Interview mit Aco Biščević: John Dowland trifft auf Carl Heinrich Graun und Franz Schubert

Jolanta Łada-Zielke  im Gespräch mit dem Haute-Contre Aco Biščević  klassik-begeistert.de, 22. Mai 2024

Aco Biščević als Titus in der konzertanten Aufführung von Christoph Willibald Glucks „La clemenza di Tito“ bei den Gluck-Festspielen in Bayreuth am 9. Mai 2024 © Beth Chalmers

Nach dem Studium am Salzburger Mozarteum, wo er Gesang und Cembalo erlernte, debütierte Aco Biščević an der Mailänder Scala. Er trat bereits in den Opernhäusern in Berlin, Innsbruck, Ljubljana und München sowie auf verschiedenen Festivals auf wie den Salzburger Festspielen, Valle d’Itria Martina Franca, Trame Sonore Mantova, Styriarte in Graz und in Bad Ems. Bišćević ist als Opernsänger ebenso wie als Liedinterpret gefragt, der sich selbst am Klavier begleitet, sowie als Evangelist in den Bach-Passionen. Als Konzertsänger arbeitete er bereits mit Dirigenten wie Theodor Guschelbauer, Jordi Savall, Reinhard Goebel, Vittorio Ghielmi, Ingo Metzmacher, Federico Maria Sardelli, Nikolaus Harnoncourt und Michael Hofstetter zusammen.

Bei den diesjährigen Gluck-Festspielen in Bayreuth sang er die Titelrolle in Christoph Willibald Glucks „La clemenza di Tito“ und trat im Nachtkonzert „Time stands still“ in der Schlosskirche gemeinsam mit Hannah-Theres Weigl auf.

Jolanta Łada-Zielke führte ein Gesprächt mit dem Haute-Contre Aco Biščević

klassik-begeistert: Auf dem Programm des Konzerts „Time stands still“ standen Werke von Gluck, Dowland, Purcell und Monteverdi. Sie haben auch ein bosnisches Lied, „Žute dunje“, gesungen. Wovon handelt es?

Aco Biščević: „Žute dunje“ sind goldgelbe Früchte (auf Deutsch „gelbe Quitten“), die etwas bitter schmecken. Ich schlug vor, dieses Lied in das Programm des Konzerts aufzunehmen, da sein Inhalt dem populären Gluck-Thema von Orpheus und Eurydike entspricht. Es erzählt die Geschichte der Liebe eines jungen Paares in Bosnien, denen ihre Feinde verbieten, zu heiraten. Die junge Frau ist ein Einzelkind ihrer Mutter und wünscht sich diese gelben dunje. Dafür geht ihr Geliebter nach Istanbul und man hörte drei Jahre lang nichts von ihm. Als er danach in seinen Heimatort zurückkommt und die Früchte mitbringt, sieht er einen Trauerzug. Die Totengräber tragen die Leiche seiner Geliebten auf einer Bahre. Der verzweifelte Junge schreit laut vor Schmerz und bittet sie anzuhalten, um sie  ein letztes Mal küssen zu können. Er will die Totengräber dafür bezahlen. Das Lied ist unglaublich traurig.

klassik-begeistert: Sie haben das ganze Publikum in eine außergewöhnliche Stimmung versetzt, als ob die Zeit wirklich stehen geblieben wäre.

Aco Biščević: Das erste Stück – „Time stands still“ von John Dowland – habe ich von oben, aus der Empor gesungen. Hannah-Theres Weigl sang unten (wie die Eurydike in der Unterwelt) und dann bin ich zu ihr gekommen. Der Tänzer Alberto Pagani war eine Art Geist, der zwischen uns agierte. Ich habe meine Partnerin „verloren“ und sie am Ende zurückbekommen. Auf der Probe habe ich Hannah gesagt, sie solle das letzte Stück von Monteverdi – „Sì dolce è’l tormento“ – ganz schlicht singen. Dies sollte eine Botschaft der Hoffnung vermitteln, und ich glaube, es ist gelungen.

klassik-begeistert: Manche Zuschauer haben den Tanz als ablenkend empfunden. Ich finde aber, dass er Eure Darbietung hervorragend ergänzt hat. Alberto Pagani spielte hier eine Fatum-Rolle, der euch mal zusammenbringt, mal trennt.

