Haben Sie das Sylter Biikebrennen vertont, Frau Winkelman? Interview, Teil 2

Jörn Schmidt im Gespräch mit Claude Frochaux und Helena Winkelman – Teil 2  Vorschau Kammermusikfest Sylt 2024

KmfSylt Kleiner Zuhörer in St. Niels © Matthew Johnson

Das Kammermusikfest Sylt geht in seine 12. Edition, es findet inselweit vom 27. Juli bis 1. August 2024 statt. Dieses Jahr gibt es gleich drei Auftragswerke. Der Künstlerische Leiter Claude Frochaux  und Composer in Residence Helena Winkelman sprechen auch zu  Inspiration und Technik der Uraufführungen.

Interview zum Kammermusikfest Sylt 2024 – Teil 2

Jörn Schmidt im Gespräch mit Claude Frochaux und Helena Winkelman

klassik-begeistert: Sie sind Composer in Residence, im Abschlusskonzert wird Ihr Werk Ignis (Feuer) uraufgeführt. Bei Feuer denke ich sofort an das Sylter Biikebrennen. Kennen Sie diese Tradition?

Helena Winkelman: Ich habe sie erst jetzt kennen gelernt, da ich mich etwas mit Sylt auseinandergesetzt habe – es gibt aber in Liestal, der Nachbarstadt von Basel wo ich wohne, jeweils vor der Fastnacht im Februar/Anfang März den Chienbäse-Umzug… das ist dem Biikebrennen so ähnlich, dass es mir scheint, dass die beiden Feuerfeste von gleichen Eltern sind – das Biikebrennen ist aber älter wie ich herausfand… erst seit 1902 gibt es Fackelzüge in Liestal…

klassik-begeistert: Verstehe… Das Biikebrennen findet jedes Jahr am 21. Februar statt. Es diente als Abschiedsfeuer für die Sylter Seeleute, die im Februar wieder aufbrachen. Außerdem sollte es böse Geister vertreiben und die neue Saat schützen. Worum dreht sich Ignis?

Helena Winkelman © Pilvax

Helena Winkelman: Auch in Liestal war der Anlass für den Fackelzug, böse Geister zu vertreiben.  Ignis hat mit Geistern aber nicht direkt etwas zu tun. Das Stück für Piccoloflöte und Cello ist Teil meines Elementezyklus. Die Idee gefällt mir, dass wir als Menschen all diese Elemente in uns haben. Wie wir uns fühlen, wenn wir an Wasser denken, an Feuer, an die Erde oder die Luft… es sind ganz unterschiedliche Welten, an denen wir teilhaben.

klassik-begeistert: Sie sind auch an Jazz und Renaissancemusik interessiert, Ihren Kompositionen wird Vitalität und eine gehörige Portion Ironie nachgesagt. Was erwartet die Hörer diesmal, können Sie Ihre Kompositionstechniken und Klangräume beschreiben?

Helena Winkelman: Wer bei Ignis genau hinhört, wird das Züngeln der Flammen hören, das Nach-oben-Schiessen von Funken, die brennende Intensität. Und es ist auch möglich, die verschiedenen Zustände des Feuers – von leiser Glut bis zum offenen Brand – erfahren zu können.

KmfSylt Friesensaal 2023 © Matthew Johnson

Diese Art von außermusikalischer Inspiration gibt es oft in meiner Musik. Es ist mir wichtig, dass Musik und Leben ganz eng miteinander verbunden sind. Manche meiner Stücke sind eher meditativ wie Immediation oder Terra – dann gibt es Stücke mit sehr virtuosen bis rockigen Elementen wie meine Ciaccona oder Aria.

klassik-begeistert: Für Sylt hat Kate Moore Crab Canon komponiert. Woher kam die Inspiration und was ist die Botschaft?

Claude Frochaux: Allgemein empfinde ich in Kates Musik eine Verbindung mit der „Ruhe“ der Natur, wenn ich es so ausdrücken darf, und für mich sind ihre Kompositionen von einem bestimmten Zusammenklang geprägt, der wie selbstverständlich eine Harmonie und Stimmigkeit in sich trägt. Daher hatte ich den Wunsch, ihre Musik in ein Programm aus umarmender Musik zu integrieren. Dazu gab zwei grundsätzliche Gedanken für das Auftragswerk. Erstmal die Verwendung der Harfe, die im Festival die Protagonistin des Wasser-Tages ist und darüber hinaus die Assoziation mit einem Wasser Tierkreiszeichen.

klassik-begeistert: Vlad Maistorovici Beitrag zum Kammermusikfest Sylt ist Lovituri de aripă (Flügelschläge). Wie kann man das Werk charakterisieren?

