Profeti della Quinta, Photo Ensemble
Konzert im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals in der Lübecker Carlebach-Synagoge, 17. Juli 2024
Werke von Salomone Rossi, Claudio Monteverdi u.a.
von Dr. Andreas Ströbl
Propheten in der Synagoge? Und was ist mit „Quinta“ gemeint, um welchen Palast geht es? Allein der Name des Vokalensembles „Profeti della Quinta“ und der Titel des Konzerts „Zwischen Palast und Synagoge“ im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals in der Lübecker Carlebach-Synagoge am 17. Juli 2024 machten neugierig.
Um es gleich aufzuklären: „Profeti della Quinta“ entstand aus einem Scherz zwischen den Musikern, wie Ori Harmelin, der mit der Theorbe Doron Schleifer und Andrea Gavagnin (beide Countertenor), Lior Leibovic und Loïc Paulin (beide Tenor) sowie Elam Rotem (Bass und musikalische Leitung) begleitete, im persönlichen Gespräch nach dem Konzert offenbarte. Natürlich war da die musikalische „Quinte“ im Spiel, aber der Rest war Spaß.
Vielleicht sind diese phantastischen Musiker doch auf eine Weise Propheten, und zwar die eines Miteinander von Christentum und Judentum sowie von weltlicher und sakraler Musik. Diesen gelungenen Verbindungen widmete sich das Sextett in der wunderbar restaurierten Carlebach-Synagoge im Lübecker Ägidienviertel und das Konzert hätte kaum in einem passenderen Raum stattfinden können.
Das Programm setzte sich vor allem aus Stücken von Salomone Rossi und Claudio Monteverdi zusammen; beide wirkten am liberalen und musikliebenden Hof des Herzogs von Gonzaga in Mantua – das also zum Palast. Sie arbeiteten zusammen, benutzten mitunter Textvorlagen derselben Dichter und die von beiden komponierten Madrigale beeinflussten ganz wesentlich die zeitgenössische Musik.
Schloss man die Augen und achtete des hebräischen Textes nicht, dann kamen einem beim Zuhören auch die liturgischen Gesänge Rossis ausgesprochen weltlich vor und klangen vor allem nach italienischer Renaissancemusik. Die Familie des Komponisten lebte schon seit der Antike in Italien und war zumindest in der musikalischen Sprache deutlich assimiliert. So schmiegten sich die jüdischen Gebete und Psalmen harmonisch an die Opernarien und Madrigale. „Wohlan, mein Herz, klage nicht länger!“ – die vertonten Worte aus der Feder des Dichters Giovanni Battista Guarini lassen sich in der Tat gleichermaßen religiös und weltlich verstehen.
Interessant ist übrigens, dass Rossi einer der ersten war, der die hebräische Schreibweise von rechts nach links mit der umgekehrt geführten Notenschrift verband, indem er die Texte einfach in der üblichen Weise darunterschrieb – die Sänger kannten die Worte ohnehin und lasen sich schnell ein. Auch dass Rossi überhaupt synagogale Musik schriftlich fixierte, ist eine Besonderheit; seiner Findigkeit verdanken wir die Überlieferung dieser wunderbaren Musik.
Stimmlich bildeten die Sänger eine perfekt harmonisierende Einheit aus Reinheit, Klarheit und Kraft, wobei gerade die dunklen Vokale von Doron Schleifer wie Vogelflug über allem schwebten; hier war seine Stimme nicht mehr von der einer Sängerin zu unterscheiden. Zum Ende hin konnte auch Lior Leibovici seinen glockenhellen Tenor strahlen lassen – zumeist waren die Stimmen der durchweg großartigen Sänger eher in den Ensembleklang eingebettet.
Musikalische Finessen wie eine emotionale Chromatik oder die Dissonanz beim Wort für Schmerz, „dolor“, traten vor allem in Monteverdis „Lamento della Ninfa“ oder seinem „Lamento d’Arianna“, dem einzigen musikalischen Überlebenden einer verlorengegangenen Oper, plastisch hervor. Die Vermittlung heftiger Erregungen und schmerzvoller Erlebnisse nahm das frühbarocke Publikum unmittelbar wahr, wenngleich Emotionen eben noch artifizieller in die Musik eingebettet waren. Wer Ohren hat zu hören, kann das alles deutlich nachempfinden, zumal, wenn es so vollendet dargebracht wird, wie von diesem sympathischen, beseelt singenden Ensemble.
Ori Harmelin lockerte die rein gesanglichen oder durch ihn begleiteten Stücke durch zwei Instrumental-Einlagen auf, wie seine Variationen über das berühmte „La Monica“, dessen Melodie vielfach verarbeitet wurde und bei uns durch das Kirchenlied „Von Gott will ich nicht lassen“ bekannt ist, sowie eine lebhafte Passacaglia.
Unverschämt, den Mitwirkenden, dem Publikum, dem Raum und ohnehin der gesamten Atmosphäre gegenüber unangemessen, war das laute Öffnen von Wasserflaschen und das Trinken daraus während der Darbietung (hätten das die betreffenden Damen auch in einer Kirche gemacht?), aber das waren zum Glück Ausnahmen.
Trotz des begeisterten Beifalls gab es keine Zugabe, aber die hätte die Geschlossenheit des Programms nur aufgeweicht. Das „Amen“ am Ende des beschließenden Kaddisch segnete Aufführung und Zuhörer gleichermaßen.
Ein ganz besonderes Konzert, an besonderem Ort, mit einem phantastischen Ensemble!
Dr. Andreas Ströbl, 17. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at