Aco Biščević: Früher war der Tanz ebenso wichtig wie der Gesang. Menschen versammelten sich auf einem Hof oder in einer Scheune, um zusammen zu singen, verschiedene Instrumente zu spielen und zu tanzen. Dies machten sie bei der Musik von Dowland, Schubert, sowie auf Salons noch weit in das 20. Jahrhundert hinein. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts besteht die Tendenz, den Tanz vom Gesang zu trennen. Ich verwende aber gerne Tanz in meinen Liederabenden. Natürlich überrascht das manchmal das Publikum. Nach dem Konzert in der Schlosskirche hat mir jemand gesagt, dass er am Anfang skeptisch war, dann aber losgelassen hat, in der Stimmung mitgegangen ist und war tief beeindruckt.

klassik-begeistert: Ich war überrascht, dass Sie in diesem Konzert die Lieder von John Dowland gesungen haben. In meiner Musikschule haben uns die Lehrer nicht erlaubt, die Renaissance Musik zu singen, weil sie eine andere Technik als Belcanto ist.

Aco Biščević: Ich habe das Gleiche erlebt. Dies würde bedeuten, dass man auch Giulio Caccini nicht singen dürfte, weil er an der Wende zwischen Renaissance und Barock lebte. Wir haben heute einen breiteren Blick auf die Musik früherer Jahrhunderte, weil wir immer wieder etwas Neues darin entdecken. Aber wir trennen gerne eine Art von Gesang von der anderen, obwohl man das früher nicht getan hat. Klassische Komponisten lernten von den Werken der Barock- und Renaissancemeister. Ich wusste lange nicht, für welche Musik sich meine Stimme wirklich eignet, und habe ständig gesucht. Verdi oder ein Standardrepertoire eines Tenors singe ich zum Beispiel nicht, sondern das, was zu der hohen Tenorstimme passt. Und ich finde diese Musik nicht minderwertig.

Aco Biščević im Konzert „Time stands still“ bei den Gluck-Festspielen in Bayreuth am 10. Mai 2024 © Beth Chalmers

klassik-begeistert: Auf Ihrer CD mit den Arien aus Kantaten von Carl Heinrich Graun (1704–1759) steht „gentle tenor“. Heißt das, Sie sind ein lyrischer Tenor?

Aco Biščević: Ich bin, wie die Franzosen sagen, haute-contre (kein Countertenor, sondern ein sehr hoher Tenor; die Stimmlage ist charakteristisch für die französische Barockoper). Die Musik von Graun ist wie für mich geschrieben. Es ist Wahnsinn, wenn man diese Kantaten hört und gleichzeitig in die Partitur schaut. Die Gesangsstimme ist sehr hoch geschrieben, und das hohe C erscheint dort viel häufiger als bei Donizetti.

Der höchste Ton ist in den Kantaten das dreigestrichene D. Carl Heinrich Graun war ein Tenorsänger auf dem Hof von Friedrich II. Dort agierten auch die anderen großen Musiker wie die Gebrüder Benda und Carl Philipp Emanuel Bach. Graun komponierte seine Stücke für private königliche Apartments, also kleine Räume, wo man solche hohen Töne nicht schreien konnte. Er hat seine Kantaten selbst gesungen und wurde durch sein zartes piano berühmt. Als Graun gestorben ist, soll der König gesagt haben: „So einen Sänger werden wir nie wieder haben“. Heute muss man sich anstrengen, um herauszufinden, wie man diese Stücke singen soll. Die Musik ist eher idyllisch, aber die technische Seite ist sehr anspruchsvoll. Hier habe ich nach einer entprechenden Stimmung gesucht.

klassik-begeistert: Haben Sie neben Carl Heinrich Graun noch andere Komponisten entdeckt?

Aco Biščević: Zurzeit lerne ich viel von der neuentdeckten italienischen Musik aus dem 18. Jahrhundert und früheren Epochen. Dazu gehören Werke von Baldassare Galuppi (1706-1785). Auch in Italien gab es früher viele hohe Tenore, die speziell für sie geschriebenen Stücke sangen. Diese Musik ist heutzutage ganz unbekannt und muss einen Weg zu uns finden.

klassik-begeistert: Sie genießen bestimmt die Zusammenarbeit mit Michael Hofstetter bei der Erforschung bisher unbekannter Bereiche der Vokalmusik.

Aco Biščević: Ich würde sagen, dass dies für mich nicht nur ein Glück, sondern auch ein Segen ist. Ich habe vermutet, dass der Gesang in den Kantaten von Graun sehr sensibel klingen sollte. Und Michael erlaubt den Sängern zerbrechlich zu sein und aus unseren Seelen zu singen. So etwas liebe ich, weil die Kunst oft aus einer Trauer oder einem Liebeskummer kommt. Michael gibt uns viel Platz dafür. Jeder Sänger, der mit ihm musiziert, sagt, dass es für ihn ein purer Genuss ist, weil er den Sänger so subtil führen kann, dass man sich frei und betreut zugleich fühlt. Michael ist tausendprozentig bei uns und hört uns genau zu.

Er hat uns beigebracht, beim Singen “unendliche Bogen” zu machen, als ob unsere Phrasen in Unendlichkeit gingen. Das wichtigste, was er uns gibt, ist die Freiheit.

