben, um in das Regiekonzept von Lotte de Beer hineinzupassen. Hoffmann ist in ihrer Deutung ein männlicher Narzisst, der in seinen drei imaginären Frauengeschichten immer nur sich selbst in den Mittelpunkt setzt. Er will von den Frauen geliebt werden und sieht sich schlussendlich immer als Opfer (eines imaginären Teufels), wenn die Liebeleien schiefgehen.
Erst durch das ständige Einwirken der Muse, verkleidet als sein Freund Niklausse, erkennt er, was wahre Liebe ist und findet den Weg zum tiefgründigen Schriftsteller. So bekommt der Schlussgesang “On est grand par l’amour et plus grand par les pleurs” (Man ist groß durch die Liebe und noch größer durch die Tränen) seine wahrhaftige Bedeutung.

Allerdings mindert diese Neufassung der Texte auch die Verständlichkeit des Zusammenhangs einzelner Szenen in den Geschichten. Das andauernde Auf- und Abfahren eines schwarzen Bühnenvorhangs nervt mit der Zeit ein wenig, auch wenn es einige Umbauten auf der Bühne erlaubt. Oft wechselt dabei allerdings nur die Größe der Möbel: Normale Möbel werden durch Möbel in Übergröße oder durch solche in Kindergröße ausgewechselt.

Die von Hoffmann angebetete Puppe im Olympia-Akt ist teilweise eine Kinderpuppe, teilweise ein riesiger Automat. Das Singen übernimmt die aus dem Chor hervortretende Sopranistin, für die selbst Hoffmann kein Interesse zeigt. Das Zimmer im Antonia-Akt ist geschmückt mit schwarzen Bilderrahmen, aus denen Dr Miracle sowie Antonias Mutter hervortreten. Im Venedig-Akt dient die nach Hinten offene Seite der Bühne als Spiegel.
Michael Spyres ist natürlich der vokale Mittelpunkt der Aufführung. Ohne irgendwelche sichtliche Anstrengung füllt seine Stimme den Saal aus. Die Ausflüge der letzteren Zeit in schwerere Gesangspartien haben seine Mittellage gestärkt. Seine Stimme strahlt immer noch bei hohen Tönen, die für ihn kein Problem scheinen. Seine französische Diktion ist dabei fast perfekt. Nur in den gesprochenen Passagen schleichen sich manchmal einige unverständliche Wörter ein.
Die Inszenierung erhebt die Rolle der Muse alias Niklausse auf dasselbe Level wie Hoffmann selbst. Dabei kommen die gesprochenen Passagen von Héloïse Mas absolut klar daher. Aber auch gesanglich weiß die Mezzosopranistin mit dem Tenor mitzuhalten. Ihre Stimme hat über den ganzen Umfang einen leuchtenden Klang. Schade, dass sie die berühmte Barcarolle tief hinten auf der Bühne singen muss. Die Regieanweisungen klauen diesem Stück jegliche Romantik.
Amina Edris übernimmt die Rollen der vier Frauen, um die sich Hoffmann bemüht, wobei Stella eine stumme Rolle ist. Für die berühmte Arie der Olympia, die sie hier nicht “als” Puppe, sondern “anstelle” der Puppe singt, fehlt ihrem Sopran in den Koloraturen die Leichtigkeit und die absolute Höhe. Überraschenderweise erscheint auch ihre Interpretation der lyrischen Antonia ein wenig angestrengt. Ihre beste Leistung zeigt sie an diesem Abend als Giulietta. Allerdings fehlt es ihr für diese Rolle an stimmlicher Erotik, sodass sie eher als “leichtes Mädchen” statt als erfahrene Kurtisane daherkommt, was auch durch ihr unvorteilhaftes Bühnenkleid, einem rosafarbenem Korsett, verstärkt wird.
Jean-Sébastien Bou singt die vier Bösewichte (Lindorf, Coppélius, Dr Miracle und Dapertutto) die Hoffmann immer wieder in seinen Liebesbemühungen in die Quere kommen, mit viel Spielwitz und sicherem Bariton. Nur in der tiefen Lage fehlt es seiner Stimme an Durchschlagskraft.
Raphaël Brémard gefällt in den vier Rollen des Andrès, Cochenille, Frantz und Pitichinaccio, auch wenn seine vier Figuren zum Teil “Opfer” der Neufassung der Dialoge sind. Nicolas Cavallier, Matthieu Justine und Matthieu Waledzik erledigen sich ihren jeweiligen Aufgaben mit großem Professionalismus. Auch Marie-Ange Todorovitch kann in der kurzen Rolle von Antonias Mutter überzeugen.
Dies tut auch der Chor, das Ensemble Aedes, sowie das Orchestre philharmonique de Strasbourg unter der Leitung von Pierre Dumoussaud, der die Feinheiten und Tempovariationen der Partitur mit seinem Dirigat hervor zu streichen vermag.
Das Publikum spendete allen Beteiligten großen Applaus. Einige wenige wollten wahrscheinlich die Verantwortlichen der Inszenierung ausbuhen. Allerdings trafen ihre Missfallensbekundungen die falschen Personen: Nach dem Dirigenten kamen seine musikalischen Helfer auf die Bühne, Lotte de Beer und ihr Assistent Frédéric Buhr erst später, als diese Leute sich beruhigt hatten. Auch Ausbuhen will gelernt sein!
Jean-Nico Schambourg, 27. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giuseppe Verdi (1813-1901), Aida Opéra Bastille, Paris, 24. September 2025
Richard Wagner, L’Or du Rhin (Rheingold) Opéra National de Paris Bastille, 14. Februar 2025