Fotos: Concerts du 2 septembre 2025 à Ciboure – Festival Ravel (c) Valentine Chauvin
In Ciboure, dem Geburtsort des Komponisten, erklingt in zwei Konzerten das Gesamtwerk für Klavier. Teil 1 ist ein Marathon mit Höhen und Tiefen.
Hyunji Kim, Klavier (jeune soliste der Académie Ravel)
Bertrand Chamayou, Klavier
Klaviermusik von Maurice Ravel (1875-1937)
Ciboure, Église Saint-Vincent, 2. September 2025, 17 Uhr
von Brian Cooper
Im Hinausgehen, nach dem ersten Konzert des Tages, höre ich ein Ehepaar hinter mir, das sich einig ist: „Alors, das war ja viel zu lang!“ Und in der Tat: Teil 1 des Gesamtwerks für Klavier in zwei Konzerten, 17 und 21 Uhr, dauert 2 Stunden 40 statt der veranschlagten 2 Stunden 10. Und das auf Kirchenbänken. Wohl jenen, die einen Klavierhocker unter sich haben. Oder sich Kissen mitgenommen haben. In Stoffbeuteln zum Beispiel. Alle Taschen werden am Eingang kontrolliert: freundlich, aber streng. (Nach der Pause übrigens nicht, man könnte sich von der Straße eine Stange C4-Plastiksprengstoff zustecken lassen.)
Beim Hineingehen erweist sich, dass Stoffbeutel – von manchen auch Jutebeutel genannt, obwohl sie nicht aus Jute sind – zumindest beim Ravel-Festival voll im Trend sind. Viele dieser Beutel zeugen davon, dass die Menschen, die sie umgehängt haben, sogenannte mélomanes sind, wie sie hier heißen, Musikliebende: Ich lese Opéra National de Paris, Abbey Road Studios, Jazz à la Villette („Jazz is not dead!“), Concertgebouw, sogar die Donaueschinger Musiktage, und abseits der Musik Amnesty International. Mir gefällt, wenn Leute Menschenrechte gut finden. Und gute Musik mögen.

Davon, also von guter Musik, gibt es sehr viel in diesen zwei Konzerten in der Église Saint-Vincent in Ravels Geburtsort Ciboure. Es ist ein malerisches Städtchen gleich gegenüber von Saint-Jean-de-Luz, wo ich mein Lager aufgeschlagen habe. Die Kirche ist vom Baustil her ähnlich wie jene in Urrugne, die Akustik ähnlich gut.
Nur die Ansprache des Intendanten, Bertrand Chamayou, ist in den hinteren Reihen kaum zu verstehen. Er sagt vermutlich, dass wirklich alles, was Ravel pour le piano geschrieben hat, an diesem Tag zu hören sein wird, also auch seine Fugen – Studienmaterial, das mitunter abbricht, und das er mit Hyunji Kim, Akademistin des Festivals, wie er es mal war, vierhändig spielen wird. Er bittet die Kollegin charmant auf die Bühne.
Es ist eine gute Idee, diese Werke zu Beginn gemeinsam vorzutragen. So kann sich die junge Pianistin an den Saal gewöhnen, an das Publikum und die Gegebenheiten dieses Liveauftritts, um gegebenenfalls die Nerven zu beruhigen, bevor sie allein weitermacht.

Und es klingt toll. Schwer nach Bach. Vor allem die dritte Fuge (in F-Dur) und die vierte (in C-Dur) sind am ausgereiftesten, mit ihren prächtigen Orgelpunkten. Bach ist überall, und die beiden, Kim und Chamayou, harmonieren exzellent miteinander.
Weniger im Gedächtnis bleiben werden die ersten Frühwerke, die Hyunji Kim dann allein spielt. Es scheint nur laut und leise zu geben. In La parade donnert es wie in einem Rachmaninow-Werk, und das Pedal kommt zu viel zum Einsatz. Ist das wirklich mein geliebter Maurice, denke ich, und: Was soll ich bloß morgen schreiben?

Zum Glück wird es merklich besser, etwa ab der Sérénade grotesque und in den drei hommages an Haydn, Chabrier und Borodin, auch wenn die Sphären eines Seong-Jin Cho oder eines Alexandre Tharaud beispielsweise noch lange nicht erreicht werden. Allerdings ist diese Pianistin jung, die Aufgabe, ausschließlich Frühwerke zu spielen, vielleicht auch undankbar. Mir fehlen insgesamt das subtile Parfum, die leisen Schattierungen, das Ravel’sche eben.

Chamayou bestreitet die zweite Hälfte: Sonatine, Valses nobles et sentimentales, Jeux d’eau, Pavane und Le tombeau de Couperin. Sein Spiel ist meisterlich, etwa im zweiten Satz der Sonatine: eben voll mit genau jenen zuvor vermissten Subtilitäten und Schattierungen. Richtig gut geraten Rigaudon und Toccata in den Valses.

Interessant, aber das Konzert in die Länge ziehend, ist die Tatsache, dass die Werke Ravels in beiden Konzerten noch durch weitere ergänzt werden. Im ersten Konzert spielte Chamayou Stücke von Salvatore Sciarrino (De la nuit) und Frédéric Durieux (Pour tous ceux qui tombent), die beide auf interessante Weise Bezug nehmen zum Gaspard de la nuit, sowie ein Werk von Betsy Jolas, Signets, hommage à Maurice Ravel, mit dem ich weniger anfangen konnte.
Teile des Publikums und leider auch der Ehrenamtlichen sind im ersten Konzert zu unruhig für ein klassisches Klavierrezital. Zu Beginn daddelt eine junge bénévole im Stehen am Taufbecken im Eingangsbereich an ihrem Handy, in der Sichtachse zu ihrem Intendanten, der gerade spielt. Unterm offenen Fenster, draußen im Hof, unterhalten sich Leute. Und es scheppert immer wieder gewaltig in der Kirche. Ständig fällt irgendetwas zu Boden: Trinkflaschen. Smartphones. Krücken. Programmhefte regnen von der dreistöckigen Galerie.
Wird etwas auf dem Schoß geknetet, wie es die mit klapperndem Schmuck behängte Dame zu meiner Linken mit ihrer knarzenden Handtasche tut, so ist dies derart fest, dass nichts Lebendiges mehr darin zu finden sein dürfte. Die Dame vor mir hingegen ist emsig mit dem Ein- und Auspacken ihrer Tasche zugange. Es soll Liebhaber geben, die weniger Zuwendung erhalten als diese Tasche.
Zwischenfazit: Stoffbeutel machen keine Geräusche.
Im zweiten Konzert um 21 Uhr waren die Umstände besser.
Nach dem ersten Konzert stürzen viele an Trog und Tränke. Gegen viertel vor acht nimmt die freundliche Bedienung unten am Hafen die Bestellung auf. Sie ist informiert: „Gehen Sie gleich wieder ins Konzert? Dann empfehle ich…“ Es reicht sogar für einen Kaffee.
Dr. Brian Cooper, 3. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ravel-Festival 2025 Urrugne, Église Saint-Vincent, 1. September 2025
Ravel, Seong-Jin Cho, Klavier Kölner Philharmonie, 19. Mai 2025
2. Ravel-Klavierkonzert, Beatrice Rana, Klavier Elbphilharmonie Hamburg, 2. Dezember 2024