Die Komische Oper Berlin landet ein glitzerndes Superstar-Spektakel im Flughafen Tempelhof

Jesus Christ Superstar, Rockoper von Andrew Lloyd Webber  Komische Oper Berlin, Premiere am 19. September 2025

Jesus Christ Superstar
Rockoper von Andrew Lloyd Webber

Komische Oper Berlin
Premiere am 19. September 2025

Foto © Jan Windszus Photography

Musikalische Leitung: Koen Schoots
Inszenierung: Andreas Homoki
Bühnenbild: Philipp Stölzl
Kostüme: Frank Wilde
Choreographie: Sommer Ulrickson

Jesus von Nazareth   Ryan Vona
Judas Iscariot   Ryan Shaw
Maria Magdalena   Ilay Bal Arslan
Pontius Pilatus   Kevin(a) Taylor
Kajaphas   Daniel Dodd-Ellis
Hannas   Michael Nigro
Petrus   Oedo Kuipers
Simon Zelotes   Dante Sáenz
Herodes   Jörn-Felix Alt
Chorsolisten und Orchester der Komischen Oper Berlin

von Sandra Grohmann

Andrew Lloyd Webbers Jesus Christ Superstar ist ein nachdenkliches Stück in Glitzerverpackung – anders als nachdenklich kann, wenn man den Stoff ernst nimmt, ein Stück über die letzten sieben Tage Jesu auch gar nicht sein. Inszenierungen müssen sich (auch) daran messen lassen. Andreas Homoki, früherer Intendant der Komischen Oper Berlin, hat die Rockoper daher natürlich nicht nur als schillerndes Unterhaltungsstück auf die Riesenbühne im Hangar 7 des Flughafens Tempelhof gebracht, der dem Haus bereits für opulente Oratorienaufführungen diente. Sie thematisiert aber weniger eine Leidensgeschichte als die Problematik von Massenkulturen.

Das Disco-Kreuz, das vor Beginn der Aufführung die Bühne beherrscht, gibt den Ton vor: Im Mittelpunkt der Aufführung steht nicht das Leiden eines unschuldigen Menschen, stellvertretend für so viele, sondern ein Lifestyle-Symbol. Philipp Stölzl, der diesmal (nur) die Bühne verantwortet, stellt das Riesendings ganz vorn auf den Rockshow-Bühnensteg, wie Designer heute katholische Priesterbekleidung und ihre Accessoires für ihre Laufstege entdecken. Zu Beginn der Aufführung hebt dieses Kreuz in den Flughafenhimmel ab, um von dort am Ende des Stücks zur rechten Zeit wieder herabzuschweben.

In der Zwischenzeit werden wir Zeugen der unglücklichen Liebesbeziehung zwischen Jesus und Judas und der unerfüllten Liebe der Ex-Prostituierten Maria Magdalena zu Jesus. Natürlich kann man das machen und niemand ist verpflichtet, selbst in unseren unruhigen Zeiten, die Passionsgeschichte politisch zu deuten. Und ja, die Massenszenen lassen deutlich die Superstar-Problematik und die aller Massenbewegungen erkennen, indem das Volk von der Haltung eines jubelnden Fans zu der des blutrünstigen Feindes kippt. Das hat das Zeug, einem die Kehle ebenso zuzuschnüren wie die Passionsspiele in Oberammergau. Diese Szenen sind mit mehreren hundert Tänzern und dem Chor der Komischen Oper sorgfältig einstudiert, wobei sich die Choreographie eher auf sich erhebende und senkende Hände und Körper konzentriert als auf die Bewegung des Gesamtkorpus, soweit es nicht die Ränge hinauf und hinunter geht.

