Giampaolo Bisanti © Laila Pozzo
Niemand redet gerne über sich selber. Derlei Frage stellt man nicht, ich habe es trotzdem gewagt. Außerdem haben wir über Puccini gesprochen. Denn im Oktober dirigiert der Italiener Giampaolo Bisanti in Hamburg Tosca.
Jörn Schmidt im Gespräch mit Giampaolo Bisanti.
klassik-begeistert: Wenn ich Ihr Dirigat mit einem Wort beschreiben müsste, würde ich sagen: Druckvoll. Auch wenn das nicht sonderlich feinsinnig klingt, könnten Sie da zustimmen?
Giampaolo Bisanti: Es ist immer schwierig, sich selbst zu beurteilen. Das möchte ich mir nicht anmaßen, das würde vielleicht als Eigenlob missverstanden… Aber ich kann Ihnen, nach all den Jahren als Dirigent, sagen, was ich anstrebe: Mein Dirigierstil soll persönlich und effektiv sein. Getragen von absoluter Ruhe und Vertrauen in meine Arbeit und die Ergebnisse, die ich erzielen möchte. Das kann dann auch mal druckvoll sein, abhängig davon, welche Aufführung Sie besucht haben.
klassik-begeistert: Wie vermitteln Sie Ihr Klangideal?
Giampaolo Bisanti: Ich muss immer in der Lage sein, allen dieses Gefühl der Sicherheit zu vermitteln, von den Orchester- und Chormusikern bis hin zu den Sängern und dem gesamten künstlerischen Personal, das an einer Produktion arbeitet. Sowohl während der Proben als auch während der Aufführungen. Ich glaube, dass die Fähigkeit, diese Ruhe und Sicherheit zu vermitteln, auf drei Säulen ruht – Studium, Erfahrung und emotionale Ausgeglichenheit. Ich kann nicht sicher sein, es jedem recht zu machen, aber jeder muss sich wohl fühlen, wenn ich auf dem Pult stehe. Man muss meine musikalische Vision oder meine Art der Interpretation nicht immer mögen, aber niemand sollte sich jemals ausgeschlossen, überrumpelt, unsicher oder gar unwohl fühlen.
klassik-begeistert: Auch vor viel Blech schrecken Sie nicht zurück. Wenn man von Beginn an kompromisslos Vollgas gibt, nutzt sich das schnell mal ab. So, wie die Spannung auch abbrechen kann, wenn man zu langsame Tempi vorgibt. Sie dagegen halten die Spannung bis zum Schluss aufrecht. Wie schaffen Sie das?
Giampaolo Bisanti: Ich bin der festen Überzeugung, dass emotionale Spannung in der Musik über das Tempo hinausgeht. Emotionale Spannung entsteht, indem Künstler und Musiker auf eine emotionale Reise gehen, entlang der Musik des Komponisten. Ich versuche, bei jedem einzelnen Takt des Musikstücks, das ich dirigiere, klar, engagiert und mitreißend zu bleiben und in diesem Moment so viel Energie wie möglich auf alle Beteiligten zu übertragen.
klassik-begeistert: Die Sänger lieben Ihr Dirigat gleichwohl?
Giampaolo Bisanti (zwinkernd): Keine Ahnung, da fragen Sie doch bitte die Sänger.
klassik-begeistert: Noch in diesem Kontext, als Referenz an August Everding, möchte ich fragen: Prima la musica, dopo le parole?
Giampaolo Bisanti: Einspruch! Musik und Worte gehen Hand in Hand. Große Opernkomponisten komponieren auf der Grundlage von Libretti, literarischen Handlungen und Geschichten, die speziell für diese Musik geschrieben wurden. Es ist ein Fehler, nur an schönen Klang zu denken, ohne die Worte zu berücksichtigen, auf denen dieser Klang aufbaut.
klassik-begeistert: In welchem Verhältnis stehen Tempo und Transparenz zueinander, wenn Sie dirigieren?