Tenorist in pianist Aco Biščević – YouTube

klassik-begeistert: Im Konzert mit Schubert-Liedern im Komorni-Studio, das auf YouTube zu sehen ist, begleiten Sie sich selbst. Ich bewundere, wie Sie das tun, besonders wenn der Klavierpart komplizierter ist.

Aco Biščević: So ist es in „Die rastlose Liebe“, das eins der schwierigsten Lieder zu begleiten ist. Dieses Stück hat ganz viele Anweisungen im Klavierpart, vor allem viele Trompeten-crescendi und sforzati. Um das alles zu verwirklichen, braucht man viel Disziplin und Übung. Ich habe sehr, sehr, sehr langsam mit dem Klavierpart angefangen, dann ebenso mit dem Gesang, habe über Text nachgedacht. So bin ich Schritt für Schritt zu einem ganz raschem Tempo gekommen, welches manche Stücke brauchen. Mein Rezept ist, immer sehr langsam anzufangen.

Schubert hat ebenfalls sich selbst begleitet, was damals nicht nur für die Komponisten, sondern auch für die Sänger ein Muss war. Wenn man das einmal mit einem Hammerklavier probiert, merkt man sofort, dass diese Lieder anders als heute gesungen werden sollen; Wie genau, weiß man aber nicht.

klassik-begeistert: Viele Sänger möchten sich lieber auf den Gesang konzentrieren und sich von einem Pianisten begleiten lassen.

Aco Biščević: Ich mache beides. Natürlich ist es nie zu 100 Prozent vollkommen, aber für mich ist die künstlerische Botschaft wichtiger als die Perfektion der Aufführung. Ich kenne ebenfalls niemanden, der absolut perfekt musiziert und finde die Perfektion langweilig. Diese hat wenig mit der wahren Kunst zu tun.

klassik-begeistert: Wie oft treten sie in Ihrer Heimat auf?

Aco Biščević: Meine Heimat ist Slowenien, woher meine Mutter kommt. Ich singe häufig an der Oper Ljubljana, vor allem in den Werken von Rossini. Dort gebe ich auch Liederabende. In meiner zweiten Heimat Bosnien trete ich leider selten auf. Mein Vater kommt aus Bosnien, und aus diesem Land stammen meine schönsten Kindheitserinnerungen. Meine Familie väterlicherseits hat den Krieg erlebt und meine Oma ist nach Slowenien geflüchtet. Ich war damals erst sieben Jahre alt, aber ich erinnere mich an die angespannte Atmosphäre, als wir nicht wussten, ob es unseren bosnischen Verwandten gelingen würde, zu uns zu fliehen oder nicht. Das Schlimmste an allem war die Hilflosigkeit. Auch heute müssen Menschen immer wieder leiden und Kriege erleben. Das finde ich unendlich traurig!

klassik-begeistert: Welche Werke sind am populärsten in der Oper Ljubljana?

Aco Biščević: In letzter Zeit führt man dort Tschaikowskis „Eugen Onegin“ häufig auf. Ansonsten das italienische Repertoire, zum Beispiel Verdis „La Traviata“, und wie in jedem Königkaiserlichen Theater – „Die Fledermaus“ von Johann Strauß.

klassik-begeistert: Was ist Ihr Traumrepertoire?

Aco Biščević: Mein Lieblingskomponist ist Franz Schubert, seine Lieder kann ich immer wieder aufführen. Ich bereite gerade „Die schöne Müllerin“ mit Selbstbegleitung vor. An diesem Zyklus könnte man ein ganzes Leben lang arbeiten, so viele Nuancen gibt es darin. Dies ist kein Klischee, jeden Tag entdeckt man darin wirklich etwas Neues. Jemandem wie ich, der aus einem Alpenland kommt, liegt diese Musik besonders am Herzen, da sie den dortigen Volksliedern ähnelt. Bei einer Aufführung dieser Stücke fühle ich mich wie zu Hause. Ich kann ebenso den Evangelisten in einer der Bach Passionen jederzeit singen. Meine Traumrollen sind die typischen Haute-Contre–Partien von Rameau, Lully und Charpentier. Davon habe ich noch nicht viele gesungen. Ich werde aber noch dazu kommen.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

W. A. Mozart, La clemenza di Tito Gluck-Festspiele, Bayreuth, 11. Mai 2024

Zweiter Tag der Gluck Festspiele in Bayreuth Markgräflichen Opernhaus und ein Nachtkonzert in der Schlosskirche, 10. Mai 2024

Willibald Gluck & Wolfgang Amadeus Mozart, La clemenza di Tito Markgräfliches Opernhaus Bayreuth, 9. und 11. Mai 2024

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