KmfSylt Künstlerischer Leiter Claude Frochaux © Matthew Johnson

Claude Frochaux: Eine komplett andere Sprache ist Vlads Musik. In Lovituri de aripă näht er um eine sanfte Melodie herum einzelne stark rhythmische Interventionen im Klavier – musikalische Zitate von Messiaen, Vivaldi oder Enescu, großes Vorbild für ihn als rumänischen Komponisten, nicht zuletzt als Gewinner des Enescu-Kompositionswettbewerbs. Die Melodie von „Song of the birds“ als Führungslinie in der Cello-Stimme zerstückelt sich aber langsam, auch wie im Klavier, in schnelle und staccatoartige Kommentare, wie es die Vogelstimmen sind. Das Resultat ist eine musikalische Voliere voller Atmosphäre und besonderer Klangwirbel.

klassik-begeistert: Wie können unerfahrene Hörer einen Zugang zu zeitgenössischer Musik bekommen, konkret zu den drei Auftragswerken?

Claude Frochaux:  Aus Erfahrung im Kammermusikfest Sylt kann ich sagen, dass das Publikum immer offener gegenüber zeitgenössischer Musik wird. Auch wenn bei uns im Programm immer wieder zeitgenössische Musik oder unbekannte Namen zu lesen sind, macht das den meisten keine „Angst“. Ich glaube fest daran, dass ein erfolgreicher Zugang tatsächlich daher kommt, wie solche Musik im Programm eingebettet ist und sicherlich auch durch das Vertrauen und die Neugier, die das Publikum in den Jahren bekommen hat.

KmfSylt Cellist Mats Lidstroem im Friesensaal © Matthew Johnson

klassik-begeistert: Was ist Ihr Rezept für ausverkaufte Konzerte?

Claude Frochaux: Ich denke, dass es der Schlüssel ist, wenn die Leute erfahren und entdecken, sich auf ein Kammerkonzert einlassen zu können. Wenn das Konzert es schafft, abgesehen vom künstlerischen Niveau, auch eine Story zu erzählen, dann nimmt es auch ein Publikum mit, das nicht regelmäßig in Klassik-Konzerte geht. Und letztendlich bleibt das Rezept die meisterhafte Musik, die Klassik anzubieten hat!

klassik-begeistert: Bitte widersprechen Sie sofort, wenn ich mich irre: Sie waren noch nicht auf Sylt…

Helena Winkelman: Leider noch nie…

klassik-begeistert: Wie stellen Sie sich die Insel vor, was erwarten Sie hier?

Helena Winkelman: Wunderbare Natur, unkonventionelle Konzertorte wo es leicht sein wird mit dem Publikum in Kontakt zu treten.  Eine phantastische Musikergemeinschaft und lange Abende.

Helena Winkelmann © Pilvax

klassik-begeistert: Also keine Sylt-typischen Vorurteile?

Helena Winkelman: Welche sollen das sein?

klassik-begeistert: Welche Assoziationen verbinden Sie mit der Nordsee?

Helena Winkelman: Ich habe eine starke Beziehung dazu, weil ich ein viertel Holländerin bin. Ich war viel in Scheveningen aber auch auf der friesischen Insel Schiermonnikoog als Kind.

KmfSylt Musik in der Natur, Vogelkoje Pablo Barragan © Francesco Ubertalli

klassik-begeistert: Das Martha Argerich Festival in der Hamburger Laeiszhalle steht unter dem wunderschönen Motto Musizieren unter Freunden. Können wir uns die Musiker und Musikerinnen Ihres Festivals auch wie eine große Familie vorstellen, voller Vielfalt und Freundschaft?

Claude Frochaux: Das können Sie! Der Spirit dieses Festivals ist genau der: Jede*r Musiker*in bringt eine individuelle Energie und Kreativität mit und teilt sie in der Woche zusammen mit jedem*r im Ensemble. Alle spielen mit allen, alle tauschen sich untereinander aus, die meisten sind sich schon mehrmals irgendwo auf dem Globus begegnet. Einige wenige treffen sich aber auch erst hier auf Sylt zum ersten Mal.  Alle sind oder werden Freunde: Ich bin sicher, dass sich diese harmonische und gutgelaunte musikalische Familie voller Vielfältigkeit und Talent dem Publikum mitteilt und eine Zutat für volle Konzerte ist!

klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Jörn Schmidt, 14. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Interview: Jörn Schmidt im Gespräch mit Claude Frochaux Vorschau Kammermusikfest, 12. Juli 2024

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