Giampaolo Bisanti: Beim Dirigieren das Gleichgewicht zwischen Tempo und Transparenz einer Oper zu halten, das ist eine heikle Sache. Denn beide Elemente sind entscheidend für eine überzeugende und stimmige Aufführung. Zuallererst müssen Sie die Partitur verstehen, sich ein tiefes Verständnis der Absichten des Komponisten erarbeiten. Auch die Berücksichtigung des Kontexts der Oper spielt eine wichtige Rolle… Also das Libretto, die historischen Epoche, der Stil des Komponisten geben wichtige Hinweise. Darauf aufbauend überlege ich, wie Tempo und Transparenz die dramatische Wirkung der Szene verstärken und die Botschaft des Komponisten vermitteln können. Und es geht nicht ohne die Sänger. Ich arbeite eng mit ihnen zusammen, um sicherzustellen, dass ihre Stimmen vom Orchester unterstützt werden und dass das Tempo es ihnen ermöglicht, bequem und ausdrucksstark zu singen.
klassik-begeistert: Norma haben sie recht schnell genommen, wie viel Tempo verträgt Tosca?
Giampaolo Bisanti: Tosca ist eine Oper, die eine sorgfältige Balance zwischen lyrischer Schönheit und dramatischer Intensität erfordert. Auch wenn ich in einigen Abschnitten ein etwas schnelleres Tempo wählen werde, um Spannung und Dynamik aufrechtzuerhalten, würde ich die lyrische Qualität von Puccinis Melodien niemals dem Tempo opfern.
klassik-begeistert: Wie würden Sie Puccinis Verhältnis zur Moderne beschreiben?
Giampaolo Bisanti: Puccini war der wichtigste Innovator des Musiktheaters am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Er revolutionierte die Handlung seiner Opern – keine Könige, Königinnen, Prinzen und Adligen mehr. Und er brachte die Musik einen gewaltigen Schritt nach vorne, indem er sie wahrhaftig zum vorherrschenden Teil des Musikdramas machte. Die Orchestrierung wurde reicher und dichter. Sie war auch enger mit der Handlung auf der Bühne verbunden, nicht länger nur ein Rahmen im Hintergrund der Handlung. Sondern Protagonist!
klassik-begeistert: Werden Sie das in Ihrem Tosca-Dirigat herausarbeiten?
Giampaolo Bisanti: Wie immer, mit all meiner Kraft!
klassik-begeistert: Nochmal eine Frage zum Tempo, wenn auch anders… Auto, Motorrad, Flugzeug. Sie scheinen fasziniert von schnellen Fortbewegungsmitteln, was ich sehr sympathisch finde. Schlägt dieses Temperament auf Ihr Dirigat durch?
Giampaolo Bisanti (ironisch): Also bei einer Partitur, egal ob Symphonie oder Oper, mit Verbrennungsmotor im Orchester, dann bestimmt… Aber eine solche Komposition müsste erst noch jemand angehen…
klassik-begeistert: Wenn ich zu dieser Leidenschaft sage – Petrolhead, typisch italienisch. Dann ist das ein blödes Klischee…?
Giampaolo Bisanti: Das ist doch keine rein italienische Leidenschaft. Deutschland hat eine der größten Automobilindustrien der Welt. Aber ich habe eine andere Leidenschaft, die man als typisch italienisch bezeichnen kann: Essen (strahlt).
klassik-begeistert: Herbert von Karajan, bekanntlich kein Italiener, galt gar als Amateur-Rennfahrer. Eine Privatpilotenlizenz hatte er auch… Gibt es weitere Gemeinsamkeiten, war Karajan musikalisch eine Inspiration für Sie?
Giampaolo Bisanti: Karajan war eine Inspiration für alle Dirigenten, die nach ihm kamen! Er war einfach ein einzigartiger und außergewöhnlicher Musiker. Seine Leidenschaften haben wahrscheinlich seine Größe als Musiker beeinflusst, aber ganz sicher bin ich mir da nicht. Aber die Leidenschaft, Energie, Hingabe und Begeisterung, die er für die Musik hatte, das war einfach beispielhaft!
klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Jörn Schmidt, 5. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Den dritten und letzten Teil unseres Interviews mit Giampaolo Bisanti lesen Sie morgen (6. Oktober 2024) hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Interview am Donnerstag 14: Der Dirigent Hartmut Haenchen klassik-begeistert.de