Die Volkswallung gilt einem Jesus, der merkwürdig unbeteiligt auf der Bühne posiert. Er steht, liegt oder rennt und wird gelegentlich hinabgeworfen. Eine Mission ist nicht erkennbar. Der Zweifel, der dieser Figur eingeschrieben ist, hat kein Objekt. Von zwei, drei Wutausbrüchen abgesehen bleibt der Mensch bei einer puren Opferhaltung – doch wofür er schließlich sogar zu sterben bereit ist, bleibt ein Geheimnis. Schon die Vorwürfe seines Intimus Judas, nämlich dass sein Gottesbezug gar nicht echt sei, nimmt er merkwürdig regungslos entgegen. Dafür kämpft er also nicht. Wofür dann?

Verfolgt wird dieser Mensch von einer Bande Häschern unter der Anführung von zwei Hohepriestern, die hier in Lack & Leder in der Form von Furry-Kostümen daherkommen. Die Kostüme von Frank Wilde sind insgesamt eine pure Augenweide. Aber ob diese Verfolger Jesu als Gruppe mit einer Vorliebe für als eigenwillig geltende Sexualpraktiken sinnvoll dargestellt sind, möchte ich offen lassen. Wir haben die Aufführung in einer größeren Gruppe besucht und danach lange über diese Frage diskutiert. Wenn Kinkyness, was man bei der Komischen Oper voraussetzen kann, positiv konnotiert ist, dann wird sie weder antisemitisch noch queerfeindlich zu lesen sein. Wenn die Häscher allerdings in der Story eine negative Rolle spielen und mit einer übrigens entzückend vielfältigen und hervorragend getanzten Choreo schleimig-fies auf die Bretter kommen, steht das in einem gewissen Widerspruch dazu. Meine Englischlehrerin hätte dazu knapp gesagt: Discuss.

Die Jünger hingegen bleiben fast unkenntlich Teil des Volkes, was im Text von Tim Rice auch angelegt ist – der Fokus liegt auf der Feigheit und dem Unverständnis dieser Truppe, was der zunehmend verzweifelte Jesus ihnen selbst vorwirft. Die Rollen sind eher am Rande ausgestaltet und in dieser Aufführung nicht hervorgehoben.

Musikalisch ist die ganze Aufführung ein – gemessen an Musical-Maßstäben – Hochgenuss. Ryan Vona als Jesus schraubt seine Stimme scheinbar mühelos in höchste Höhen, während Daniel Dodd-Ellis als verfolgender Priester Kajaphas nicht nur mit seinem röhrenden Bass die Halle erfüllt, sondern auch spielerisch sehr agil den Fiesling gibt.

Ilay Bal Arlans Maria Magdalena – zwar im klischeebeladenen roten Kleid, aber immerhin mit Glatze – spendet Sanftheit und Zuversicht mit ihren zarten Liedern, während der von Beginn an vorwurfsvolle Judas von Ryan Shaw mit kraftvoller Stimme (und, wie Vonas Jesus, mit muskelbepackten Armen) den heimlichen Mittelpunkt der Aufführung stellen darf.

Besonderen Augen- und Ohrenschmaus bieten außerdem Kevin(a) Taylor als Pontius Pilatus in goldener Uniform und Jörn-Felix Alt als Herodes, den er in einem überwältigenden lila Umhang à la Freddie Mercury oder (das war in unserer Gruppe umstritten, aber es kann ja auch mehrere Vorbilder geben) Ludwig II. von Bayern mimt.

Koen Schoots leitet das Orchester der Komischen Oper Berlin in hoher Präzision und stellt – über die Monitore – zugleich den von Jesus angesprochenen Gott dar – ein witziger und natürlich sehr passender Einfall, der nur von den Seitenrängen zu bemerken sein dürfte. In die Orchesterklänge fügt sich nahtlos der Klang der ebenfalls wunderbar kostümierten Rockband.

Alles in allem eine sehenswerte, unterhaltsame, in gewissem Maße auch nachdenklich stimmende Aufführung. Ganz zum Schluss, als das Kreuz wieder gelandet ist, findet keine Kreuzigung statt. Auch Judas tötet sich nicht. Wir sehen ihn und Jesus nach einer opulenten Aufführung sich Auge in Auge gegenüberstehen. Ist das die Essenz? Discuss.

Sandra Grohmann, 21. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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